Kampf gegen Gewalt in der Familie – die Istanbul-Konvention

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Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
8. 3. 2018
Veranstalter
Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie
Ort
Haus der Europäischen Union, Wien
Veranstaltungsart
Podiumsdiskussion
Teilnehmer
Kerstin Schinnerl, Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, Allianz GewaltFrei Leben
Gabriele Heinisch-Hosek, Obfrau des Gleichbehandlungsausschusses in Parlament, von 2013-2016 Bundesministerin für Bildung und Frauen (SPÖ)
Gertrude Brinek, Volksanwaltschaft
Elisabeth Klatzer, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin
Rebekka Salzer, ORF, Moderation

2014 trat das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, auch bekannt als „Istanbul-Konvention“ in Kraft. Dieser völkerrechtliche Vertrag verpflichtet seine Unterzeichnerstaaten – darunter auch Österreich – zu wirksamen Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen und häuslicher Gewalt. Am 8.3.2018, dem Weltfrauentag, befasste sich eine Podiumsdiskussion im Haus der Europäischen Union in Wien unter dem Titel „Ein Leben ohne Gewalt für Frauen und Mädchen“ mit den Maßnahmen, die seitdem in Österreich getroffen wurden.

Vor der Diskussion gab Kerstin Schinnerl von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie eine kurze Zusammenfassung des GREVIO-Berichtes, der über die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Österreich berichtet und sich auch als Handlungsempfehlung für die Regierung versteht. In ihrem Vortrag stellte Kerstin Schinnerl fest, dass Österreich unter den Unterzeichnerstaaten tatsächlich eine Vorbildrolle einnehme, insbesondere das heutige Gewaltschutzgesetz gelte international als vorbildlich. Allerdings weise der Bericht auch auf gravierende Lücken hin; so fehle es vor allem am Budget: Derzeit stehe dem Frauenministerium ein Budget von zehn Millionen Euro für Gewaltschutz und allgemeine Gleichstellungsmaßnahmen zur Verfügung. Der Bericht empfehle, dass zumindest zehn Prozent der Kosten, die Gewalt verursacht, in die Prävention fließen sollten; daraus ergebe sich für Österreich eine Summe von mindestens 210 Millionen Euro.

Der Evaluierungsbericht empfehle daher, das Budget des Frauenministeriums drastisch zu erhöhen. Außerdem müsse es eine langfristige Strategie geben – einen Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Auch seien die Unterstützungsangebote für Gewaltopfer sehr unterschiedlich: Für Opfer häuslicher Gewalt gebe es bereits eine recht gute Infrastruktur, für Opfer sexueller Gewalt werde dagegen sehr viel weniger getan; so gebe es nicht einmal in allen österreichischen Bundesländern Beratungsstellen.

Der Evaluierungsbericht enthalte auch Empfehlungen zur Verhinderung von Gewalt; so seien die Täter der Polizei oft bereits bekannt, trotzdem werde zu wenig für die Prävention getan. Außerdem gebe es zu wenig Hilfsangebote für weibliche Flüchtlinge; der GREVIO-Bericht empfiehlt etwa, geschlechtsspezifische Gewalt als Asylgrund anzuerkennen und asylwerbenden Frauen einen Zugang zu Frauenhäusern zu ermöglichen.

Auch die anschließende Diskussion wurde von Kerstin Schinnerl eröffnet. Dabei betonte sie nochmals, dass Österreich unter den Staaten, die von der Instabul-Konvention zu einem besseren Gewaltschutz verpflichtet würden, auf einem recht guten Weg sei.

Ich sehe das Hauptproblem nicht in den Gesetzen, sondern im politischen Willen und in den gesamtgesellschaftlichen Einstellungen und Überzeugungen,

so Schinnerl. Insgesamt werde Gewalt innerhalb von Familien weniger ernst genommen als Gewalt durch Fremde, oft werde den Opfern schlicht nicht geglaubt.

Auch Gabriele Heinisch-Hosek, als ehemalige Bundesministerin für Bildung und Frauen die einzige Politikerin am Podium, sieht nicht die Gesetze, sondern deren Umsetzung als Knackpunkt an. In jedem Fall sei sehr viel mehr Geld nötig; das Budget des Frauenministeriums sei in den letzten Jahren annähernd gleich geblieben und nicht der allgemeinen Kostensteigerung angepasst worden.

