Die europäische Integration – Neustart oder Auslaufmodell

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Politik

Im April luden der ÖGB und die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) im Rahmen des Europa Dialogs zum Thema ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit zur Diskussion nach Wien.

Europa müsse bei all den großen Herausforderungen der Gegenwart zusammenstehen, so die Forderung von Paul Schmidt, Generalsekretär der ÖGfE, in seinem einleitenden Statement. Von den fünf Visionen für die EU, die Jean Claude Juncker im März in seinem Weißbuch präsentierte, seien für die Österreicher laut Umfragen vor allem das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und die Steigerung der Effizienz bei gleichzeitiger Reduzierung der Aufgaben der EU am interessantesten. Die starke Zuwanderung in den österreichischen Arbeitsmarkt bringe zwar Vorteile mit sich, führe aber auch unreguliert zu Verwerfungen.

In seiner Keynote weist Erich Foglar darauf hin, dass es in Europa einen Politikwechsel benötige. Dieser sei viel wichtiger, als die Organisationsform zu ändern. Der ÖGB sieht die europäische Integration als richtig und wichtig. Sie müsse aber mit einer Neuausrichtung der europäischen Politik einhergehen. Österreich habe wie Schweden und Finnland von der zunehmenden Integration profitiert: sowohl in der Produktion als auch im Außenhandel (dessen Bilanz jahrelang negativ war). Doch trotz Rekordbeschäftigung sei in den letzten Jahren auch eine Rekordarbeitslosigkeit gewachsen, was vor allem mit dem Ablauf der Übergangsfristen der neuen Beitrittsländer 2011 zusammenhänge. Für die zukünftige Akzeptanz der EU sei die gerechtere Vermögensverteilung entscheidend, es müsse darauf geachtet werden, dass Arm und Reich nicht noch weiter auseinanderdriften, wie es im Artikel 51 des EU-Vertrages auch festgeschrieben sei, und Europa weiter gespalten würde.

Der luxemburgische Arbeitsminister Nicolas Schmit bestätigt, dass auch die luxemburgische Öffentlichkeit besorgt auf die Entwicklung der europäischen Union blicke, da besonders kleine Länder auf ein starkes, von den Bürgern akzeptiertes Europa angewiesen seien. Im ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahlen haben Anti-Europäer fast 45 Prozent der Stimmen erlangt – es sei also Alarmstufe in der EU, deshalb müsse man diese zukünftig umgestalten. Bezüglich Freizügigkeit der Arbeitnehmer habe Luxemburg die gleichen Chancen und Risken wie Österreich. Es machten sich dort sowohl Arbeitnehmer, als auch (vor allem mittelständische) Arbeitgeber Sorgen über Lohn- und Sozialdumping und über die Frage, was heute Konkurrenz bedeute.

Die Visegrad-Staaten seien aktuell wahrscheinlich die lautesten Verteidiger der Prinzipien der EU, so der tschechische Botschafter Jan Sechter. Das Paradoxon „steigende Beschäftigungszahlen bei steigender Arbeitslosigkeit“ sei auch in unserem Nachbarland ein großes Thema. Sechter ist überrascht, dass man wegen Schieflagen einzelner Länder oder schwierig zu lösenden Problemen (internationale Steuerflucht) so schnell bereit sei, nach einem neuen Europa zu rufen und seine eigenen Prinzipien über Bord zu werfen.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist eine der vier Grundfreiheiten der EU, deshalb dürfe man sie nicht unterminieren, so Michel Servoz, Mitarbeiter der Europäischen Kommission. Allerdings: Die Gesetzeslage könne und müsse auf neue Entwicklungen angepasst werden. Hierfür gebe es auch schon konkrete Ansatzpunkte, die zur Diskussion gestellt würden. Ziel müsse es sein, die Freizügigkeit zu erhalten, sie aber vor allem in puncto Löhne und Gehälter fairer zu gestalten. Dies sei einer von mehreren Punkte, die gelöst werden müssen, damit die Bevölkerung Europas wieder in das gemeinsame Projekt vertraue.

Arbeitsminister Alois Stöger stellt in Abrede, dass der geplante Beschäftigungsbonus diskriminierend sei, ganz im Gegenteil: Er gelte auch für alle in Österreich lebenden Ausländer, die einen Arbeitsmarktzugang hätten. Stöger habe kein Interesse daran, die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern mit österreichischem Steuergeld zu subventionieren. Wolle man die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Zukunft erhalten, dann müssten die Organe der EU diese auch schützen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort sei Voraussetzung für die Freizügigkeit. Hier greift auch das Lohn- und Sozialdumpinggesetz.

Weitere Themen und Stellungnahmen der Diskutanten seht ihr in folgendem Video:

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