Brexit: Wer ist eigentlich verantwortlich?

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Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
5. 4. 2017
Veranstalter
Renner-Institut
Ort
Karl-Renner-Institut, Bruno-Kreisky-Saal
Veranstaltungsart
Vortrag
Teilnehmer
Wolfgang Greif, Gewerkschaft der Privatangestellten
Simon Dubbins, Gewerkschaft UNITE, Direktor für Internationales und Forschung

Hier ist nun der zweite Teil des Artikels zum Brexit. Den ersten Teil findet ihr hier.

Es berichtet Simon Dubbins:

Die Partner der Europäischen Union hätten zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollten. Vom Termin des Referendums am 23. Juni 2016 bis Weihnachten sei dann wenig passiert. Theresa May habe begonnen zu verkünden: „Brexit means Brexit!“ („Brexit bedeutet Brexit!“), aber wenn man nachfragte, was das genau bedeute, habe es niemand erklären können.

Dubbins vergleicht den Brexit mit einem Steinschlag, der ganz unvermittelt die Windschutzscheibe in viele kleine Teile zersplittere. Zwar liege die Wurzel dessen vermutlich viel tiefer, doch sei in genau diesem Moment all das zum Ausdruck gekommen.

Die unter 30-jährigen haben mit ca. 70 % für den Verbleib gestimmt, während es bei den über 65-jährigen in etwa umgekehrt war. Das mache die Generationenspaltung sehr deutlich.

Außerdem sei ein gravierender Unterschied zwischen Städten (pro-EU) und dem Land (anti-EU) zu sehen gewesen.

In Schottland wollten 62% in der EU bleiben, in Nordirland 56%, während England und Wales mehrheitlich für den Ausstieg stimmten.

Ärmere Menschen hätten eher für den Ausstieg gestimmt als wohlhabendere.

Darin, so Dubbins, zeige sich die tiefe Spaltung, die durch die britische Bevölkerung ginge.

Derzeit werde aber durch die Politik und die Presse ein ganz falsches Bild gezeichnet, denn sie betonten, dass das Volk sich entschieden habe. Tatsache sei aber, dass 33 Mio. Menschen abgestimmt hätten. Nur 600.000 aber machen den Unterschied; hätten diese anders gestimmt, sähe das Ergebnis ganz anders aus. Also könne man auch nicht von einer überwiegenden Mehrheit reden. Außerdem dürfe man auch nicht die Lügen vergessen: über die 350 Mio. Pfund pro Woche mehr für das Gesundheitssystem, dass Großbritannien seine Souveränität wieder herstellen werde usw.

Wir haben ein gespaltenes Land, und ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass viele Leute angelogen wurden darüber, was nach dem Brexit geschehen werde.

Es war natürlich auch ein Frust über Jahrzehnte der Perspektivlosigkeit, dass die Industrie weg ist, dass für viele arme Menschen keine Zukunft zu sehen war, ein Frust, der sich bereits 2011 in Gewaltausbrüchen in den Großstädten zeigte.

Was passiert in den nächsten zwölf Monaten?

Im Januar dieses Jahres habe Theresa May endlich angefangen, ein bisschen Klarheit herzustellen darüber, was passieren könnte, und sie gab zu, dass Großbritannien eventuell tatsächlich aus dem Binnenmarkt und auch dem Zollmarkt aussteigen müsse.

Erste Priorität sei, die Immigration zu stoppen, die Kontrollen der Grenzen wiederherzustellen. In diesem Moment sei ganz deutlich geworden, dass May voll auf der Seite der harten Brexiteers gestanden sei.

Am 29. März 2017 aktivierte Theresa May dann Artikel 50, womit eine zweijährige Frist für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union begann. Eine Tatsache, die unweigerlich dazu führe, dass man sich nun damit auseinandersetzen müsse, wie es weitergehe.

Was mir ganz klar ist: Die Regierung und die Presse und all jene, die diese Kampagne geführt haben, vergessen sehr oft, dass es für diese Verhandlungen zwei Seiten gibt. Man hört nur davon, was wir bekommen werden, was wir verlangen werden, was passiert, wenn wir das nicht bekommen – ohne überhaupt die Realität zu begreifen, dass wir das nicht alleine bestimmen werden.

Wenn es dann in die Verhandlungen geht, müsse man sich Gedanken über die Schwerpunkte beider Seiten machen.

Was uns versprochen wurde: Wir könnten doch im Binnenmarkt bleiben – das wird meiner Meinung nach nicht passieren.

Die Regierung wolle aber zumindest einen zollfreien Zugang zum Binnenmarkt haben, sie wolle, dass der Europäische Gerichtshof nichts mehr zu sagen habe über britische Themen, und sie wolle eine Übergangsvereinbarung, weil es wahrscheinlich innerhalb der zwei Jahre nicht so schnell zu realisieren sein wird.

Auf der anderen Seite haben wir die EU, die sagte: Bevor man überhaupt über Dinge wie den Binnenmarkt rede, hätten sie ihre eigene Liste, und zuerst einmal sei eine Rechnung zu zahlen.

Es ist überhaupt nicht leicht zu sagen, was jetzt geschehen wird, und wir befinden uns wohl in einer der gefährlichsten Zeiten in der Nachkriegsepoche. Mit Nationalismus zu spielen ist so gefährlich, wir alle kennen die Geschichte der letzten hundert Jahre, und dass wir uns wieder in dieser Position befinden, ist wie in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem man nicht erwachen kann.

Dubbins halte es nicht für völlig unmöglich – und vielleicht sei das nur eine naive Hoffnung – dass es noch nicht vorbei sei und der Brexit eventuell – vor allem, wenn es wirtschaftlich sehr viel schlechter laufe – doch noch aufgehalten werden könne.

Für die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten appelliert Dubbins an den Zusammenhalt. Es sei keine Lösung, auseinander zu gehen. Als Arbeiterbewegung in Europa müsse Druck ausgeübt werden, damit die europäische Kommission und auch die nationalen Regierungen endlich einen politischen Wechsel durchführen.

Es muss mit dieser Sparpolitik gegen Griechenland, Spanien, Portugal etc. aufhören. So könne es nicht weitergehen. Es sei so klar, dass Griechenland nicht wieder im Aufschwung sei, sondern es nach unten gehe, es sei klar, dass es auch Spanien nicht geholfen habe.

Es gibt eine Zukunft, es gibt Möglichkeiten, aber es gibt einige schwierige Phasen, bis wir dahin kommen. Ich wollte das nicht auf einer negativen Perspektive lassen; wir stehen vor unglaublich vielen Schwierigkeiten, Trump würde gerne sehen, dass die EU auseinandergeht, und es gibt andere Kräfte, die das auch sehen wollen.

Zum Abschluss betont Dubbins noch einmal, dass er an eine Zukunft der EU glaube, jedoch müssten auch Änderungen stattfinden. Die Arbeiternehmer und sozialistischen Bewegungen der EU seien aber die einzigen Kräfte, die dies wirklich bewirken könnten.

Credits

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