„Fair Fashion“ als Antwort auf Ausbeutung

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Wirtschaft

Wie kaum eine andere Branche ist die Textilindustrie in den letzten Jahren wegen Hungerlöhnen und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den „Sweatshops“ in ein schlechtes Licht geraten. Im ersten Teil dieser Serie wurde das Problem ausführlich erläutert.

Doch was wäre die Lösung? Dass Textilien in Entwicklungs- und Schwellenländern produziert werden, ist an sich nicht schlecht – auf diese Art werden dort Arbeitsplätze geschaffen, Geld kommt ins Land. Die Tätigkeit in der Textilindustrie ist leicht zu erlernen und könnte auch Menschen mit niedriger Schulbildung und ohne Berufsausbildung eine Chance auf ein Einkommen bieten. Wenn Arbeitszeiten und andere Bedingungen stimmen würden, wäre ein Job an der Nähmaschine für eine Frau, die ansonsten wenig Chancen auf eine Beschäftigung hat, eine gute Sache.

Aber nur menschenwürdige Löhne wären geeignet, die dort lebenden Menschen aus der Armut zu befreien, ihren Kindern eine bessere Schulbildung zu ermöglichen und den Gesellschaften insgesamt eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu bringen. Niemand erwartet, dass eine Textilarbeiterin mit ihrer Arbeit reich wird, aber sie sollte sich und ihrer Familie damit ein bescheidenes Auskommen sichern können. Wenn es gelänge, ein existenzsicherndes Lohnniveau bei akzeptablen Arbeitsbedingungen durchzusetzen, könnte man Kleidung „Made in Bangladesh“ oder „Made in Ethiopia“ durchaus guten Gewissens kaufen!

Durch Dokumentationen wie etwa den Film „The True Cost“ und zahlreiche Artikel in Zeitungen, Magazinen und Online-Medien ist das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in den Abnehmerländern inzwischen allgemein bekannt. Das bleibt nicht ohne Wirkung:

Viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen inzwischen keine Kleidung mehr kaufen, die einen derart verheerenden Hintergrund hat. Die Konzerne geraten unter Druck – und natürlich haben sie längst Strategien entwickelt, um ihren ramponierten Ruf zu verbessern!

Eine dieser Strategien ist die Verlegung der Produktion, die sich zuletzt vor allem in Südasien konzentriert hat, nach Europa, vor allem in ost- und südosteuropäische Länder. Doch auch „Made in Europe“ ist keine Garantie für faire Arbeitsbedingungen. So berichtet die „Clean Clothes Campaign“ im Januar 2017 in ihrem Bericht „Europas Sweatshops„, dass die Bedingungen in Ländern wie Ungarn, Serbien oder der Ukraine ähnlich schlecht seien wie in Asien oder Afrika: So betrage etwa in Serbien der durchschnittliche Lohn in der Bekleidungsindustrie (der sogar etwas höher als der gesetzliche Mindestlohn ist) mit umgerechnet gut 200 Euro pro Monat nicht einmal ein Drittel der tatsächlich benötigten Lebenshaltungskosten, die auf rund 650 Euro geschätzt werden. In der Ukraine werde sogar weniger als ein Viertel des Existenzminimums gezahlt, selbst in Ungarn sieht die Situation ähnlich schlecht aus (wenn auch auf insgesamt höherem Niveau).

Der gesetzlich festgelegte Mindestlohn (sofern es überhaupt eine solche Festlegung gibt) liegt dieser Reportage zufolge in allen untersuchten Ländern weit unter dem tatsächlich benötigten Minimum (zwischen 10 und 40% davon). Und selbst dieser Mindestlohn werde oft nicht gezahlt, die Vorschriften mit Tricks umgangen: „Nur wenige Beschäftigte haben Arbeitsverträge, Überstunden werden nicht gesetzeskonform entlohnt“, heißt es in der  Zeitschrift „Konsument“ im Januar 2018.1 Arbeitsrechtliche Vorschriften würden entweder unterlaufen oder seien überhaupt viel zu lasch: „In den meisten Fabriken herrscht eine Atmosphäre der Einschüchterung, die Androhung von Kündigung ist allgegenwärtig.“

Demnach herrschen in den europäischen Produktionsländern genau dieselben Probleme wie in Bangladesch, Vietnam oder Äthiopien. Das Problem muss also anders angefasst werden.

Absichtserklärungen der Bekleidungsindustrie sind durchaus vorhanden:

Everyone should be treated with respect and the suppliers should offer their workers fair wages and good working conditions,

heißt es dazu etwa bei H&M.2 2013 hat der Konzern, der aufgrund seiner aggressiven Preispolitik besonders in der Kritik steht, mit seiner „fair living wage strategy“ öffentlich versprochen, bis 2018 dafür zu sorgen, dass alle Arbeiterinnen in seinen Lieferketten existenzsichernde Löhne erhalten würden – das Versprechen galt damals als wegweisender Ansatz und brachte H&M einiges an Vorschusslorbeeren ein.

Viel ist seitdem jedoch nicht geschehen: Von H&M selbst sind bislang keine substanziellen Ergebnisse veröffentlicht worden, wie die TAZ bemängelt.3 Die „Clean Clothes Campaign“ ging der Frage mit einer Studie, die auf Interviews in den Produktionsländern beruht, nach und kam zu einem vernichtenden Ergebnis: „Keine*r der interviewten Arbeiter*innen verdient auch nur ansatzweise einen existenzsichernden Lohn“, heißt es dort, und weiter:

In allen untersuchten Fabriken fürchten die Arbeiter*innen schwerwiegende Konsequenzen, wenn sie sich in Gewerkschaften organisieren.

