Der hohe Preis der billigen Mode

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Wirtschaft

Bekleidung wird von großen Modeketten wie etwa H&M, Zara oder Primark zu Kampfpreisen und in schnell wechselnden Kollektionen auf den Markt geworfen. Doch in den Herstellungsländern muss ein immens hoher Preis dafür gezahlt werden.

Ein T-Shirt für sechs Euro, eine Jeans für 30, ein Mantel für 70 – dass bei diesen Preisen ein immens hoher Kostendruck herrscht, ist klar. Der Kostendruck wird vom Händler über die Lieferanten bis zu den Arbeitskräften an den Nähmaschinen durchgereicht – in Form von Löhnen, die weit unter dem Existenzminimum liegen, und in Form von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. In den „Sweatshops“, wie die in Entwicklungs- und Schwellenländern gelegenen Textilfabriken genannt werden, herrschen Zustände, die in krassestem Gegensatz zur Glamourwelt der Mode stehen.

Vor einigen Jahren wurde das Problem durch drei kurz aufeinander folgende Ereignisse auf drastische Art ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerissen: 2012 kamen bei einem Brand in einer Textilfabrik in Pakistan 260 Menschen ums Leben1, nur gut zwei Monate später gab es einen ähnlichen Fall in Bangladesch mit 117 Toten2. In beiden Fällen war ein völlig unzureichender Brandschutz die Ursache für die katastrophale Opferzahl. Doch es kam noch schlimmer: Im folgenden Jahr starben, wieder in Bangladesch, 1135 Menschen beim Einsturz eines Gebäudekomplexes, der unter anderem Textilproduktionsstätten enthielt. 3 Hier hatten gravierende Baumängel das Unglück verursacht.

Das internationale Entsetzen war groß. Zwar gelobten nach diesem Schock sowohl die Konzerne als auch die Politiker in Bangladesch Besserung – Kritiker bemängeln jedoch, dass sich seitdem wenig getan habe.4 Das Thema verschwand bald wieder aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Doch auch wenn keine Unglücksfälle dieses Ausmaßes passieren, sind die Probleme unübersehbar: Die Löhne liegen praktisch überall weit unter dem Existenzminimum. Von überlangen Tagesarbeitszeiten mit nur minimalsten Pausen wird ebenso berichtet wie von unerträglicher Hitze durch mangelnde Belüftung, völlig unzureichendem Unfallschutz oder Einschüchterung und Gewalt.5 Moderne arbeitsrechtliche Standards wie Kündigungsschutz oder eine Vertretung durch Betriebsräte und Gewerkschaften sind in der Regel nicht vorhanden. Die meist niedrig qualifizierten Beschäftigten können so mit Kündigungsdrohungen allzu leicht unter Druck gesetzt werden, berichtet u.a. die deutsche Gewerkschaft Verdi.6

Die Arbeiter sind in allen Ländern großteils (zumeist zu 80-90%) Frauen. Frauen sind beliebt als Arbeitskräfte: Nicht nur, weil sie geschickter sind, sondern auch, weil sie sich mit weniger Geld zufrieden geben, weniger Ansprüche stellen und leichter einzuschüchtern sind als Männer. Kinderarbeit ist dagegen – anders als oft vermutet – offenbar kein größeres Problem, nur hin und wieder wird von Einzelfällen berichtet.

