Entspannter Veganismus

Gesellschaft

Der klischeehafte Vorwurf, kein Veganer könne zehn Minuten durchhalten, ohne auf sich aufmerksam zu machen, kommt nicht von ungefähr – und liegt doch meilenweit daneben. Der Großteil der Veganer und Vegetarier lebt ruhig und friedlich seinen Überzeugungen entsprechend und gibt nur auf Anfrage Auskunft. Aggressive Bekehrungsversuche, Anschuldigungen und Vorwürfe muss von ihrer Seite niemand befürchten.

Aus naheliegenden Gründen werden medial viel lieber die unvernünftigsten und unsympathischsten Vertreter dieser eigentlich sanftmütigen Philosophie gezeigt, zerpflückt und diskutiert – schließlich ist das Ziel Sensations- und Unterhaltungswert, und nur in den allerseltensten Fällen echter Wille zu Aufklärung oder ernsthafter Diskussion. Auch die durchaus beachtlichen Werbegelder der Viehwirtschaft mögen hier eine Rolle spielen.

Dennoch gibt es in jeder Bewegung Eiferer, Prediger, Reiter auf sehr hohen Rössern und auch schlichtweg Leute, die mit besten Absichten versuchen, Türen einzurennen, die sich gerade erst einen Spalt breit geöffnet hätten (und daraufhin stattdessen verbarrikadiert werden). Angesichts einer oft sehr arrogant präsentierten Kompromisslosigkeit, welche nur vollkommenen Verzicht als moralisch akzeptabel betrachtet, ist Resignation verständlich (und empörter Widerspruch wenig überraschend).

Doch wo ist der Mittelweg zwischen gedankenlosem täglichem Verzehr billigster tierischer Produkte (die der Umwelt und den Menschen in anderen Ländern einen grauenhaften Preis abverlangen) und – auf der anderen Seite des Spektrums – der kategorischen Weigerung, auch nur den kleinsten Partikel tierischen Ursprungs zu sich zu nehmen oder am Körper zu tragen? Ist es wirklich zulässig, eine Weigerung, diesen Aufwand auf sich zu nehmen, als Mangel an moralischem Verantwortungsgefühl zu deuten?

Wer nämlich behauptet, sich streng vegan zu ernähren sei einfach, hat entweder überdurchschnittlich viel Zeit und Geld oder sehr geringe Ansprüche bezüglich Abwechslung, Nährwert und Schmackhaftigkeit. Die Wahrheit ist, dass neben einigen tatsächlich sehr einfachen und billigen Gerichten (derer man aber rasch überdrüssig ist), ein erheblicher finanzieller und/oder zeitlicher Aufwand nötig ist, um sich gesund und genussvoll vegan zu ernähren.

Indisches Curry

Hier ist durchaus nicht von überteuerten und meist ohnehin langweiligen Schnitzel- und Wurstalternativen die Rede. Wenn diese Produkte Milch oder Ei enthalten, sind sie leider de facto mit ebenso viel Tierleid behaftet wie Fleisch. Aber auch die – hierzulande ohnehin noch in eher magerer Auswahl erhältlichen – wirklich veganen Fleischersatzprodukte eignen sich nicht als Hauptnahrungsquelle. (Ebensowenig wie das Fleisch, das sie ersetzen! Gemüse sollte in jedem Fall den Großteil des Volumens einer gesunden Mahlzeit ausmachen.)

Penne mit Huhnersatz

Im Alltag kommt man somit jedenfalls nicht darum herum, selbst zu kochen, und benötigt für fast alle vertrauten Speisen Milchersatzprodukte auf Pflanzenbasis. Nichts davon ist so günstig wie herkömmliche Milchprodukte (wofür es übrigens absolut keinen vernünftigen Grund gibt). Und nicht zuletzt kostet Gemüse seinen stolzen Preis; es sei denn, man hat wiederum sehr viel Zeit, um nach Schnäppchen zu jagen. Von Tofu, Cashewnüssen, Avocados (letztere zwei sind in der gehobenen Veganküche als Basis für Cremes und Saucen gang und gäbe) und Käseersatz ganz zu schweigen.

Um fair zu bleiben: Abwechslungreich und gesund selbst zu kochen, ist (außer man bereitet sehr große Mengen zu) auch ohne Verzicht auf tierische Produkte teuer und zeitaufwendig. Es ist zwar gesundheitlich unvergleichlich besser, Kontrolle über Zusammensetzung, Inhaltsstoffe und Zutaten zu haben, und macht wesentlich umweltfreundlichere Entscheidungen möglich – dennoch ist es durch die realen Lebensumstände vieler arbeitender Menschen ein valider Ausschlussgrund.
Beans & Toast
Nicht vegan – aber ovo-lacto-vegetabil, schnell und gut

