Die Gründe für die kaputte Gesellschaft in den USA & was sich ändern muss

Gesellschaft

In der aktuellen Ausgabe unseres Podcast-Formats „Darüber sollten wir reden“ befasse ich mich mit der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Situation in den USA nach dem kaltblütigen Mord am Afroamerikaner George Floyd durch einen weißen Polizisten, benenne die Gründe warum die Gesellschaft in den USA kaputt ist & erkläre was sich nun ändern muss.

George Floyd wurde im Rahmen eines Polizeieinsatzes grundlos am Boden fixiert und der Polizist, der ihn ermordete, drückte mit seinem Knie Minuten lang gegen Floyds Hals bis dieser verstarb. Floyd flehte mit den Worten „I can´t breathe“ den Polizisten an er möge von ihm ablassen, vergeblich…

Die Worte  „I can´t breathe“ wurden nun auch zum inoffiziellen Schlachtruf der seit Tagen andauernden landesweiten Proteste gegen den Rassismus und die soziale Ungleichheit in den USA.

Da wir den Mord an George Floyd auf Video gesehen haben stockt uns der Atem, doch Morde an Farbigen, die von der Polizei begangen werden, sind in den USA seit Ihrer Gründung die Regel…

Die USA, die mit einem Habitus sondergleichen, von sich seit Jahrzehnten behauptet es wäre „the greatest nation on earth„, ist in Wahrheit ein nach innen zerbrochenes Land mit einer komplett kaputten Gesellschaft. Ein wichtiger Grund dafür ist die alltägliche Kultur der Gewalt in den USA. Gewalt ist fixer Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft, bereits die Entstehungsgeschichte der USA ist von Blut getränkt, und seit Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika leiden darunter vor allem Afroamerikaner deren Vorfahren von Weißen vielfach noch als Sklaven gehalten wurden.

So ist das Tragen von Waffen („right to bear arms“) mit dem 2nd Amandment in der amerikanischen Verfassung verankert und in keinem anderen –  sich selbst als Demokratie bezeichnenden – Land der Welt sterben daher so viele Menschen durch Schusswaffengebrauch wie in den USA. Am Papier der weißen Bevölkerung formal gleichgestellt werden Farbige in den USA vielfach immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt und Morde wie jener an George Floyd sind an der Tagesordnung. Da überrascht es nicht, dass sich eine eigene Industrie – die sogenannte Gefängnisindustrie („prison industrial complex„) – entwickelt hat, die Profit damit macht, dass so viele Menschen wie möglich und so oft wie möglich eingesperrt werden, nicht zuletzt für Bagatelldelikte, wie den Besitz kleiner Mengen von Marihuana. Die Mehrheit der Insassen – Ihr werdet es erraten – sind natürlich Angehörige von Minderheiten, die um ein Vielfaches öfter – vor allem von weißen Polizisten – zumeist grundlos angehalten und perlustriert werden (z. B. „stop and frisk“).

Ein weiterer Grund für die kaputte Gesellschaft in den USA ist der Alltagsrassismus, den vor allem Afroamerikaner zu spüren bekommen und an dem auch die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten 2008 nichts geändert hat. Während die Salon-Linke Obama aufgrund dessen Fähigkeit revolutionäre Reden eloquent vom Teleprompter ablesen zu können zum Heiligen hochstilisiert hat, hat sich für die Afroamerikaner auch unter Obama ihre Lebenssituation nicht verbessert. Obamas Präsidentschaft war daher für die afroamerikanische Bevölkerung gemessen an dessen Rhetorik eine Enttäuschung.

Ein weiterer sehr wesentlicher Grund für die kaputte Gesellschaft in den USA ist die enorme wirtschaftliche und soziale Ungleichheit, die sich mit der Coronavirus-Krise nochmals dramatisch verschärft hat, und dazu geführt dass derzeit 40 Millionen Amerikaner – darunter überproportional viele Afroamerikaner – arbeitslos sind, unzählige weitere Millionen Amerikaner scheinen gar nicht mehr in den Statistiken auf, da sie etwa als Gelegenheitsarbeiter gar keinen Anspruch auf das ohnedies sehr karge und nur sehr kurz ausbezahlte Arbeitslosengeld haben. Womit wir schon beim nicht existenten Sozialsystem in den USA sind, das dazu führt, dass sich die überwiegende Mehrheit der Amerikaner die obszön teure Krankenversicherung nicht leisten kann. Das Gesundheitswesen ist in den USA ein weiterer kapitalistischer Wirtschafszweig und daher ist es an der Tagesordnung, dass Menschen sterben, weil sie sich die notwendige medizinische Betreuung nicht leisten können. Eine Schande für das reichste Land der Welt, wie sich die USA gerne selbst bezeichnen…

Da auch die Einführung von Obamacare die Situation im Gesundheitswesen kaum verbessert hat, hat der unabhängige Senator Bernie Sanders 2016 und 2020 in seinen Wahlkämpfen vehement die Einführung von „Medicare for All“ – also einer leistbaren Krankenversicherung für alle Amerikaner – gefordert. Vergeblich, die bestimmenden wirtschaftsaffinen Kräfte innerhalb der demokratischen Partei, auch „corporate Democrats“ genannt, lehnen Medicare for All weiterhin ab, die von Wirtschafts- & Kapitalinteressen der Finanzindustrie dominierten Republikaner sowieso.