Die Hauptkritikpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Völlig unzureichende Bezahlung: Die Arbeiterinnen erhalten einen Lohn, der in praktisch allen Fällen weit davon entfernt ist, ihnen und ihren Familien eine menschenwürdige Existenz zu sichern, vom Aufbau eines bescheidenen Wohlstands gar nicht zu reden.
  • Überlange Arbeitszeiten: Tagesarbeitszeiten von 10, 12 oder sogar 16 Stunden an 6-7 Tagen pro Woche sind in der Textilindustrie offenbar die Regel. Pausen für Essen oder selbst Toilettengänge sind äußerst restriktiv geregelt, es herrscht ein tyrannischer Zeitdruck, exzessive Überstunden werden erzwungen.
  • Fehlender Kündigungsschutz: Es gibt keinen gesetzlichen Kündigungsschutz, oder dieser wird mit Tricks umgangen. Die Arbeiterinnen können so problemlos mit Kündigungsdrohungen unter Druck gesetzt werden.
  • Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisation: Die Organisation der Textilarbeiterinnen in Gewerkschaften, die ihnen eine bessere Verhandlungsmacht bringen würde, wird systematisch unterdrückt, oft mit illegalen Mitteln, Einschüchterungen oder sogar Gewalt. Wenn ein gesetzlich festgelegtes Organisationsrecht vorhanden ist, wird es meist umgangen.
  • Unzureichende Gesundheits- und Unfallschutzmaßnahmen: Bei der Verarbeitung werden teilweise giftige Chemikalien eingesetzt, vor denen die Arbeiterinnen unzureichend geschützt sind. Sie haben dadurch oft eine hohe gesundheitliche Dauerbelastung. Auch der Schutz vor Arbeitsunfällen sowie Brandschutzmaßnahmen sind völlig unzulänglich und weit von den in Europa geltenden modernen Standards entfernt.
  • Hohe Umweltbelastung: Beim Anbau und bei der Verarbeitung insbesondere von Baumwolle werden giftige Chemikalien eingesetzt, Abwässer der Textilfabriken werden ungeklärt in Flüsse entsorgt und verursachen neben Umweltzerstörungen eine hohe Gesundheitsgefährdung der lokalen Bevölkerung. Standards zum Umweltschutz sind nicht vorhanden oder werden ignoriert.
Zwar gibt es auch in Entwicklungsländern in der Regel gesetzlich vorgegebene Mindestlöhne, doch sind diese oft erschreckend niedrig und weit davon entfernt, existenzsichernd zu sein – wenn die Vorgaben nicht überhaupt mit Tricks irgendwelcher Art unterlaufen werden. Die Hersteller nutzen ihre wirtschaftliche Macht und treffen bei den Regierungen armer Länder, die an einer wirtschaftlichen Entwicklung interessiert sind, auf allzu offene Ohren und auf so manches Auge, das zugedrückt wird.

Die Textilindustrie ist stark globalisiert und lässt in den Ländern produzieren, in denen es am günstigsten ist. Zunächst wurden – bereits vor Jahrzehnten – die Produktionsstandorte von Mitteleuropa nach Osteuropa verlegt, dann nach China. Als China einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte und infolgedessen die Löhne stiegen, ging es weiter nach Indien und vor allem nach Bangladesch, das bis heute stark von der Textilindustrie abhängig ist. Doch auch Bangladesch wurde teurer, also wurden Produktionen nach Vietnam und Kambodscha verlegt. Die Konzerne liefern sich ein „Race to the bottom“, einen Wettlauf nach unten, der keine Grenze zu haben scheint.

In den letzten Jahren werden zunehmend auch afrikanische Länder wie etwa Äthiopien als noch billigerer Produktionsstandort entdeckt. „Von den 14,99 Euro, die H&M in seinen Geschäften für die Hose verlangt, gehen etwa 80 Cent an das Unternehmen Indochine. Etwa 1 Cent pro Hose landet bei Tigist [der Näherin]“ – so beschreibt eine Reportage in der „Zeit“ das brutale Ergebnis dieser neuesten Stufe der „Gewinnoptimierung“ .7

Die großen Bekleidungskonzerne besitzen allerdings gar keine eigenen Fabriken, sondern lassen von Subunternehmern fertigen, die die Aufträge an andere Subunternehmer weitergeben. So entstehen intransparente Lieferketten, die über mehrere Ebenen weit in die Tiefe reichen und eine Kontrolle stark erschweren – selbst für die Konzerne, die oft gar nicht wissen, welche Firma letztlich für sie produziert. Und die – so scheint es zumindest – das vielleicht auch gar nicht so genau wissen wollen: Wenn Probleme öffentlich werden, können sie sich so leichter aus der Verantwortung stehlen.

Doch seitdem das Thema mehr und mehr in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt, stehen die Konzerne unter Druck: Viele Konsumenten wollen keine Kleidung mehr, die aus ausbeuterischen Verhältnissen stammt. Welche Lösungsansätze gibt es? Mehr dazu in Teil 2 dieser Serie!

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1 https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/pakistan-hunderte-tote-bei-brand-in-textilfabrik/7125278.html
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Brand_in_der_Tazreen-Kleiderfabrik
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Geb%C3%A4udeeinsturz_in_Sabhar
4 https://utopia.de/textilindustrie-in-bangladesch-arbeitsbedingungen-haben-sich-nur-wenig-verbessert-54448/
5 https://bangladesch.org/bangladesch/wirtschaft-und-armut/textilindustrie/wer-bezahlt-unsere-kleidung-bei-kik-und-lidl.html
6 https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitsbedingungen-in-der-textilproduktion-wer-sich-wehrt-wird-entlassen/19974654.html
7 https://www.zeit.de/2017/52/aethopien-textilindustrie-hm-modekonzern-frauen-produktion/seite-1

Credits

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