Andrea Komlosy: Von der Aneignung der Arbeitskraft zur Aneignung der menschlichen Erfahrung

Gesellschaft

Die Historikerin Univ.-Prof. Dr. Andrea Komlosy geht zu Beginn ihres Vortrags auf ihre Definition von Arbeit ein: sie unterscheidet zwischen kommodifizierter und reziproker Arbeit. Erstere umfasst alles das, was für den Markt geleistet wird (sowohl Produkte, als auch Arbeitskraft) und über Geld abgerechnet wird (Lohnarbeit, Selbständige etc); reziproke Arbeit hingegen passiert ohne Marktvermittlung und dient der Selbstversorgung.

Unternehmer eigenen sich die Mehrarbeit der LohnarbeiterInnen mittels rechtlicher, technischer, räumlicher und psychologischer Anordnungen im Arbeitsprozess an. Auch reziproke Arbeit kann vom Unternehmer indirekt ausgebeutet werden: zB indem die FamilienarbeiterIn durch unbezahlte Arbeit die Kosten der Lohnarbeitenden senkt und der Familie das Überleben (ohne zusätzliche Lohnerhöhung) sichert.

Auf einen Überblick der Errungenschaften der ArbeiterInnen-Bewegung und deren Grenzen folgt die Feststellung Komlosys, dass die Arbeiterklasse auf Grund von Globalisierung und Zerteilung der Arbeitsschritte in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichste Gruppe (Wissensarbeiter, Präkarisierte, Arbeitsmigranten, Erwerbsarbeitslose etc) zerfallen ist. Zeitgleich ist die Arbeit geblieben (sie wird auch im digitalen Kapitalismus bleiben): sie wurde in den globalen Süden ausgelagert, unbezahlte Arbeit hat stark zugenommen, ebenso der Wettbewerb der Menschen untereinander. Zeitgleich können sich die oberen Gesellschaftsschichten wieder DienerInnen aller Art leisten.

Zu unbezahlter Arbeit zählt Komlosy die materielle Subsistenz, die psychisch-soziale Subsistenz (Bewältigung des Alltags) und die Schattenarbeit (notwendig, aber nicht wertschaffend, zB Behördenwege).

Neu ist, dass sich Unternehme auch die Erfahrungen der einzelnen Menschen zu Nute machen; zB mittels der Flut an Daten, die soziale Netzwerke oder Suchmaschinen generieren. Diese Daten sind das Instrument für einen neuen Akkumulationszyklus im Kapitalismus, der sich gerade in einer Abschwungphase befindet. Laut Komlosy stehen wir an einer historischen Zeitenwende: dem Übergang vom industriellen zum kybernetischen Zeitalter. In diesem wird der menschliche Körper zum wichtigsten Rohstoff der Profitgenerierung. Der Vorteil für die Unternehmen: die Daten liefern die Menschen oft freiwillig – obwohl sie dabei das Verwertungsrecht verlieren (siehe AGBs von Facebook & Co). Durch die immer genauere Kenntnis über den Kunden können die neuen Unternehmer viel maßgeschneiderte Produkte anbieten, als ihre Counterparts aus dem industriellen Zeitalter.

Mit den zentralen Aussagen des Buches Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus von Shoshana Zuboff, erschienen 2018, beschließt Andrea Komlosy ihren Vortrag.

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Andrea Komlosy-Zuku Wolfgang Müller CC BY SA 4.0