Das Bedingungslose Grundeinkommen: Zukunftsvision oder Sozialutopie?

BGE
Politik

Seit einigen Jahren ist das Bedingungslose Grundeinkommen (abgekürzt BGE) Teil der öffentlichen Debatte. Es soll allen Menschen ein Leben bieten, das unbelastet von finanziellen Sorgen ist und die Gesellschaft auf diese Weise radikal verändern. Doch ist das realistisch?

Die Idee des BGE ist, dass alle Menschen von der öffentlichen Hand jeden Monat einen Betrag erhalten, der ihnen eine materielle Existenzsicherung bietet. Im Unterschied zu bisher üblichen Sozialleistungen soll das BGE für jeden in gleicher Höhe ausgezahlt werden und nicht an die Bedingung einer irgendwie gearteten Bedürftigkeit wie Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit geknüpft sein – eben „bedingungslos“.

Der zweite ganz wesentliche Unterschied zu den bisherigen Sozialleistungen: Das BGE würde (seiner Grundidee nach) zusätzlich zum Arbeitseinkommen und unabhängig von vorhandenem Vermögen ausbezahlt werden. Es würde also nicht nur irgendwie Bedürftigen zur Verfügung stehen, sondern wirklich allen. Man müsste es nicht bei irgendeinem Amt beantragen und sich dabei Fragen nach privatesten Dingen aussetzen, es gäbe auch keine Verpflichtung zu Weiterbildungsmaßnahmen und keine Notwendigkeit, jederzeit „für den Arbeitsmarkt verfügbar“ zu sein.

Das werde ein radikales Umdenken in unserer Gesellschaft mit sich bringen, heißt es von der Seite der Befürworter. Der Mensch würde nicht mehr am Wert seiner Arbeit gemessen, Menschen ohne Beschäftigungsverhältnis nicht mehr als „Sozialschmarotzer“ diffamiert.

Der Druck, nicht mehr unbedingt arbeiten zu müssen, würde eine so große Last von uns nehmen, dass wir alle viel entspannter leben und auf eine ganz neue Art miteinander umgehen könnten. Eine ganz neue Gesellschaft voller Optimismus, Kreativität und neuer Ideale und Ideen würde entstehen, so die Hoffnung der Befürworter.

Geld für alle, einfach so. Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal davon hörte, dachte ich: „Klingt ja toll. Aber wie soll das gehen?“ Da tauchen Fragen auf wie:

Wo soll das Geld dafür herkommen? Und wer wird noch arbeiten wollen, wenn man eh genug Geld zum Leben bekommt?

Nun, das BGE soll (darüber sind sich praktisch alle Befürworter einig) nicht mehr als eine Grundsicherung sein: Jeder soll so viel bekommen, dass er ein halbwegs menschenwürdiges Leben führen kann. Luxus ist also nicht vorgesehen; wer sich den leisten will, muss auch weiterhin einer bezahlten Arbeit nachgehen. Wer bescheidene materielle Bedürfnisse hat, könnte aber auch auf ein Zusatzeinkommen verzichten und Aktivitäten nachgehen, die sich auf eine andere Art als durch Bezahlung lohnen – etwa soziale oder künstlerische Arbeit. Und natürlich würde das BGE auch die Möglichkeit bieten, sich einfach auf die faule Haut zu legen und den ganzen Tag fernzusehen.

Die Befürworter des BGE gehen jedoch davon aus, dass völlig unproduktive Faulenzer seltene Ausnahmen bleiben würden, weil Menschen grundsätzlich das Bedürfnis nach sinnstiftenden Tätigkeiten hätten. Der Unterschied zur bisherigen Gesellschaftsordnung wäre, dass man nicht mehr arbeiten muss, sondern arbeiten kann.

Was würde passieren, wenn niemand mehr arbeiten muss? Würden sich dennoch ausreichend Menschen bereitfinden, weiterhin den üblichen Arbeitsverhältnissen nachzugehen, weil das ein wichtiger Teil ihres Lebenssinns ist oder weil sie die finanziellen Freiheiten des Doppeleinkommens aus BGE und Arbeitslohn schätzen? Oder würde es zu einer Gesellschaft führen, in der alle entweder gar nicht mehr arbeiten oder nur noch Liebhabertätigkeiten nachgehen, die zwar der jeweiligen Person viel bedeuten, allen anderen aber nicht wirklich etwas bringen? Würden wir zu einer Gesellschaft von Orchideenzüchtern und Dauertouristen werden?

