Präsidentschaftswahl in Brasilien (BSA-Diskussionsrunde)

Politik

Im Gespräch mit der Historikerin und Autorin Ursula Prutsch, dem Journalisten und Autor Andreas Nöthen und dem Politologen und Autor Günther Maihold wird die Frage zu klären versucht, ob es bei einem Sieg von Lula da Silva bei den brasilianischen Präsidentenwahlen zu einem friedlichen Machtwechsel oder zu einem Putsch kommt und welche Auswirkungen das weltweit hat.

Einig sind sich die drei Experten, dass Brasilien als größte Volkswirtschaft und Demokratie Lateinamerikas sowie als wichtiger Handelspartner der EU und mit dem größten geschlossenen Regenwaldgebiet im Amazonas eine sehr große Bedeutung für Europa und die ganze Welt hat.

Unter Lula hat Brasilien nach der Meinung von Andreas Nöthen eine wirtschaftliche Blüte erlebt, was auch seinem Vorgänger zu verdanken war. Zudem hat er viele Sozialprojekte auf den Weg gebracht. Bolsonaros Politik hingegen richtet sich nur an bestimmte für ihn relevante Zielgruppen, was für die Minderheiten problematisch ist. Ursula Prutsch bestätigt diese Sichtweise und ergänzt, dass Bolsonaro andere Werte vertritt: nicht die Menschen sind wichtig, sondern Gott, Vaterland und bestimmte Clans. Günther Maihold vermisst bei beiden den Effekt einer politischen Erneuerung: es handle sich im Wahlkampf um eine politische Konfrontation „zweier alter Männer“. Eng miteinander verknüpft sind sie durch das Thema Korruption und den Stimmenkauf. Lula wurde dafür auch verurteilt, der im Verfahren zuständige Staatsanwalt wurde von Bolsonaro zum Justizminister ernannt, im Berufunsgverfahren wurde das Urteil aufgehoben, was Lula eine neuerliche Kandidatur ermöglicht.

Für Andreas Nöthen waren die positiven Aspekte der vorangegangenen Amtszeit Lulas deswegen möglich, weil sein Vorgänger eine gute Basis geschaffen hat und die Rohstoffpreise auf hohem Niveau lagen. Die darauf aufbauenden Sozialprogramme waren an bestimmte Auflagen wie regelmäßiger Schulbesuch und Gesundheitschecks geknüpft.

Ursula Proksch betont das „charismatische Talent“ Lulas als Erfolgsrezept, zudem seine rhetorische Begabung, seine Herkunft aus der armen Bevölkerungsschicht und seine Tätigkeit als Gewerkschaftsführer. Als Katholik hat er sich stark mit der kirchlichen Befreiungstheologie und damit der Landbevölkerung verbündet. Er galt als Gallionsfigur der Demokratisierung.

Günther Maihold nennt drei Charakteristika des politischen Handelns Bolsonaros: Personalisierung, Polarisierung und Militarisierung. Er ist kein Teamspieler, sieht sich und seinen Familienclan als die wichtigsten Handelnden. Er vertraut aktiven und ehemaligen Militärs mehr als politischen Gefolgsleuten und tauscht Leute sehr schnell aus, wenn sie ihm negative Schlagzeilen einbringen. Zudem betreibt er Klientelpolitik, jetzt etwa mit finanziellen Wahlgeschenken.

Zur Klientel zählen aber auch Großgrundbesitzer, ergänzt Andreas Nöthen, denen er Straffreiheit für ihren Bodenraub zusagte. Ursula Prutsch sieht eine Prägung Bolsonaros durch das Militär, vergleichbar mit Juan Perón; demnach soll nicht nur die Polzeit und das Heer bewaffnet sein, sondern auch die Bevölkerung. Die geltenden Waffengesetze hat er durch Dekrete nach und nach gelockert. Sie sieht eine aufkeimende Kultur der Frontier wie in den USA, die die Demokratie gefährden könnte.

Das Szenario eines Militärputsches sieht Günther Maihold auch bei einer Niederlage Bolsonaros nicht. Eine Solidarisierung mit dem Präsidenten besteht vor allem in der Armee, nicht in den beiden anderen Truppenteilen. Mögliche Verwerfungen sieht er vor allem in einer gewissen Destabilisierung des Systems etwa durch Wahlanfechtungen bei einem knappen Ergebnis. Ursula Prutsch teilt diese Sichtweise: der Blick der Welt auf Brasilien hemmt die Gefahr eines Putsches zum großen Teil. Eine lokale Zunahme der Gewalt sei aber denkbar, ein Sturm Brasilias aber nicht. Für Andreas Nöthen ist auch das Aufflammen kleinere Gewaltszenarien, etwa in indigenen Gebieten oder durch die Milizen, die sich in den Großstädten gebildet haben, das realistischere Szenario.

Im weiteren Gespräch werden noch folgende Themen und der jeweilige Umgang der beiden Kandidaten angesprochen: der Regenwald als grüne Lunge der Erde und Mittel zum Kampf gegen die Klimakrise, erneuerbare Energien, Energiewende, Erreichen der Klimaziele, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich sowie mangelnde Ressourcen aufgrund des Ukraine-Russland-Konflikts.

Abschließend gehen die Diskutanten noch auf Fragen aus dem Publikum ein.

 

 

 

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