Roma – die unterschätzte Minderheit

Gesellschaft

Veranstaltungsdaten

Datum
8. 11. 2018
Veranstalter
Verein Romano Centro, Wien
Ort
Haus der Europäischen Union, Wien
Veranstaltungsart
Podiumsdiskussion
Teilnehmer
Georg Pfeifer, Leiter des Verbindungsbüros des Europ-Parlaments in Österreich
Sheena Keller, Wissensch. Mitarbeitern FRA (Agentur der EU für Grundrechte)
Gabriela Hrabanova, Direktorin ERGO Network (Brüssel)
Ciprian Necula, Soziologe und Aktivist
Péter Niedermüller, Ungarischer Abgeordneter im EU-Parlament
Dijana Pavlovic, Aktivistin, Italien
Alviaz Vaiya, Koordinator ARDI (Arbeitsgruppe Antirassismus und Diversität, Europ. Parlament)
Mirjam Karoly, Politologin, Moderation

Die Roma sind die größte Minderheit Europas. Dennoch leiden sie in besonderem Maß unter Diskriminierung und Ausgrenzung und sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen. Eine international besetzte Podiumsdiskussion im Haus der Europäischen Union in Wien brachte das Problem, aber auch Ansätze zu dessen Lösung zur Sprache.

Mirjam Karoly vom Verein Romano Centro wies in ihrer Keynote darauf hin, dass die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere auch von Minderheiten, ein wichtiger Grundsatz der EU sei. Ihr Verein beobachte in vielen Ländern Europas einen steigenden Antiziganismus, der von den Regierungsverantwortlichen allzu oft ignoriert, wenn nicht sogar absichtlich gefördert werde. Sie betonte, dass Roma in besonderem Maß unter dem Erstarken des Rechtsextremismus leiden würden.

In den Staaten der EU leben insgesamt schätzungsweise 12 Millionen Roma. Die EU-Kommission beschloss 2011 eine Rahmenstrategie, mit der sich alle Mitgliedsstaaten verpflichten, bis Ende 2020 konkrete Maßnahmen zur besseren Integration der Roma umzusetzen. Die Moderatorin Mirjam Karoly leitete die Diskussion mit der Frage ein, was bisher in dieser Hinsicht erreicht wurde.

Sheena Keller von der EU-Grundrechtsagentur FRA nannte einige Zahlen, die ihre Institution in den letzten Jahren erhoben habe, um konkrete Kennzahlen für die Situation der Roma und deren Veränderung zu haben. So habe es etwa bei der Schulbildung von Romakindern tatsächlich eine leichte, aber doch deutlich messbare Verbesserung gegeben. Dennoch liege die Schulbildung bei Roma immer noch weit unter der der Gesamtbevölkerung, und oft würden ihre Kinder an Schulen durch die Bildung spezieller „Romaklassen“ ausgegrenzt. Das größte Problem sei aber nach wie vor die enorm hohe Arbeitslosigkeit unter den Roma, die Jugendarbeitslosigkeit habe in den letzten Jahren sogar stark zugenommen. Auch seien Diskriminierung und Gewalt für viele Roma nach wie vor völlig alltägliche Erfahrungen.

Ciprian Necula, Soziologe und Roma-Aktivist aus Rumänien, begann seinen Diskussionsbeitrag mit der Feststellung, dass über Roma üblicherweise einerseits als Opfer oder andererseits als Kriminelle gesprochen werde. Auch er sieht die Ausgrenzung als Problem: In Rumänien würden Roma immer als Roma bezeichnet, nie aber einfach als Rumänen. Doch die Situation sei besser, als sie im Allgemeinen wahrgenommen werde: In seinem Heimatland seien Roma vor nicht allzu langer Zeit noch Sklaven gewesen, heute seien viele von ihnen in hohen Positionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vertreten. Auf der lokalen Ebene gebe es viel erfolgreiche Roma-Politiker, die auch von Nichtroma gewählt würden.

Zugang zur Macht ist ein Schlüsselelement für Roma-Communities,

so der charismatische Aktivist, der sich selbst als „Anwalt der Roma“ sieht.