Einer der bekanntesten Protagonisten des BGE ist Götz W. Werner, der Gründer und heutige Chef der deutschen Drogeriemarktkette dm. Dass ausgerechnet ein überaus erfolgreicher Großunternehmer eine Idee proklamiert, die auf den ersten Blick wie eine sozialromantische Träumerei von Linksextremisten anmutet, hat überrascht und für große Aufmerksamkeit gesorgt. In seinem ersten Buch „Einkommen für alle„, das 2008 erschien, skizziert Werner zunächst die Ausgangslage: In den letzten Jahrzehnten habe sich gezeigt, dass das Wirtschaftswachstum durch die zunehmende Automatisierung immer weniger mit einer Zunahme von Arbeitsplätzen verbunden sei. „Jobless growth“ nennt man die Tatsache, dass wir heute immer mehr Waren mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft produzieren können.

Das betrifft aber nicht nur Tätigkeiten im Produktionsbereich: Neuerdings können auch Dienstleistungen durch zunehmende Automatisierung von immer weniger Menschen in gleichbleibender Qualität erledigt werden. So werden etwa selbstfahrende Autos Taxi- und LKW-Fahrer vermutlich recht bald überflüssig machen, und es gibt Versuche mit 3D-Druckern, die Häuser bauen und so die Bauarbeiter ersetzen können. Durch die zunehmende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz könnten in Zukunft möglicherweise auch immer mehr hochqualifizierte menschliche Arbeitskräfte wie Journalisten, Rechtsanwälte und sogar Ärzte (sicherlich nicht vollständig, aber doch zu einem bedeutenden Teil) durch intelligente Maschinen ersetzt werden. Die Produktivarbeit wird in Zukunft also sicherlich nicht mehr.

Die Protagonisten des BGE sehen die zunehmende Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und Computer jedoch nicht als Bedrohung an, sondern als Chance – für die weitgehende Befreiung der Menschen von frustrierender und nicht erfüllender Arbeit. „Der Mensch arbeitet nur noch das, was Sinn und Spaß macht. Stupide und unwürdige Arbeiten erledigt der Roboter“, so die optimistische Zukunftsvision von Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre in Hamburg, in seinem Buch „Radikal gerecht“ von 2017 (Seite 20).

Durch zunehmende Automatisierung und Digitalisierung scheint ein uralter Menschheitstraum in greifbare Nähe zu rücken: Niemand muss mehr arbeiten, alle können jederzeit das tun, was ihnen gerade sinnvoll und erfüllend erscheint. Zum Beispiel Aktivitäten im sozialen oder kulturellen Bereich, die heute viel zu sehr vernachlässigt werden, weil sie wirtschaftlich nicht unmittelbar lohnend sind.

Auch Götz W. Werner spricht sich für ein radikales Umdenken aus: Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass alle Erwachsenen, die arbeiten könnten, das auch tatsächlich tun müssen. Wir müssen damit aufhören, bezahlte Arbeit (oder selbstständige Geschäftstätigkeit) als den eigentlichen Lebenssinn und als einzige Einkommensquelle zu betrachten. Und vor allem müssen wir damit aufhören, Beschäftigungslosigkeit als einen Makel anzusehen, der so schnell wie möglich abgestellt werden muss. Mit einem BGE würden die Menschen selbstsicherer, kreativer, mutiger und damit letztlich auch produktiver werden: „Wer sicher ist, dass ein Misserfolg nicht zu einem bodenlosen Fall in Not und Armut führt, wird mehr wagen“, schreibt Thomas Straubhaar.

Dass das Bedingungslose Grundeinkommen Sinn machen würde, scheint also außer Frage zu stehen. Aber wie soll das gehen? Dieser Frage gehe ich in der nächsten Folge dieser Serie nach.

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BGE BGE Agnes Avagyan CC BY-SA 4.0