„Politische Korrektheit“ – Robert Pfallers Erwachsenensprache

Robert_Pfaller
Gesellschaft

Eine Warnung vor einem Film, den er im Flugzeug habe sehen wollen, dass dieser Erwachsenensprache enthalte, so der österreichische Philosoph Robert Pfaller, sei mithin für ihn der Anlass gewesen zum gründlicheren Bedenken gewisser Phänomene und Tendenzen der Gegenwart, die unter dem diffusen Sammelbegriff von „Politischer Korrektheit“ firmieren – und ist titelgebend für sein Buch darüber.

Denn obwohl besagter Film eindeutig dem Alter nach für Erwachsene ausgewiesen gewesen sei, so habe man wohl die Warnung dennoch für notwendig gehalten, als wären heutzutage Erwachsene nicht mehr selbstverständlich in der Lage, mit gewissen Lebensäußerungen (und sprachlichen Anfechtungen) umzugehen: Was ihn nicht zuerst allein befremdet, sondern schließlich sogar sehr gestört habe, „denn es ist eine perfide Anfechtung der eigenen Mündigkeit und Urteilskraft unter dem Deckmantel der Besorgtheit.“

So beklagt und analysiert er in seinem durchaus lesenswerten Buch Erwachsenensprache (besonders in dessen erstem Kapitel!) eine zunehmende „Infantilisierung“ und „Entmündigung“1 der Gesellschaft, die befördert werde durch eine „postmoderne Pseudopolitik2 bzw. „pseudolinke Symbolpolitik“ (S. 42), die nicht alleine die Gesellschaft „entsolidarisiere3, sondern vor allem wirkliche „linke Politik“ ersetze und diffamiere4; und zwar, weil sie von den bedeutendsten gegenwärtigen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die mit der neoliberalen Wirtschaftsordnung einhergehen, nur ablenke, anstelle sie im Kerne anzugehen oder wenigstens ausdrücklich zu machen.

Nicht nur könne, „wenn alles gegendert werden muss, […] die Eisenbahnerin zum Eisenbahner eben nicht mehr sagen: ‚Hör zu, Alter, wir sind schließlich beide Eisenbahner!‘ [Und] für das Gemeinsame und Allgemeine gibt es in der korrekt gebürsteten Sprachwelt keine Worte mehr.“5

Vielmehr insistiert er anerkennenswerter Weise auf einer Hierarchie der gesellschaftlichen Probleme: „Die Kämpfe sind tatsächlich nicht allesamt gleichrangig.6.

Eindrucksvoll illustriert er das, indem er das Elend der zunehmenden Verarmung der Welt und gesellschaftlichen Ungleichheit direkt neben die Problematisierung politisch korrekter Bezeichnungen stellt: Auf der einen Seite habe „am Beginn des 21. Jahrhunderts die gesellschaftliche Ungleichheit wieder die Ausmaße angenommen, die sie in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts aufgewiesen hatte„, sodass nach der „Entwicklungshilfeorganisation Oxfam […] nun 8 Reiche genauso viel besitzen wie die ärmsten 50 Prozent der Menschen. […] Und das reichste Prozent der Weltbevölkerung verfügt über mehr als 50,8 Prozent des weltweiten Vermögens.7

Auf der anderen Seite diskutiere man unaufhaltsam darüber, ob statt einem Unterstrich („Muttersprachler_innen„) nicht doch, weil schließlich dieser Unterstrich herabsetzend sei, ein Binnen-I („MuttersprachlerInnen„) und besser noch ein Sternchen, das nicht mehr nur binär sei, sondern wirklich alle einbeziehe („Muttersprachler*innen„) bevorzugt würde – und freilich, wie viele Zacken dieses Sternchen schließlich tragen solle.

Die Gegenüberstellung könnte eindrucksvoller kaum sein. Er kommentiert: „Angesichts solcher Zustände wird übrigens wohl deutlich, wie fremd und lächerlich den Betroffenen ausgerechnet die Sorge um ihre angemessene Bezeichnung erscheinen muss – und dass diese Sorge folglich nicht die ihre ist.8 Denn anstelle für tatsächliche Gleichheit zu sorgen, werde den Betroffenen nur eine „billige, symbolhafte Anerkennung“ zuteil.9 Und „während man also nichts unternimmt, um das inzwischen längst demokratiegefährdende Anwachsen von ökonomischer Ungleichheit aufzuhalten und rückgängig zu machen, richtet man sein Augenmerk auf sechs bis acht andere Ungleichheiten.“10

Damit ist im Grunde alles Wesentliche gesagt.

