Unsere Seelenfreundschaft wurde formell besiegelt

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Meinung

Aber ich weiß nicht, warum ich dich für so einen besonderen und guten Menschen halte. Wenn ich dich sehe, will mein Herz dir automatisch helfen. Ich glaube, es ist, weil du so dünn bist, Probleme mit der Gesundheit hast und einsam bist.

(Aus: Tuberkulose, mein neuer Freund und ich)

Nun waren wir beide fest dazu entschlossen, Seelenfreunde zu werden.

Ich wurde immer noch wegen Tuberkulose behandelt. Doch langsam verbesserte sich mein Zustand, Tag für Tag.  Ich hatte auch etwas an Gewicht zugelegt. Gelegenheiten, um mich auszuruhen, erboten sich viele, denn dort, wo ich war, war ich befreit vom permanenten Tun, wie ich es noch zu Hause gewohnt war. Außerdem observierten die Ärzte des Chaurjahari Mission Hospital ständig meinen Zustand, und mit jedem Tag ging es mir besser. Nach einiger Zeit befand ich mich endlich im Endspurt meiner Behandlung und des Aufenthaltes im Chaurjahari-Spital. Und aus diesem Anlass haben mein Freund und ich uns vorgenommen, unsere Seelenfreundschaft heilig sprechen zu lassen. Doch vorher mussten wir noch eine Sache überprüfen: ob unsere Horoskope zusammenpassen – wäre dem nämlich der Fall, dann stünde unserer formellen Seelenfreundschaft nichts mehr im Wege.

Also suchten wir eines Tages einen Brahmanen namens „Lungi Bahun“ in unserer Nähe auf, der auf Horoskope spezialisiert war. Wir waren beide ziemlich nervös, weil wir Angst hatten, dass unsere Horoskope vielleicht nicht zusammenpassen würden; andererseits wussten wir, dass es sich dabei sowieso nur um Glück handelt, oder aber das Ganze von Gott bestimmt ist. Endlich wurden wir informiert, dass unsere Horoskope übereinstimmten – und da begannen wir beide vor Freude und Glück zu jubeln und zu hüpfen. Und der Brahmane bekam von uns ein saftiges Trinkgeld.

Wow, jetzt war also alles geklärt und wir waren in der richtigen Laune, ein heiliges Datum festzulegen, um unsere Seelenfreundschaft auch formell zu besiegeln. Der Termin dafür wurde auf den 1. Dezember 1998 fixiert. Es sollte genau drei Tagen, nachdem ich das Chaurjahari-Spital verlassen hatte, geschehen. Zu diesem Anlass rief ich meine gesamte Familie und einige weitere Verwandte an, um sie zu bitten, nach Chaurjahari zu kommen. Auch mein Freund lud seine Familie ein.

Wie es die Tradition verlangt, sollte einer von uns eine Ziege als Opfergabe besorgen. Ich kümmerte mich darum, zumal ich drei Monate im Hotel meines Seelenfreundes gelebt hatte, dieser aber kein Geld dafür von mir akzeptierte. Wir bestellten beide Kleidung für einander, denn auch das gebietet die Tradition. Und auch ein paar Geschenke besorgten wir. Schließlich luden wir einen Priester ein für diesen Tag, der die Rituale für die Zeremonie durchführen sollte.

Endlich war der Tag gekommen. Mein Freund und ich wachten schon früh am Morgen auf, und wir duschten uns. Gegen 8 Uhr kam der Priester, und die Zeremonie konnte beginnen. Allmählich trudelten die geladenen Gäste ein. Der Priester verlangte nun, dass wir einander gegenübertreten. Er sprach mehrere Mantren und beteuerte, dass wir uns gegenseitig in jeder schwierigen Situation helfen, aber auch unser Glück in jedem freudigen Moment teilen sollten. Sobald wir unsere Versprechen gegeben hatten, wurde die Ziege geschlachtet und ihr Blut in einem Becken gesammelt. Dieses wurde mit rohen Reiskörnern zu einer „Tika“ vermischt, einer Mischung aus Farbe (das ist vor allem die Farbe Rot) und Reis, die man sich bei Festen und Zeremonien in der hinduistischen Kultur auf die Stirn malt. Wir tupften die mit Blut vermischte Tika jeweils auf die Stirn des anderen als Symbol bzw. Beweis dafür, dass wir von nun an Seelenfreunde und blutsverwandt waren.

Danach schenkten wir uns gegenseitig die neuen Kleider. Das Fleisch der geopferten Ziege wurde gekocht, um es den Festgästen zu offerieren. Für die Veranstaltung wurde auch ein kleines Fest organisiert. Nun begannen wir mit der gegenseitigen Vorstellung unserer Familien und Verwandten. Die Atmosphäre entwickelte sich sehr fröhlich und angenehm. Nach all unseren Ritualen begann die Konversation untereinander. Der Priester bekam etwas Geld und vegetarisches Essen und verließ uns nach ein paar Stunden. Die Zeremonie war vorbei – wir waren nun offiziell Seelenfreunde.

Im Leben eines Menschen gibt es vieles, das man braucht. Darunter ist das Besondere und Kostbarste die Freundschaft. Man möchte meinen, dass Freunde eine Inkarnation von Gratulanten seien, die unerwartet in unser Leben kommen und geben würden, ohne zu fragen. Im Leben eines jeden Menschen erscheinen viele Freunde, doch nur wenige unter ihnen werden zu echten Freunden. Und nur ein paar wenige Menschen können sich glücklich schätzen, wenn sie Seelenfreunde haben. Ich freue mich, behaupten zu können, dass auch ich auf der Liste der glücklichen Menschen stand, die einen Seelenfreund fürs Leben gewinnen konnten.

Die Beziehungen zwischen unseren Familien wurde nach unserer Seelenfreundschaft sehr tief. Wir helfen einander sehr oft, zum Beispiel als unsere Töchter heirateten. Auf den größeren Hindu-Festivals, wie beim Dashin und Tihar, tauschen wir unsere Liebe und Zuneigung mit anderen aus. Und in schwierigen Zeiten sind wir auch füreinander da, zum Beispiel bei der Ausbildung unserer Kinder. Das Leben ist viel einfacher geworden, ich kann es fühlen.

Wenn wir in der Lage sind, Freunden zu helfen, scheint das Leben irgendwie einfacher und schöner zu sein. Jeder von uns wird auch schlechte Zeiten in seinem Leben erleben. Diese Zeiten können wir mit unseren Freunden in gute Zeiten verwandeln. Probleme und Hürden auf unserem Lebenskampf können leichter überwunden werden, wenn wir auf die Hilfe und Unterstützung von jemandem zählen können. Also hat unsere Freundschaft irgendwie unsere Gesundheit, unser Leben und unsere Familie gesünder, reicher und glücklicher gemacht.

Schließlich danke ich Gott dafür, dass er mir einen solchen Freund geschenkt hat, und ich hoffe, dass jeder Mensch einen solchen Freund gewinnen kann, um nicht nur die schönen Dinge des Lebens miteinander teilen zu können.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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