Zum Verfall der amerikanischen Gesellschaft hat auch der Verrat der demokratischen Partei an der Arbeiterklasse massiv beigetragen. Dieser Trend ist auch in zahlreichen europäischen Ländern seit den 80er Jahren zu bemerken, doch in den USA hat die sogenannte Identitätspolitik („identity politics“) – also die Angewohnheit die Wählerschaft in unzählige kleine Identitätsgruppen zu zerstückeln und diese dann mit einzelnen goodies zu bespaßen – dazu geführt, dass die Demokraten nun vor allem eine Partei der vom wirtschaftlichen Status Quo profitierenden universitär ausgebildeten, städtischen, Hardcore feministischen Salon-Linken geworden sind, die vielfach jeden Kontakt mit jenen Klassen und Schichten verloren hat, die vom Kapitalismus amerikanischer Prägung ausgebeutet werden und das sind in den USA eine ganze Menge von Menschen…

2016 bildete den Höhepunkt dieser Entwicklung ab als sich weite Teile der weißen Arbeiterschaft, die von der auch von den Demokraten betriebenen enthemmten Globalisierung am Arbeitsmarkt besonders betroffen ist, und Jahrzehnte lang eine der früheren Kernwählerschichten der demokratischen Partei war, von den Demokraten in Scharen abwandten und für den Demagogen Donald Trump stimmten. Anstatt in den Spiegel zu sehen und ernsthaft zu analysieren wie es dazu kommen konnte, dass die demokratische Partei ausgerechnet jene Wähler nicht mehr vertreten hat, denen es sozial und wirtschaftlich am Schlechtesten geht, beschimpfte die überhebliche und selbstgefällige Salon-Linke Ihre ehemaligen Wähler als Rassisten, Ignoranten und Vollidioten, weil diese Trump gewählt hatten, eine ähnliche Entwicklung nahm die Sozialdemokratie in Österreich, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Wenig überraschend befinden sich die sozialdemokratischen Parteien in all diesen Ländern in einem erbärmlichen Zustand.

Der Mythos in den USA ist der „American dream“, also das Versprechen des amerikanischen Systems an jeden seiner Bürger, wenn dieser hart arbeiten würde könne er/sie den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg schaffen. Diese Erzählung war immer schon ein „Schmäh“, wie wir in Wien dazu sagen würden, spätestens aber mit der von Ronald Reagan realisierten neoliberalen Wirtschafts- & Sozialpolitik wurde Sie für Angehörige von Minderheiten de facto zum Märchen. Und das lag und liegt nicht daran, dass Farbige in den USA nicht hart arbeiten würden, im Gegenteil, es liegt am Profit geilen Raubtierkapitalismus amerikanischer Prägung, der auf Billiglohn und Ausbeutung setzt, und auf soziale Absicherung pfeift. So leben seit Jahrzehnten mit dem Wissen der US-Politik Millionen illegaler Einwanderer in den USA, die für jene Arbeit, für die sich viele Amerikaner zu schade sind, von der Industrie herangezogen und real ausgebeutet werden, während gleichzeitig Trump und zahlreiche Republikaner gegen diese Menschen offen hetzen.

Womit wir beim wichtigsten Grund für die kaputte Gesellschaft in den USA sind: der allgegenwärtigen Dominanz der Finanzinteressen der Wall Street und der amerikanischen Militär- & Rüstungsindustrie. So werden in den USA pro Tag über eine Milliarde Dollar für Rüstung ausgegeben, man stelle sich vor  es würde der gleiche Betrag für Soziales ausgegeben werden, in den USA leider unvorstellbar. Wer nun glaubt eine vermeintlich linke politische Partei wie die Demokraten würde sich für eine grundlegende Änderung der politischen Prioritäten einsetzen irrt, denn das amerikanische politische System ist so aufgesetzt, dass die Lobbyisten mit Ihren Spenden („donor class“) an Demokraten und Republikaner dafür sorgen, dass auch die Demokraten die obszön hohen Ausgaben für Militär und Rüstung befürworten.

