Dr. Ewa Ernst-Dziedzic – „Du brauchst Deine Freiheit und du brauchst Demokratie“

Politik

In der neuesten Ausgabe unserer „Kitchen Talks“ ist Frau Mag. Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Bundesrätin der österreichischen Grünen, bei Alexander Stipsits zu Gast.

Dr. Ernst-Dziedzic wurde am 16. Juni 1980 in Polen geboren und kam im Alter von 10 Jahren mit ihrer Familie nach Wien. Sie erinnert sich noch gut an Ihre frühe Kindheit in Polen und an das Gefühl in einem autoritären Regime aufzuwachsen. Ihre Familie entschloss sich daher mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Österreich zu gehen, und so kam die 10-jährige Ewa zusammen mit Ihren beiden jüngeren Schwestern im Juni 1989 nach Wien Favoriten.

Sie waren anfangs die Underdogs aus Osteuropa, konnten kein Wort Deutsch und haben die Ausgrenzung als Fremde gespürt. Wenig charmante Polenwitze hörten sie dauernd und die Integration in die Gesellschaft stellte ein Hürde dar.

Glücklicherweise gab es Anfang der 90er Jahre noch Förderkurse innerhalb des Regelunterrichts, die ihr sehr geholfen haben Deutsch zu lernen und ihre Lehrerin hat sie sehr ermutigt die deutsche Sprache zu lernen, da sie unbedingt aufs Gymnasium gehen müsse. Dr. Ernst-Dziedzic erinnert daran, dass sehr viele Migrantenkinder wegen der Sprachbarriere gar nicht aufs Gymnasium kämen. Für sie ist das Erlernen der Erstsprache wesentlich, denn man müsse die Erstsprache sehr gut beherrschen, damit man eine Zweit- oder Drittsprache erlernen könne.

Sie war ein neugieriges Kind, Ihr Vater hat sie sehr gefördert und ihren Eltern war wichtig, dass sie nach der Matura „etwas gescheites studieren“. Sie entschloss sich Philosophie und Dolmetsch Polnisch – Deutsch zu studieren.

Eines ihrer Lieblingsbücher in ihrer Jugend ist „Also sprach Zarathustra“ gewesen und die Philosophen der Aufklärung interessierten sie sehr. Für sie ist „die Philosophie die Basis für jede politische Auseinandersetzung“.

Im politischen Umgang mit Polen und anderen osteuropäischen Ländern rät sie dazu, keine eurozentristische Sicht einzunehmen. Sie empfiehlt der EU bei Umweltpolitik, Menschen- & Frauenrechten, bei der Migrationsfrage und der Rechtsstaatlichkeit klare Grenzen zu setzen, die Zivilgesellschaften in den einzelnen Ländern mit an Bord zu nehmen, um den politischen Druck zu erhöhen und zeitgleich mit den osteuropäischen Ländern stets im Gespräch zu bleiben. Hoffnung gibt ihr dabei die junge Generation im Osten, denn diese lasse sich den Status Quo im digitalen Zeitalter nicht mehr länger gefallen. Klar ist, dass der Umgang miteinander ein Balanceakt ist und dass der Klimawandel die zentrale Frage unserer Zeit ist, auch wenn in osteuropäischen Ländern die Industriepolitik den Klimaschutz erschwere.

Eine glasklare Haltung nimmt sie zum Sterben im Mittelmeer ein:
„Wir lassen Menschen im Mittelmeer ersaufen, das ist einer europäischen Union nicht würdig, da wegzuschauen“

Auf die Position der Frau in Österreich, Polen und in Europa angesprochen erklärt sie: „Die Situation von Frauen ist ein sehr guter Gradmesser dafür ob sich eine Gesellschaft nach vorne oder nach hinten bewege“, „im Moment hätten wir eine reaktionäre-autoritäre Wende“, die Autorität wäre noch immer das Patriachat, so würden in Polen Abtreibungsrechte beschnitten, das Revival des extremen Katholizismus in Polen sieht sie kritisch.

Auch in Österreich benennt sie problematische Tendenzen, so hätte die ÖVP/FPÖ-Regierung beim Thema „Sexualerziehung in österreichischen Schulen“ externe Vereine verbieten wollen.

Zum Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau vertritt sie die Ansicht, dass die Frauenrechte in Österreich fragil wäre und wir in einem neoliberalen, individualisierten Zeitalter leben würden. In unsicheren Zeiten gäbe es einen Backlash, denn da würden die Frauen zurück an den Herd gedrängt: „Wenn der Überlebenskampf draußen härter würde, dann würden Frauen zu Gebärmaschinen und würden nicht mehr als vollwertige Bürgerinnen wahrgenommen“

Die Lohnschere zwischen Mann und Frau wäre real, 55% der Frauen würden Teilzeit arbeiten, da sie keinen Kinderbetreuungsplatz bekämen und die Gewaltvergehen an Frauen in Österreich wären erschreckend hoch. Sie erinnert daran, dass Gewalt gegen Frauen von Rechten instrumentalisiert werden würde, da stets bestimmte Gruppe von diesen dafür verantwortlich gemacht würden.

Für sie ist Frauenpolitik Gesellschaftspolitik und eine Querschnittsmaterie und aus ihrer Sicht würden Männer von der Gleichstellung der Frauen profitieren, sie wolle daher Männer bei diesem Prozess mitnehmen. Im Familienrecht ist das Kindeswohl für sie entscheidend.