Dijana Pavlovic, Roma-Aktivistin aus Italien mit serbischer Abstammung, sprach über die Ankündigung des italienischen Innenministers Salvini, der im Juni 2018 seine Absicht erklärt hatte, Roma „registrieren“ zu wollen1  – eine Ankündigung, die vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Verfolgung der Roma sehr starke Reaktionen in ganz Europa hervorgerufen hatte. Darunter sei aber auch viel Solidarisierung mit den Roma zu beobachten gewesen.

Roma, die in Italien in Slums leben, haben auf ihren Smartphones Bilder von Demonstrationen vor der italienischen Botschaft in Bukarest gesehen,

so Pavlovic. Diese Solidarität zu erleben, sei für sie enorm wichtig gewesen. Eine Registrierung der Roma sei in Italien rechtlich gar nicht möglich, so Pavlovic; Salvinis Forderung sei daher eher als Signal an seine Anhängerschaft zu verstehen und nicht als konkretes Vorhaben.

Die Leute suchen nach jemandem, dem sie die Schuld geben können. Und die Roma sind perfekt dafür,

sagte sie, aber auch: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die größte Minderheit Europas sind und wirklich stark sein könnten, wenn wir zusammenhalten würden.

Peter Niedermüller, ungarischer Abgeordneter im Europaparlament, wollte die vorsichtig optimistische Grundstimmung seiner Vorredner nicht so richtig teilen: „Wir haben viele gute Beispiele gehört, aber ich bin weit pessimistischer.“ Natürlich gebe es viele Roma, die es in hohe Positionen geschafft haben, „aber das ist ja nicht die Mehrheit.“ Die Verbesserung der Lebensumstände sei die wichtigste Herausforderung, weil Roma in Europa nahezu überall und in allen Bereichen massiv benachteiligt seien. Trotz aller Bemühungen habe sich hierbei in den letzten Jahren kaum etwas getan.

Die Roma sind genauso Bürgerinnen und Bürger Europas wie alle anderen auch.

Mit diesen Worten betonte er das eigentlich Selbstverständliche.

Alfiaz Vaiya, Koordinator der Arbeitsgruppe Antirassismus und Diversität im EU-Parlament, sieht es als Fehler an, immer nur die Rechtsextremisten zu beobachten:

Was wir beobachten müssen, ist, wie die breite Masse auf die Rechten reagiert.

Man müsse sich um die 57 Prozent der Bevölkerung kümmern, die nicht eindeutig auf ein politisches Lager festgelegt seien. In Österreich sei die Reaktion der moderaten Politiker auf die Rechten allerdings „sehr schwach„.

Die tschechische Aktivistin Gabriela Hrabanova wies auf das hin, was die Roma stark machen könne:

Wir Roma haben sehr starke Verbindungen untereinander. Die Probleme, denen wir begegnen, vereinen uns.

Sie berichtete von Entwicklungsprojekten auf lokaler Ebene in Rumänien, Bulgarien und Tschechien. Auf der lokalen Ebene hätten die Leute die Chance, aktiv zu werden: „Wir wollen die Roma dazu bringen, selbst zu sagen, was sie brauchen.“ Antiziganismus sei kein Problem der Roma, es sei ein Problem der Mehrheitsgesellschaft. „Das ist das größte Signal, das wir senden müssen!“, so die eloquente Aktivistin. Hrabanova berichtete von einer beispielhaften Aktion in ihrer tschechischen Heimat: In Reaktion auf das verbreitete Vorurteil, die meisten Roma würden nicht arbeiten, habe es einen Aufruf in den sozialen Medien gegeben. Daraufhin hätten zahllose Roma Bilder gepostet, die sie bei ihrer jeweiligen Arbeit zeigen – eine Aktion, die ein enormes Medienecho in Tschechien und teilweise auch in anderen Ländern hervorgerufen habe.

Das Podium war international besetzt; zudem waren viele der Diskutanten selbst Roma. Hier wurde also nicht nur über Roma geredet, sondern auch durch Roma. Neben allen Problemen, die keiner der Beteiligten herunterspielte, war dabei auch viel kämpferischer Optimismus zu spüren.

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1 https://derstandard.at/2000081853053/

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Diversität in der EU – Testfall Roma Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments/APA-Fotoservice/Bargad ©Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments