Bye, bye, Werbebranche

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Gesellschaft

Tanja Mally kommt ursprünglich aus der Medienbranche und war 1999-2011 im Bereich Schulwerbung tätig. Seit 2018 unterstützt sie die gemeinnützige Institution epicenter.works und ist dort für Crowdfunding und Partnermanagement verantwortlich.

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Tanja, du wurdest 2017 bereits von Idealism Prevails interviewt (Video). Als ich mir das Gespräch anschaute, war ich begeistert, mit welcher Offenheit du mit deinen „Fehlern“ umgehst; und davon, dass du dir selbst eingestehen konntest, dass Schulwerbung unethisch ist … Wie kam es aber zu diesem Wandel?

Wenn mich etwas in meinem Leben stört, dann ist das immer ein persönlicher Prozess, der mit den Menschen, die ich einer Lebenssituation kennenlerne, zu tun hat:

Meine Mutter hat eine Kinderfreundin, die Christl. Beide sind im selben Haus aufgewachsen und hielten stets Kontakt – obwohl meine Mutter im Ausland lebt. Jetzt sind beide über 70 und via Facebook vernetzt. Christls Tochter Elisabeth heiratete mit 19 nach Indonesien, da war ich gerade 16, und wir verloren uns aus den Augen.

Wir fanden einander 2008 auf Facebook über die Postings unserer Mütter wieder. Damals schrieb ich ihr, weil sie wieder in Wien lebte: „Elisabeth, wir kennen uns so lange, leben in derselben Stadt … treffen wir uns.“ Als wir uns trafen, fanden wir heraus, dass wir in ähnlichen Lebenssituationen waren: beide geschieden, beide Kinder. Das war der Beginn einer liebevollen, intensiven Freundschaft.

Elisabeth ist eine, die sich – geprägt von ihrer Zeit in Indonesien – intensiv mit Energien auseinandersetzt und sich mit der „Innenschau“ beschäftigt. Ich wiederum war schon von Kind an religiös geprägt und glaubte immer an etwas Höheres, aber mich störten diese Dogmen dahinter. Doch bei Elisabeth und ihren Freundinnen spürte ich sofort eine gute Resonanz und fand meinen spirituellen Zugang zu einem Gedankengut, das ich selbst empfinde. Folglich beobachtete ich mich selbst immer reflektierter und auch das, was ich beruflich machte und fragte mich: „Ist es das, was du wirklich willst? Macht es dich glücklich? Oder geht’s hier nur um Kohle?“ Denn ich hatte einen Hardcore-Job und war ausgepowert.

Als ich so den Sinn meiner Handlungen, auch im Job, hinterfragte, fühlte es sich wie eine Watschn an. Es fühlte sich unethisch an.

Wie sahen dann deine Schritte des Umdenkens aus?

Elisabeth, ihre beste Freundin Sigrid und ich trafen uns regelmäßig einmal in der Woche – Mädchenabend. Die Gespräche beruhigten mich, taten mir gut. Sigrid ist Lebensberaterin und Energetikerin, hat eine medizinische Ausbildung und hilft Menschen in Krisensituationen auf unkonventionelle Art und Weise mit einem Mix aus Gesprächstherapie und energetischer Behandlung etc.

Sigrid arbeitet zudem mit systemischen Aufstellungen; ich selbst fungierte eine Zeitlang als Repräsentantin in ihren Aufstellungen, weil ich Energien generell gut aufnehmen kann. Die Mädels meinten, dass sie das auch einmal mit mir probieren wollten. Damals hatte ich aber gerade eine Gesprächsauszeit mit meinem Vater und großen Respekt vor dem Thema Aufstellung.

Schließlich schenkten sie mir 2012 an meinem 42. Geburtstag eine Familienaufstellung, an der zehn Frauen beteiligt waren. Da verkroch ich mich in eine Ecke, zog mir einen Polster über’s Gesicht, wollte nicht hinschauen … denn ich wusste: Jetzt wird’s krass. Sigrid ist als Aufstellungsleiterin nämlich jemand, der sehr schnell Lösungsansätze bietet. Im realen Leben verschob sich folglich bei mir genau das, was wir gemeinsam zurechtgerückt hatten.