Auch FashionUnited sieht das Versprechen von H&M als nicht erfüllt an:4

Seither ist es bei H&Ms Fair Living Loan Initiative eher ruhig geworden in Bezug auf die Pläne, den Bekleidungsarbeitern einen gerechten, existenzsichernden Lohn zu zahlen. Dies wirft Fragen auf, wie aufrichtig das Versprechen wirklich gemeint war.

Selbstverpflichtungen der Konzerne bringen also offenbar nicht viel, und gesetzliche Vorschriften sind in einer stark globalisierten Industrie, die flexibel von einem Land zum anderen hüpft, wenn es irgendwo zu kompliziert wird, nur schwer durchzusetzen. Bleibt als wirklich starker Hebel vor allem das Kaufverhalten der Konsumenten: Erst wenn unter unzureichenden Bedingungen produzierte Kleidung nicht mehr absetzbar ist, wird sich wirklich etwas ändern!

Analog zum Fast Food wird von Aktivisten für konventionell produzierte Bekleidung der Begriff „Fast Fashion“ verwendet, der Gegenentwurf heißt „Fair Fashion“. Bei „Fair Fashion“, die ihrem Anspruch gerecht wird, geht es zudem nicht nur um gerechte Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, sondern auch um die Erzeugung der Rohstoffe (meist wird die Verwendung von Baumwolle aus biologischem, nachhaltigem Anbau vorausgesetzt) und hohe Umweltstandards bei der Verarbeitung, also vor allem den Verzicht auf Giftstoffe.

Doch besteht hier die Gefahr, dass Konsumenten durch „Greenwashing“ und irgendwelche Fantasie-Gütesiegel, die letztlich nicht viel wert sind, getäuscht werden. Damit man Textilien, die mit hohen Standards erzeugt wurden, auf einen Blick erkennen kann, gibt es dafür inzwischen etablierte Qualitätssiegel.

Am weitesten verbreitet ist das GOTS-Siegel, dem das Onlinemagazin Utopia.de ein gutes Zeugnis ausstellt. Das GOTS-Siegel bezieht sich in erster Linie auf Umweltstandards, bezieht aber auch Bezahlung und Arbeitsbedingungen in seinen Anforderungskatalog mit ein. Noch etwas höhere Ansprüche in allen Aspekten stellt das IVN-Siegel „Naturtextil best“, das aber nicht ganz so verbreitet ist. Ausschließlich auf den Sozialbereich konzentriert sich der „Fairtrade Textilstandard“, der den Umweltaspekt außer Acht lässt. Weitere Textilqualitätssiegel sind auf  www.siegelklarheit.de aufgelistet.

Auf utopia.de/bestenlisten und utopia.de/ratgeber gibt es eine detaillierte Auflistung von Marken und Shops mit hohen Standards.

Konzerne wie H&M lassen zumindest Bemühungen erkennen, die Probleme ihres Geschäftsmodells zu lösen – die Ergebnisse sind aber offenbar bislang recht dünn. Derzeit garantiert nur zertifizierte „Fair Fashion“ wirklich hohe Produktionsstandards.

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1 https://www.konsument.at/bekleidungsindustrie022018
2 http://about.hm.com/en/sustainability/sustainable-fashion/working-conditions.html
3 http://www.taz.de/!5426931/9
4 https://fashionunited.de/nachrichten/mode

Credits

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Lome_Seamstresses_21876176085 Lome_Seamstresses_21876176085 David Stanley CC BY 2.0

Diskussion (4 Kommentare)

  1. Danke für die Recherche. Ich vermisse bei der Auflistung der Qualitätssiegel die Gemeinwohl Bilanz. Ist die zur Textilindustrie noch nicht durchgedrungen oder steckt sie generell noch so weit in den Kinderschuhen, dass sie nicht etabliert genug ist?

    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich bin bei meinen Recherchen zum Thema Fair Fashion nicht auf die Gemeinwohl-Bilanz gestoßen. Es gibt offenbar kein Qualitätssiegel für Textilien von der Gemeinwohl-Bilanz, weil diese keine Produkte bewertet, sondern Unternehmen. Auf https://www.ecogood.org/de/community/pionier-unternehmen/ sind tatsächlich einige Textilhersteller aufgelistet, die aber offenbar alle sehr klein sind.

      1. Hmmmmm… zu Ihrem Statement dass die Gemeinwohlbilanz keine Produkte bewerte:
        auf https://www.ecogood.org/de/gemeinwohl-bilanz/
        (ganz unten) steht … „Auditierte Unternehmen können diese Kennzeichnung sowie die erreichte Punktezahl auch auf der Produktebene anführen.“
        Habe ich vielleicht diese Aussage falsch verstanden? Das klingt für mich wie ein Qualitätssiegel, das direkt auf einem Produkt ersichtlich ist. So wie fairtrade oder ama Gütesiegel o.ä. Und das dem Käufer als Entscheidungshilfe dient, und einem Gewissheit gibt, dass man seinen Geldschein richtig einsetzt. Denn der ist ja bekannticherweise unser Stimmzettel 😉

        1. Möglicherweise ist es auch unnötige Erbsenzählerei, darüber zu streiten, ob die Gemeinwohlbilanz das Unternehmen oder die Produkte bewertet. Im Textilbereich scheint diese Zertifizierung bisher jedenfalls keine allzu große Bedeutung zu haben, obwohl sicherlich wünschenswert wäre, dass sich das ändert.