„Politische Korrektheit“ – Bilderreichtum und sprachliche Ausdruckseleganz

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Gesellschaft

Im letzten Artikel unserer Reihe über „Politische Korrektheit“ haben wir über die Bedeutung der Anschlussfähigkeit neuer Ausdrucksvorschläge an das bereits bestehende, konventionalisierte und lebendig gewachsene Sprachsystem geschrieben. Was dabei noch unerwähnt blieb, ist eine Dimension von natürlicher Sprache, die mir auch persönlich besonders am Herzen liegt: Und zwar ihre gewöhnlich kaum mehr wahrgenommene ungemeine Kreativität, ihr Bilderreichtum und ihre oftmals so alltägliche wie prägnante Ausdruckseleganz.

Blicken wir zurück zu unseren „Muttersprachler*innen„, so musste ich unweigerlich überlegen, ob nicht auch die so wenig geschlechtlich neutrale Bezeichnung „Muttersprache“ (ebenso wie ihr Äquivalent, das „Vaterland„) bei manchen gerechtigkeitsbeflissenen Gemütern bereits gewisses Unwohlsein erzeuge: Schließlich hat die Sprache (grammatisch feminin) doch logisch kein Geschlecht!? Was einem bei dieser abstrakten Überlegung aber entginge, ist: wie viel Nähe und Wärme, wie viel Bild- und Ausdruckskraft die Rede von der Muttersprache transportieren und erzeugen mag:

Sie ist einem so nahverwandt, so innig eingewoben in die Existenz, wie das Blut der Mutter in den eignen Adern fließt – so fließt unsere Welt, unser ganzes Denken und Fühlen, wenn auch freilich nicht von ihr begrenzt, entscheidend doch versprachlicht in den Bahnen unsrer Muttersprache.

Gerade weil die Sprache als allgemeinste menschliche Kulturleistung dem Menschen so existenziell ist, erhält das Wort der Muttersprache seine Tiefenbedeutung. Darüber hinaus ist das semantische (d.h. die Bedeutung betreffende) Feld der Weiblichkeit (und Mütterlichkeit) als Prinzip und allgemein verfügbarer Vorstellungsgehalt noch selber sinnstiftend und sinntransportierend: und zwar über alle naive und substanzielle Zuschreibung oder normative Festlegung auf eine biologisch bedingte kulturelle und soziale Wesenheit der Frau.

Die Welt vergeschlechtlicht zu denken in diesem Sinn, das ist eine im weitesten Sinn den biologisch wahrgenommenen Phänomenen entlehnte Analogie, ein Vorstellungsmuster, das ein ganzes Feld von Bedeutungen sogleich in einem Wort nur mitschwingen lässt und dadurch eine Dichte des Ausdrucks erzeugt, die niemals sonst erreichbar wäre:

Die Muttersprache ist warm, zärtlich, liebevoll, anschmiegend, treu und vor allem: gefühlsbetont (wohingehen, wie wir wissen, später erlernte Fremdsprachen weitaus „rationaler“ funktionieren, gesprochen und erlebt werden – eine gemeinhin eher „männlich“ konnotierte Eigenschaft):

Sprich zu einem Menschen in seiner Muttersprache, und du sprichst direkt zu seinem Herzen. Sprich ihn in einer fremden Sprache an, so sprichst du zu seinem Verstand.

Der Volksmund (ein weiteres großartiges sprachliches Bild!) hat hier im Wesen recht.

Worauf ich hinausmöchte, hier auch als Dichter und ausgebildeter Literaturwissenschaftler: Ich möchte unser Augenmerk auf den ungemeinen poetischen Bilder- und Bedeutungsreichtum der natürlichen Sprachen in der ganzen Welt lenken. Nicht allein die Vielzahl der Redewendungen, sondern bereits das einfache Alltagsvokabular ist voller solcher Schätze:

Das Wort lingua bedeutet im Lateinischen und Italienischen zugleich Zunge und Sprache – auch das ist eine so prägnante bildhafte Bedeutungsübertragung. Und das alles ist ein ungemeiner kultureller Schatz! Weitaus menschlich-bedeutender als die ganze Architektur, die wir gewöhnlich unter Denkmalschutz stellen! Es ist eine Unendlichkeit von Möglichkeiten und bildhafter Präzision des Ausdrucks und der Mitteilung, in die wir einfach so hineingeboren werden.

