Impf-Apartheid

Gesellschaft

Zur Klarstellung: Grundsätzlich bin ich über einen langen Zeitraum auf Seiten der Maßnahmen gestanden, auch unter Einbeziehung gewisser Härten, und habe mich im Netz durchaus auf heftige Streitereien mit Leuten eingelassen, die behauptet haben, Corona wäre bloß so eine Art Grippe oder Masken seien nutzlos. Die autoritäre Art, mit welcher der Diskurs vom Mainstream geführt wurde, der von Beginn weg die Corona-Demonstranten mit Schimpfwörtern und Kampfbegriffen wie „Covidioten“, „Verschwörungstheoretiker“ und „Rechtsextremisten“ überschüttet hat, hat mir zwar ganz und gar nicht gefallen. Aber noch abschreckender war die von New-Age-Elementen umwölkte aggressive geistige Verwirrtheit, die unter den Maßnahmengegnern geherrscht hat.1 Der Arzt Wolfgang Wodarg hat Thesen verbreitet, die selbst für mich mit meinem laienhaften medizinischen Wissen aus der Schulzeit leicht als blanker Unsinn zu entlarven waren. Ich habe auch nie geglaubt, dass Angela Merkel sich die ganze Sache ausgedacht hat oder die Chinesen das Virus erfunden haben und Trump alles tun würde, um uns zu retten.

 

Mittlerweile haben aber die Entwicklungen eine Dimension erreicht, angesichts derer man fast die Neigung verspürt, sich selbst bei den wildesten Verschwörungstheoretikern zu entschuldigen, dafür, dass man ihnen nicht geglaubt hat, denn allmählich bekommt man den Eindruck, sie könnten doch recht haben. Der Kipppunkt war für mich mit der Impfdebatte erreicht, in der Art und Weise, wie wir mit ihr seit dem Sommer 2021 überspült werden. Man kann sich über einen langen Zeitraum davor drücken, sich ein Urteil zu bilden und die Dinge beim Namen zu nennen. Aber wenn dann eine gewisse Grenze überschritten ist und man immer noch nicht gegen bestimmte Vorgänge, die sich immer schärfer abzeichnen, klar und deutlich das Wort ergreift, dann kann es einem passieren, dass man plötzlich ganz real in einer Gesellschaft aufwacht, die man sich bislang nur in Dystopien erträumt hat, und sich dann doof die Frage stellt, wie es denn nur so weit kommen hatte können.

 

Und klar, man kann sich darüber empören, wenn sich Corona-Demonstranten den Davidstern anheften und verfolgten Juden gleichsetzen. Das eigentlich Schreckliche ist aber, dass man sich allmählich ernsthaft fragen muss, ob sie damit nicht recht haben, so wie der öffentliche Diskurs und die Politik mittlerweile gegen sie vorgehen. Von den führenden Medien des Landes wird gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe eine Hetze inszeniert, wie man das schon sehr lange nicht mehr erlebt hat. Im Duktus eines „Brunnenvergifter“-Narrativs, wie man es tatsächlich aus der Geschichte des Antisemitismus kennt, werden jetzt Ungeimpfte pauschal für Krankheit und Tod verantwortlich gemacht und wird — unter vollkommener Ausblendung der Komplexität der Zusammenhänge — getan, als wären sie allein aufgrund ihres frevelhaften Verhaltens schuld daran, dass wir noch eine Pandemie haben. Binnen kurzem hat man eine ganze Bevölkerungsgruppe um grundlegende Rechte gebracht und erntet dafür tosenden Applaus. Alle möglichen üblen Charaktereigenschaften werden Ungeimpften umgehängt. In einer stereotypen Wiederholungsschleife werden ihnen „mangelnde Solidarität“, „Egoismus“ und „Verantwortungslosigkeit“ vorgeworfen. Fehlt nur noch, dass einer in die Welt setzt, sie wären „habgierig“, und der strukturelle Antisemitismus wäre perfekt. Kaum mehr wird von Ungeimpften noch wie von gleichberechtigten Subjekten gesprochen, eher schon wie von Untermenschen, die ihre Entrechtung vollkommen verdient und selbst verschuldet haben. Kein Mitleid habe diese Bevölkerungsgruppe verdient, so lautet der allgemeine Tenor, und man müsse hart gegen sie durchgreifen.

 

Das ist eine Sache, die uns alle angeht, gleich ob ungeimpft oder geimpft. Breiter Widerstand dagegen ist erforderlich. Und niemand soll glauben, das habe nichts mit ihm zu tun. Denn wenn es einmal möglich geworden ist, dass gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe derartig unheimlich Stimmung gemacht wird, dann im Prinzip auch gegen jede beliebige andere. Das ist austauschbar. Es kann morgen genauso Dich oder mich treffen, wenn die Situation danach ist. Darum: Wehret den Anfängen!

 

1 An anderer Stelle habe ich diese „geistige Verwirrtheit“ der Corona-Demonstranten einer genaueren theoretischen Analyse unterzogen und als einen Ausdruck des allgemeinen zeitgenössischen regressiven gesellschaftlichen Bewusstseins betrachtet, das in Zusammenhang mit dem Siegeszug postmoderner Philosophie steht: https://www.streifzuege.org/2020/patchwork-totalitarismus/

Dieser Artikel wurde bei keinzustand.at erstveröffentlicht. Danke für die Erlaubnis der Übernahme !

 

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Blog – Ortwin Rosner – Impf-Apartheid-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY SA 4.0