Irom Sharmila: die „Eiserne Lady“

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Gesellschaft

Konsequenz war schon immer meine Devise. Nicht, weil sie ein Trend oder ein besonderer Zustand sein könnte, sondern weil es wirklich schwierig ist, ihrer treu zu sein. Ich denke, vielen Menschen erscheint es normal, ihre Entscheidungen hinauszuzögern und zu überdenken, wenn sie nach vielen konstanten Bemühungen  keine Aussicht auf Erfolg haben.

Und ein solches Umdenken – man kann es als eine Art Kompromiss der Ausdauer bezeichnen – ist dann Teil unseres Verständnisses von Pragmatismus. Natürlich ist es keine leichte Aufgabe, unseren Überzeugungen und damit den Entscheidungen und Vorgehensweisen, die wir in dieser Hinsicht treffen, wahrhaftig treu zu bleiben. Nur wenige besitzen m.E. den Mut, ihren Weg aus Überzeugung konsequent fortzusetzen.

Ich befand mich an der Uni, als ich zum ersten Mal von Irom Sharmila hörte. Ich hatte von ihr das Bild einer normalen Frau, einer Bürgerrechtlerin, die für die Sache ihres Volkes kämpfte. Ja, offensichtlich war sie mutig und motiviert, als sie damit begann, gegen die indische Regierung aktiv zu werden. Doch Menschen wie sie gibt es zuhauf – Menschen, die zugunsten gewisser Bürgerrechte gegen den Staat vorgehen. Somit war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Person, für die ich besonderes Interesse oder Bewunderung hegte.

Mit der Zeit entwickelte sie sich aber zu einer Ikone für mich. Eine Ikone der Ausdauer und des öffentlichen Widerstandes. Sie ist ein Mädchen aus einem kleinen Dorf, das im Alter von 28 Jahren den indischen Staat übernahm.

Irom Sharmila stammt aus Manipur, einem Staat in der nordöstlichen Region Indiens. Manipur leidet seit Langem unter Aufständen und der daraus resultierenden politischen Gewalt. Sharmila war in lokalen Friedensbewegungen involviert und setzte sich gegen Menschenrechtsverletzungen in Manipur ein. Ihre Reise, auf der sie Ausdauer und Eifer in der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen auf internationalem Terrain bewies, begann aber erst nach dem „Malom Massaker„.

Am 5. November 2000, nach dem Malom-Massaker, begann sie aus Protest gegen die Grausamkeiten seitens der Armee zu fasten. Das Erstaunliche dabei ist, dass der gesamte Zeitraum ihres Fastens bis 2016 andauerte. Sechzehn Jahre lang fasten für eine Sache, an die sie glaubt – daraus lässt sich schnell erschließen, dass ein Mensch dafür wirklich den nötigen Biss haben muss.

Sharmilas Fasten war ein Protest gegen den Armed Forces (Special Powers) Act (AFSPA) mit der Hauptforderung  an die indische Regierung, den AFSPA aufzuheben. Dieses Gesetz gilt ausschließlich für die sieben nordöstlichen Staaten sowie für den Staat Jammu und Kaschmir, da in diesen Gebieten schon lange Aufstände herrschten.

Sharmila verkündete, bis zur Aufhebung des AFSPA seitens der indischen Regierung nichts mehr zu essen, nichts mehr zu trinken, ihre Haare nicht mehr zu kämmen und sich auch nicht mehr im Spiegel anzuschauen. Bereits am dritten Fastentag wurde sie von der Polizei wegen „Selbstmordversuchs“ verhaftet, was nach indischem Strafgesetzbuch rechtswidrig ist und auch der Grund dafür war, dass sie in Untersuchungshaft genommen wurde. Es wurde ihr eine Magensonde aufgezwungen, um sie während ihrer Haftzeit am Leben zu erhalten. Ab diesem Zeitpunkt wurde Sharmila in regelmäßigen Abständen aus der Haft entlassen und bis 2016 wieder arrestiert. Sie war in der Obhut des Imphals Sajiwa Zentralgefängnisses, doch ihre Zeit verbrachte sie größtenteils im Jawaharlal Nehru Institute of Medical Sciences in der Stadt.

Nach ihrer verfahrensrechtlichen Entlassung im Jahr 2006 setzte Sharmila ihren Protest in Neu-Delhi, der Hauptstadt Indiens, fort. Gemeinsam mit vielen anderen Demonstranten fastete sie im Jantar Mantar. Darauf folgte eine erneute Verhaftung, doch diesmal erregte ihr Hungerstreik internationale Aufmerksamkeit.

Sharmila wählte den gewaltfreien und friedlichen Weg des Protestes. Und ich glaube, wir sind uns einig, behaupten zu können, dass dies der schwierigste Weg ist. Mahatma Gandhi war ein Vorreiter dieser Form des Protestes. Als Sharmila das erste Mal fastete, konnte sie noch nicht wissen, dass ihre Reise sechzehn Jahre lang dauern würde. Es mag wohl nicht an ihrer Entschlossenheit gelegen haben, dass der AFSPA aufgehoben wurde, aber es war ihr doch gelungen, das Thema zu internationalisieren und die Menschen weltweit für diese Situation zu sensibilisieren. Darüber hinaus ist Sharmilas Biss zu einer Quelle der Inspiration für viele Bürgerrechtler in Indien geworden. Ihr Ruhm als Symbol für Widerstand wuchs dermaßen stark an, dass man sich enttäuscht zeigte, als sie mit dem Fasten aufhörte. Sie beendete ihre Fastenzeit genau einen Monat nachdem das Urteil des Obersten Gerichtshofs die Immunität des Sicherheitspersonals nach dem Armed Forces (Special Powers) Act of 1958 (AFSPA) gegen die Strafverfolgung wegen Handlungen in gestörten Gebieten in Frage stellte.

Sharmila beschloss, sich um die Politik in Manipur zu kümmern und nahm an Landtagswahlen teil mit dem Ziel, sich für die Aufhebung der AFSPA einzusetzen. Jedoch gewann sie nicht genug Stimmen und verlor die Wahl. Nach dieser Wahl gab Sharmila bekannt, ihr Engagement in der Politik zu beenden.

Irom Sharmila wurde 2007 mit dem Gwangju-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet, 2009 mit dem Mayillama-Preis der Mayillama-Stiftung – einem Lebenswerk der Asiatischen Menschenrechtskommission – und 2010 mit dem Rabindra Tagore Peace Preis. Im Jahr 2013 erklärte Amnesty International sie zum „Häftling aus Gewissensgründen“.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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