Grüne Politik entstand für sie aus der Umwelt-, Frauen- & Friedensbewegung heraus, bei den Grünen wäre dann auch rasch eine soziale Komponente dazugekommen.

Auf die Frage wie soziale Politik und Umweltpolitik zusammenhingen antwortet Ernst-Dziedzic, dass sie „für ein solidarisches Zusammenleben von freien Menschen in einer intakten Umwelt“ eintritt und dies eine Gerechtigkeitsfrage sei, und sie „Anwältin für jene sein will, die am stärksten von der Zerstörung der Umwelt betroffen sind.“ So würden ärmere Menschen viel stärker vom Klimawandel getroffen, das führe zu Fluchtbewegungen, die soziale Frage müsse man daher weltweit klären, um in einer intakten Umwelt leben zu können.

Innenpolitisch sieht sie die Überschreitung der Wahlkampfkosten durch die ÖVP 2017 als problematisch an, denn es würde von Spendern Einfluss auf die Politik genommen, die Bevölkerung profitiere nicht davon.

Die Jugend ginge jetzt auf die Straße, da sie mitreden will, da keine Politik für sie gemacht würde, sondern stattdessen Politik auf Kosten von Ängsten und Sorgen in der Gesellschaft (zb. bei den Themen Migrationsfrage, Existenzsicherung, Arbeitsplatz). Die Politik würde nur darauf schauen, sich selbst abzusichern, ein Umdenken ist aber möglich, denn die Stimme zu erheben hat sehr viel Macht und die Klimafrage führt dazu, dass die jungen Menschen Druck auf die Politik ausüben. Die Jungen wollen von der Politik erzwingen, dass sie Ihre Lebensgrundlage sichern und sie erklärt den Bürgern, dass sie nicht machtlos sind.

Politik im Kleinen am Stammtisch und mit Menschen direkt zu sprechen um sie zu informieren und um sich mit Ihnen auszutauschen ist sehr wichtig. Die Unterscheidung im digitalen Zeitalter ob etwas fake news ist oder nicht ist schwer geworden, Bildung ist daher sehr wesentlich und sie erinnert, dass Wissenschaft immer ein Korrektiv war und damit eine Bedrohung für den kurzsichtigen Populismus ist, der verkürzte Antworten gibt.

Bei der Medienlandschaft in Österreich – vor allem beim Boulevard – sei leicht zu sehen, wo die politische Tendenz hingeht, die Inseratenpolitik der rechten Parteien ist hinterfragenswert und dem Populismus gelte es etwas entgegenzusetzen.

Für sie als Grüne ist direktes miteinander Reden und Kommunizieren sowie eine Plattform für niederschwellige Diskussionen sehr wichtig, auch wenn es eine demokratisch Herausforderung sei, komplexe Zusammenhänge aufzugreifen. Sie habe daher den „Wiener Streitclub“ initiiert, der ein Mal im Monat in der Roten Kapelle stattfindet und Diskurs aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Diese Veranstaltungsreihe wird gestreamt und oftmals auch vom Lokalsender Okto übernommen. Sie lade dabei bewusst Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Lagern ein, die miteinander und mit dem Publikum in Dialog treten, es gehe auch darum mit Persönlichkeiten ins Gespräch zu kommen, mit denen man sonst nicht reden würde.

Den Dialog mit Andersdenkenden zu suchen ist sehr wichtig für sie: diese dürfe man nicht aufgeben, man müsse auch auf Facebook miteinander in Dialog treten und sie erzählt, dass sie damit gute Erfahrungen gemacht hat.

Philosophisch gesehen gehe es um die Befreiung aus der Unmündigkeit im Kantschen Sinne und die Furcht vor der Freiheit im Sinne von Erich Fromm.

Politik habe sehr viel mit dem Alltagsleben zu tun, die Gesellschaft ist zerbrechlich, man solle die Menschen direkt drauf ansprechen welche Zukunft sie haben wollen. Ihr Umgang mit ihrer eigenen individuellen Verantwortung ist ihr wichtig, denn die Politiker hätten Vorbildwirkung und sie macht klar:

„Wir dürfen nicht die Ankläger der Leute sein, wenn sie etwas falsch machen, sondern Ihre Vertrauensleute“, denn die politischen Rahmenbedingungen müssen passen damit die Menschen Verantwortung übernehmen können, Stichwort Verkehrsbereich: Individualverkehr versus öffentlicher Verkehr. Mit dem Auto fahren oder Fleisch zu essen ist per se nicht schlecht, auch wenn sie selbst seit 25 Jahren Vegetarierin ist, bringt sie Respekt für die Entscheidung anderer auf und möchte auch in Zukunft nicht dogmatisch agieren.

In unserem sehr temporeichen Zeitalter, dürfe man die Verantwortung nicht auf das Individuum abwälzen. Diese Haltung der Grünen war in der Vergangenheit nicht sinnvoll, und Sie hält fest:

„Du brauchst Deine Freiheit, du brauchst Demokratie, du musst dich selbst wahrnehmen als Individuum in einer solidarischen Gesellschaft wo du Verantwortung übernehmen musst, ansonsten funktioniert das Zusammenleben nicht.“

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Kitchen Talk – Mag. Dr. Ewa Dziedczic-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY SA 4.0