Während die amerikanischen Bürger in der Coronakrise vom Kongress nach hartem politischem Kampf mit einer Einmalzahlung von 1200 Dollar abgespeist wurden, die natürlich nicht für jeden abrufbar war und nur unter Überwindung von viel Bürokratie ausgezahlt wurde, erhielten amerikanische Unternehmen & deren Inhaber umgehend Milliarden an Geldgeschenken und Krediten, natürlich unbürokratisch und von beiden amerikanischen Systemparteien – den Republikanern und den Demokraten – rasch im Kongress beschlossen. Viele dieser Unternehmen kassierten diese Hilfsgelder und haben nun erst recht Ihre (Mit)Arbeiter hinausgeworfen. Donald Trump´s Wahlspruch aus dem Jahre 2016 „Make America great again“ wird damit nun auch für viele seiner Wähler endgültig zum Hohn…

In den letzten Jahren ist in den USA offensichtlich geworden, dass der Götze Geld, der in den USA und im Westen generell fast überall nachgerannt und fast alles untergeordnet wird, in dieser Form eine reine Erfindung unserer degenerierten Gesellschaft ist. So steht das amerikanische Gesamtdefizit bei fast 26 Billionen Dollar, die Ausrede der Politik das Geld wäre nicht da ist eine Erfindung, da seit Jahrzehnten immer wieder de facto unlimitiert neues Buchgeld in Billionenhöhe erschaffen wurde. Woran es fehlt ist also nicht das frei erfundene Geld, sondern am politischen Willen beider Parteien in den USA das Geld nicht mehr für Rüstung, Militär und die Finanzindustrie zu verwenden.

Bereits die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten 2016 war Ausdruck des kaputten politischen Systems der USA, da die große Mehrheit der Trump-Wähler diesen ganz bewusst gewählt hat, damit er das etablierte politische System in Washington in die Luft sprengt. Trump ist also „nur“ ein Symptom der kaputten amerikanischen Gesellschaft, wenngleich er mit seiner Art widerlichen Art Politik zu machen natürlich in den letzten Jahren nochmals massiv dazu beigetragen hat, dass die amerikanische Gesellschaft komplett gespalten ist.

In den USA muss sich also sehr sehr viel ändern, wenn das Land seinen immer noch enorm hoch gesteckten rhetorischen Ansprüchen in der Realität auch nur annähernd gerecht werden will.

So müssten sich die politischen Prioritäten der Demokraten und Republikaner komplett verändern, damit die Interessen aller Amerikaner – und eben auch gerade der Minderheiten – und nicht mehr nur die Spezialinteressen einiger weniger höchst einflussreicher Akteure berücksichtigt werden. Die Praxis der „corporate giveaways“ (Geldgeschenke an Konzerne), der Steueroasen und „tax evasion“ (das Vermeiden des Bezahlens von Steuern durch Konzerne) müsste komplett abgeschafft werden, die Ausgaben in Rüstung & Militär müssten radikal gekürzt werden und diese frei werdenden Gelder müssten umgehend den Armen & sozial Benachteiligten zukommen, also eine radikale Umverteilung von oben nach unten. Der Gebrauch von Schusswaffen muss umfassend eingeschränkt werden, Medicare for All müsste eingeführt werden, die Demokraten müssten endlich wieder ernsthaft die sozial Benachteiligten vertreten, die Republikaner sich von Ihrem rechtsextremen Flügel und weißen Nationalisten konsequent trennen, beide Parteien müssten sich aus der Geiselhaft der Lobbyisten, die Ihre Wahlkämpfe finanzieren, befreien und das politische und wirtschaftliche System der USA grundlegend erneuert werden, um nur einige der notwendigen Maßnahmen zu nennen. Statt Trumps nationalistischem „Ameria First“ also „People first“.

Einer der genau verstanden was sich alles ändern muss ist der asiatische Unternehmer Andrew Yang, der sich 2020 vergeblich um die Nominierung der demokratischen Partei beworben hat. Yang möchte in einem ersten sehr wichtigen Reformschritt ein bedingungsloses Grundeinkommen (universal basic income), das er Friedensdividende („freedom dividend“) nennt, in einer Existenz sichernden Höhe einführen, damit u.a. jene Amerikaner, die aufgrund der Digitalisierung, Automatisierung und nun der Covid-19 Krise Ihren Arbeitsplatz verlieren (werden), ein Menschen würdiges Leben führen können und die Armut & die soziale Kluft in den USA nicht noch größer wird, als sie jetzt schon ist, denn derzeit sind dutzende Millionen Amerikaner von Essensmarken und Suppenküchen abhängig, um überleben zu können. Es bleibt zu hoffen, dass Yang´s Wahlspruch „Not left, not right, forward“ auch endlich ein Weckruf für Republikaner und Demokraten ist sich nun endlich um das Wohle aller Amerikaner zu bemühen und nicht mehr nur primär die Spezialinteressen einiger weniger einflussreicher und mächtiger Akteure zu vertreten.

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Die Gruende für die kaputte Gesellschaft in den USA Wolfgang Müller CC BY SA 4.0
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