Zusammenfassend kann man sagen: Mit dem Rat „so vegan, wie es zu schaffen ist“ bewirkt man sicher am meisten. Es spart Aufruhr bei Familienfesten. Es ist praktikabel, zumutbar und führt zur Bewusstseinsbildung ohne Antagonisierung und Schuldzuweisungen. Jeder kann mitmachen und dadurch mehr Nachfrage nach veganen Produkten generieren, was zu mehr Vielfalt, besseren Preisen und intelligenteren Lösungen führt. Und nicht zuletzt erspart es einem den Pauschalverdacht bei Ärzten, die dann jegliches gesundheitliche Leiden auf Mangelernährung zurückführen wollen. (Und tatsächlich ist es ein Irrtum zu denken, dass „vegan“ auf jeden Fall automatisch „gesund“ bedeute – allerdings gilt für herkömmliche Ernährung das Gleiche: Auf Abwechslung und Nährstoffbalance ist in jedem Fall zu achten.)

Der moralische Mehrwert

Was unsere geistige Entwicklung hin zu Friedfertigkeit und gelebter Sanftmut (bitte nicht mit Wehrlosigkeit und Passivität zu verwechseln!) betrifft, so liegt es nahe, dass ein kompromissloses Ablehnen jeglichen Schadens an anderen Lebewesen auch unsere Einstellung anderen Menschen gegenüber positiv beeinflussen würde. Allenthalben wird argumentiert, das Leid der Tiere dürfe uns kein Anliegen sein, solange Menschen leiden – doch diese beiden Dinge gehen klar Hand in Hand. Grausamkeit undenkbar zu machen, rettet beide.

Eine nachhaltige, respektvolle und artgerechte Viehwirtschaft kann indes sogar Gutes bewirken, wie etwa die Aufwertung verwüsteter Böden – schließlich sind auch die Ahnen unserer Haustiere Teil ihres jeweiligen Ökosystems gewesen. Würden wir Fleisch im Alltag höchstens als kleine, geschmacksgebende Zutat verwenden und Milchprodukte großteils durch pflanzliche Alternativen ersetzen (was für unsere eigene Gesundheit definitiv besser wäre), so wäre umweltgerechte Tierhaltung in kleineren und lokaleren Betrieben durchaus machbar und ausreichend. Dieser Schritt erscheint mir zwingend, bevor die Grundsatzdebatte geführt werden kann.

Credits

Image Title Autor License
02_beans-toast-1 02_beans-toast-1 Nikolaus Manoussakis CC BY-SA 4.0
03_Huhnersatz 03_Huhnersatz Nikolaus Manoussakis CC BY-SA 4.0
01_indisches-Curry Nikolaus Manoussakis CC BY-SA 4.0
30285155747_61c3dac3e7_o Marco Verch CC BY 2.0

Diskussion (2 Kommentare)

  1. Hallo Serena

    Du kannst dir eine Hafermilch selber machen – in wenigen Minuten und für ein paar Cent.

    Übrigens sind wir Menschen dazu geeignet, uns wie unsere genetisch nähersten Verwandten – die Bonobos – rein von Früchten zu ernähren.

    Gemüse steht eigentlich überhaubt nicht auf unserem Speiseplan, oder allenfalls als Notnahrung. So wie das mit Fleisch und allem anderen ist.

    Beeren eignen sich hervorragend für den menschlichen Verzehr.

    Für nähere Infos siehe auch hier:
    http://funkyimg.com/i/2MqSs.jpg

    Alles gute

  2. Eine nachhaltige, respektvolle und artgerechte Viehwirtschaft kann indes sogar Gutes bewirken, wie etwa die Aufwertung verwüsteter Böden – schließlich sind auch die Ahnen unserer Haustiere Teil ihres jeweiligen Ökosystems gewesen. Würden wir Fleisch im Alltag höchstens als kleine, geschmacksgebende Zutat verwenden und Milchprodukte großteils durch pflanzliche Alternativen ersetzen (was für unsere eigene Gesundheit definitiv besser wäre), so wäre umweltgerechte Tierhaltung in kleineren und lokaleren Betrieben durchaus machbar und ausreichend.

    >>

    Erstens sind die Böden größenteils indirekt und direkt durch den Wirkungsgradverlust in den tierischen Lebensmitteln durch diese entstanden. Dies ist also eine Scheinlösung, die überhaupt nicht nötig wäre, wenn die Menschen gar nicht gegen ihre Natur verstossen würden.

    Zweitens gibt es andere Methoden. (Bio-Meiler, die noch dazu Energie liefern, usw)

    Drittens muss ich Tiere nicht schlachten, um sie irgendwo grasen zu lassen. Ich kann auf meinem Grund auch ein paar Tiere halten, einfach weil ich sie süss und ihre Anwesenheit für den Boden gesund ist.

    „Halten wir uns ein paar Tiere, lassen sie den Boden aufbessern und schlachten wir sie nachher ein bisschen“ halte ich für genau den Ansatz, der den heutigen Tatsachen wortwörtlich den Nährboden bietet.

    Wehret den Anfängen.