Was das aber mit moralischer Sprachpolitik zu schaffen hat? Natürliche und lebendig gewachsene Sprache ist nicht präzise in einem logisch-mathematischen Sinne; sie ist keine wissenschaftliche Begriffssprache, die die bezeichneten Phänomene mit aller Gerechtigkeit des eindeutig-konkreten Ausdrucks behandelt, sondern sie ist von sich aus viel poetischer und freier, viel „unklarer“ und „unpräziser„, wenn wir so wollen, aber gerade durch diesen Mangel an begrifflicher Präzision wird in ihren Bildern ein Höchstmaß an Ausdruckskraft und Eleganz erreicht!

Damit aber werden Welten von Vorstellungen und Bedeutungen eröffnet, die nicht substanzieller, sondern gleichnishafter Art sind, die also, wenn auch nicht ganz losgelöst von den Dingen, doch keine Wesensaussagen treffen wollen, dennoch aber nur umso präziser sind. (Das sei gesagt, ohne auf die philosophische Frage der Durchdringung von Unbedingtem und Bedingtem, Wesen und Ausdruck weiter einzugehen.)

Wenn wir nun abstrakte Gerechtigkeitskategorien beispielsweise geschlechtlicher Art an die überlieferten Sprachbestände herantragen, verkennen wir zu einem gewissen Grad noch gerade diesen kategorialen Unterschied zwischen natürlicher Sprache und Wissenschaftssprache. Ihr Bilderreichtum kann auch moralisch bewertet werden, weil wir inzwischen wissen, wie Wörter und Wendungen historisch auch mit wertender Bedeutung aufgeladen werden. Vor allem aber ist er eine elegante Möglichkeit des Ausdrucks selbst. Und jeder Sprecher ist herausgefordert, frei, bewusst und vor allem verantwortungsbewusst über dieses Möglichkeitsreservoir sprechend zu verfügen, um die ganze Breite und Möglichkeit menschlichen Ausdrucks für seine Kommunikation zu nutzen.

Wenn nun aber eine natürliche Sprache im Sinne der Gerechtigkeit formalisiert wird wie bei den „Muttersprachler*innen„, wird sich dieser Vorschlag wohl bereits allein aufgrund seiner wenig schönen Umständlichkeit umso schwerer durchsetzen lassen. Der „Muttersprachler“ ist dann doch, sozusagen, eleganter. Schlimmer aber noch:

Geht man in seinen Bemühungen zu weit, verkennt man in rationalistischer Entgleisung eines der größten menschlichen Kulturgüter schlechthin: den unendlichen Reichtum der verschiedenen Muttersprachen – und das ist eine kaum überbietbare Respektlosigkeit dem Leben und der Menschheit selber gegenüber! Ein Verbrechen gar, hier zu zerstören.

Die Frage ist viel eher, wie „man“ Bewusstsein und Sensibilität bei den Menschen wecken könne für die Bedeutung mancher aufgrund ihrer Geschichte mithin „problematischer Wörter„, wenn wir so sagen wollen, und weiter: Ob dieses Bewusstsein dadurch auch befördert werde, aus Astrid Lindgrens oder Otfried Preußlers Kinderbüchern beispielsweise Worte wie „Neger“ zu entfernen.

Gar ist mir schon – in ernsthafter Verwendung – das Wort „Gebärmutterträger*innen“ begegnet, das allem verunglückten Versuch gerechter sprachlicher Gleichstellung ein erschreckendes Beispiel ist von regelrecht herabsetzender Verdinglichung und maschinengleicher Funktionalisierung eines menschlichen Wesens, wo doch dagegen einfach „Frau“ zu sagen fast gar nicht mehr so übel scheint (auch wenn wir wissen, dass damit freilich nicht alles gesagt ist und die Wirklichkeit womöglich doch komplexer ist).

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