Auch eine Erhöhung des Strafrahmens, wie sie derzeit einmal mehr zur Diskussion stehe, würde nicht viel helfen, sofern sie nicht durch einen besseren Opferschutz und bessere Präventivarbeit mit Tätern begleitet werde, um Wiederholungstaten zu reduzieren. Dazu seien in jedem Fall viel höhere finanzielle Mittel nötig als bisher: „Wir sind schon sehr gut, aber es ist immer noch viel zu tun im Gewaltschutz.“

Auch die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Klatzer sieht den Geldmangel als das größte Problem an, weil die ohnehin knappen Budgets seit Jahren nicht mehr erhöht worden seien und mit den Kosten nicht mehr mithalten können:

Wir sind in einer Situation, die eigentlich untragbar ist. Die Strukturen sind da, aber wenn das Geld fehlt, dann geht’s einfach nicht.

Sie befürchtet sogar eine weitere deutliche Verschlechterung der finanziellen Lage und fragt vor diesem Hintergrund: „Wie erreichen wir, dass die Unsicherheit für die Frauen nicht massivst zunimmt?

Gertrude Brinek von der Volksanwaltschaft vertrat die Ansicht, dass der Geldmangel nicht das einzige Problem sei. Ihrer Meinung nach muss die Gewaltprävention bereits im Kindergarten beginnen, indem dort keine Geschlechterungleichheit vermittelt werde. Auch sie sieht Strukturprobleme und nennt als Beispiel die Gefährlichkeitseinschätzung potenzieller Täter.

So sei etwa der Gewalttäter, der 2016 am Wiener Brunnenmarkt eine Passantin ermordete1, polizeilich registriert und seine Gefährlichkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung bekannt gewesen. Eine Kooperation der Behörden, durch die vielleicht eine Prävention möglich gewesen wäre, sei aber durch Datenschutzvorschriften verhindert worden.

Elisabeth Klatzer stellte fest, dass gar nicht genau klar sein, wieviel Geld für eine angemessene Umsetzung der Istanbul-Konvention überhaupt nötig sei, die Regierung wisse nicht einmal, wieviel Geld sie bräuchte:

Deklarationen und Mittel klaffen immer weiter auseinander, und das ist eine Bedrohung.

Die Plätze zur Betreuung von Gewaltopfern reichten bei Weitem nicht aus. Auch seien Gewaltopfer, die in Frauenhäuser geflüchtet seien, überwiegend finanziell sehr schlecht gestellt und bräuchten mehr praktische Unterstützung, etwa um eine Ausbildung zu erhalten oder um am Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben. „De facto sind wir noch sehr am Anfang“, meint die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin.

Heinisch-Hosek berichtet aus ihrer politischen Erfahrung, dass es viel Energie brauche, Frauenthemen politisch durchzusetzen: „Die Verankerung der sexuellen Belästigung im Strafrecht war ein Kraftakt“, erzählt sie in Bezug auf den als „Pograpsch-Paragraf“ bekannten Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches .

Volksanwältin Brinek wies darauf hin, dass eigentlich ein laufender gesetzlicher Anpassungsprozess nötig wäre. Die Volksanwaltschaft mache Anregungen für gesetzliche Verbesserungen. So sei etwa die Resozialisierung von Gewalttätern inklusive einer Therapie ein ganz wichtiger Teil der Gewaltprävention, weil ein wesentlicher Teil der Gewalttaten von Wiederholungstätern ausgehe.

Kerstin Schinnerl sieht eine Erhöhung des Strafrahmens für Gewaltverbrechen als absolut nicht prioritär an. Vielmehr sei ein Ausschöpfen der bisher bestehenden Möglichkeiten im Rechtsprozess nötig. Viele Täter würden überhaupt nicht verurteilt; so würden beispielsweise nur etwa sieben Prozent aller Strafanzeigen wegen Vergewaltigung tatsächlich zu einer Verurteilung des Täters führen. Ein weiteres Problem sieht Schinnerl in der Wortwahl von Medienberichten, wo oft verharmlosende Begriffe wie „Familientragödie“ verwendet würden.

Insgesamt waren sich die – ausschließlich weiblichen – Diskussionsteilnehmerinnen weitestgehend darüber einig, dass die heute in Österreich bestehenden Gesetze zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt in der Familie durchaus recht gut seien. Das Problem sei vor allem deren mangelhafte Durchsetzung; insbesondere die schlechte finanzielle Ausstattung der Institutionen für Gewaltopferhilfe, aber auch strukturelle Probleme durch unzureichende Kooperation verschiedener Behörden wurden mehrfach kritisiert.

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1 https://kurier.at/chronik/wien/abschlussbericht-der-soko-brunnenmarkt-zum-eisenstangen-mord-es-wurde-das-richtige-unterlassen/275.756.646

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