Ich habe meine Helferleins an meiner Seite, sie sind zu meinen engsten Freunden geworden, durch die ich mich begleitet fühle. Sie zeigten mir eine andere Weise, wie man mit dem Leben umgehen kann – und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Du scheinst dafür aber auch bereit gewesen zu sein …

Ich merkte ja, dass ich trotz Geld und Erfolg nicht glücklich war, mich leer fühlte. Sie aber zeigten mir, dass diese Leere von mir selbst ausgelöst war und nicht durch das Außen. Die Abende waren schön und komplett anders. Aber ohne dass sich das irgendwie „supereso“ oder „linksesoterisch“ angefühlt hätte …

Mir war immer klar, dass es mehr gibt als das, was wir sehen. Das dann ins alltägliche Leben zu integrieren, ist für viele kein Selbstverständnis; ich sehe es aber genau als das Spannende an der Sache.

Dann habe ich die Schulwerbung verlassen, weil ich nicht mehr wollte. Next Stop: „Familyservice„.

Was ist „Familyservice„?

Da geht es um die Mutter-Kind-Box. Zielgruppe: Familien, die ein Baby erwarten oder Eltern von 1- und 2-jährigen Kleinkindern sind. Unternehmen wie Procter & Gamble, Nestlé und ganz große Lebensmittelketten stürzen sich darauf, denn bei dieser Zielgruppe ändert sich das Kaufverhalten nachhaltig und geht über die Babynahrung hinaus. Die Eltern brauchen nämlich: größere Wohnungen, ein größeres TV-Gerät, größere Autos, Versicherungen.

Mit der Mutter-Kind-Box gelangt man an die Adressen der werdenden Mütter für die Zusendung der Werbegeschenke. Im Prinzip ging es also nur um die Adresse, denn das ist ein eingetragener Adressverlag. Wir wussten z.B. genau, wann entbunden wird und wann bei den Kindern das Zahnen anfängt und schickten dann Schnuller und Beißring zu. Im Hintergrund wurde die Kohle gemacht. Aus meiner heutigen Sicht als Datenschützerin war das ein wahrhaftiger Irrsinn (lacht).

Familyservice International ist ein internationaler Konzern in acht Ländern Europas. Überall ist das Konzept gleich. Ich führte zwei Jahre lang Österreich als General Manager. Es war eine spannende Zeit, in der ich viel lernte, v.a. im Bereich Budgetierung/Finanzen, wofür ich heute sehr dankbar bin.

Warum hast du dort aufgehört?

Der Mutterkonzern wurde binnen zwei Jahren zweimal verkauft. Ich hatte kaum Kundenkontakt mehr, weil ich von einem Reporting zum nächsten hetzte und mich mit Steuerberatungsleuten aus aller Herren Länder herumschlug. Das machte mir keinen Spaß mehr.

Und das war dann das Einläuten des inneren Abschieds von der Werbebranche. Ich hatte ein Jahresgehalt auf die Seite gelegt. Mein Kind war ausgezogen. Dann beschloss ich, mir einfach ein Jahr berufliche Auszeit zu gönnen.

Genau an dieser Stelle machen wir nun eine kleine Pause. Im zweiten Teil verrate ich euch mehr von Tanjas besonderem Jahr der Reifung, ihren Schwierigkeiten, mit dieser neuen Freiheit umzugehen, und davon, wie konstruktiv sie diese neuen, aber auch schmerzvollen Challenges meisterte.

Tanja Mally ist mittlerweile mit ihrer beruflichen Erfahrung im Fokus der Gesellschaft gelandet und fand ihre berufliche Heimat bei der Grundrechts-NGO epicenter.works. Der Verein setzt sich für Grund- und Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter ein. Tanja ist es ein Bedürfnis, die Welt heute für morgen besser zu gestalten.

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01_Tanja-Mally 01_Tanja-Mally 1 ©Tanja Mally