Anstelle sich auf die gemeinsamen Ungerechtigkeiten gemeinsam zu konzentrieren, entfremde man sich untereinander umso mehr, ausgelöst durch eine entsolidarisierend wirkende Empfindlichkeitskultur bezüglich beispielsweise angemessener Bezeichnungen. Das Persönliche verdränge sodann das Allgemeine, und die ganze bürgerliche Gesellschaft gerate ins Wanken.

Ob man in dieser Drastik nun völlig mitgehen möchte, man wird sich der ihr innewohnenden Wahrheit nicht erwehren können – und grundsätzlich einsehen müssen: Dass alle partielle Arbeit an gesellschaftlicher Verbesserung schließlich zu einer Art von Ablenkungsideologie verkommt, wenn nicht zugleich auf die wesentlichen strukturellen Grundübel der betroffenen Gesellschaft hingewiesen wird! Und wenn diese nicht angegangen werden, bleibt leider alle Bemühung um andere partielle Besserung nur unweigerlich unendliche Symptombekämpfung!

So ist es mit allen sozialen oder ökologischen Problemen, die keinesfalls nachhaltig gelöst werden können, ohne die zugrundeliegenden Übel einer verkehrten und im Wesentlichen unmenschlichen (weil objektpervertierten) Gesellschaftsordnung anzugehen und zu lösen!11 Auch die Demokratie und unsre neoliberale Wirtschaftsweise widersprechen einander! Sogar ein tatsächlich freier Markt und dessen gegenwärtige Verzerrungen.

Auch wird man sich schließlich fragen müssen, woher es kommen mag, dass einer so empfindlich wird gegenüber der ihm entgegengebrachten und als unangemessen empfundenen Bezeichnung.

Sinnhaft nachvollziehbar ist solche symbolische Kränkung nur vor dem Hintergrund tatsächlich realer Ungerechtigkeit und Ungleichheit.

Denn so wird die Bezeichnung ein Symbol für das kranke Ganze, während man ihre Unangemessenheit ansonsten vielleicht kaum bemerken würde oder gar nicht, oder einfach, wie ein Erwachsener, darüber hinwegsehen, wenn es im realen Leben keinen Grund zu Klage gäbe.

Es mag sodann vielerlei Gründe geben, sich in den Kampf der Symbolpolitik der „Politischen Korrektheit“ zu stürzen, und wie wir gesehen haben, sind die meisten in ihrem wesentlichen Anliegen menschlich bestens nachvollziehbar. Ein fader Beigeschmack aber, wenn nicht sogar zu unterstellende Fahrlässigkeit, bleibt da zurück, wenn ihr Kampf zu rigoros geführt wird, zu einseitig und steinern, wie wir während der letzten fünf Artikel mit guten Gründen sehen konnten.

Das Besondere an Pfallers Buch ist, dass er aus „linker“ Geisteshaltung schreibt – der Geisteshaltung, die gewöhnlich assoziiert wird mit Befürwortern „Politischer Korrektheit„, und dass er gerade diesen mit allem Kampfeseifer Verrat am eigentlichen Ziele unterstellt: gemeinsamer Gerechtigkeit und Gleichheit. Das geht schließlich so weit, dass er hinter der neoliberalen Wirtschaftsordnung und den Beförderern „Politischer Korrektheit“ dieselben Drahtzieher vermuten darf, zumindest aber dieselben Nutznießer.

Und dann wird schließlich deutlich: dass die „postmodernen Politiken […] ausgerufen [wurden], als die hegomonialen Gruppen die Versprechungen der Moderne von Gleichheit preisgaben. In dem Moment, als sich die Einkommensunterschiede wieder dramatisch verschärften und gleiches Recht für alle von den neoliberalen Eliten nicht einmal mehr als Utopie festgehalten wurde, entstand die Propaganda unterschiedlichen Rechts für alle.12 Und die „postmoderne Ideologie“ entpuppt sich als „im Dienst der neoliberalen Umverteilung.“13

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1 Robert Pfaller: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Frankfurt am Main 2017², S. 36.
2 Ebd. S. 41.
3 Ebd. S. 10.
4 Ebd. S. 41.
5 Ebd. S. 32.
6 Ebd. S. 38.
7 Ebd. S. 18f.
8 Ebd. S. 17.
9 Ebd. S. 21.
10 Ebd. S. 37.
11 Einen tiefenphilosophisch wohlbegründeten und weltweit herausragenden Vorschlag für eine solche mögliche und notwendige grundsätzliche gesellschaftliche Neuordnung bietet der Philosoph Johannes Heinrichs an: eine logisch aufgewiesene ‚viergegliederte Wertstufendemokratie‘ (vgl. ders.: Revolution der Demokratie, und Demokratiemanifest für die schweigende Mehrheit).
12 Pfaller, Erwachsenensprache, S. 25.
13 Ebd. S. 21.

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Robert_Pfaller Robert_Pfaller Suzie1212 CC BY-SA 4.0