Der Weisheit letzter Schluss – Nützliche Idioten

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick KW 40/22

  • Bundespräsidentenwahl – Quod erat expectandum?
  • „Corona-Regime“ in Österreich – die nächste Runde?
  • Neuregelung der Medienförderung und der Regierungsinserate – ein voller Erfolg?
  • Datenschutzabkommen zwischen den USA und der EU – tatsächlich Datenschutz?
  • Und: Stattzeitungen statt Zeitungen

Die Wahlen sind geschlagen, Österreich hat einen neuen Bundespräsidenten, nämlich den alten. Heinz Fischer und Rudolf Kirchschläger erreichten bei ihrer Wiederwahl jeweils um die 80%, Franz Jonas kam auf etwas mehr als 50%. Und der aktuelle Amtsinhaber darf laut Hochrechnungen bzw. vorläufigem Endergebnis mit um die 56% der Stimmen von etwas mehr als 65% der Wahlberechtigten rechnen. In der „Zahlenfreak-Analyse“ (die Leser erinnern sich an meinen diesbezüglichen Rechen-Beitrag zu den Wahlen in Tirol und Italien) bedeutet dies, dass der Wahlsieger rund 36% aller Stimmberechtigten hinter sich versammeln konnte. Eigentlich müsste er mit dem „Kandidaten“ der Nichtwähler, der 35% erreicht hat, in eine Stichwahl. Und da wäre spannend, ob er von mehr als 50% gewählt würde oder ob ihm die Mehrheit aller zur Wahl Berechtigten doch lieber in die wohlverdiente Pension schickten.

So frage ich mich, mich einer alten Schulweisheit erinnernd, die ich ein wenig abgewandelt habe: Quod erat expectandum? Seit Shakespeares Hamlet aber wissen wir, dass Schulweisheiten auch nicht alles erklären können. Und daher beantworte ich meine Frage mit Ja – und Nein.

Diese Wahl hätte das Potential gehabt, einer neuen Form der Amtsführung eine Chance zu geben, denn darauf waren so ziemlich alle Gegenkandidaten aus. Das Staatsoberhaupt müsste sich ja nicht unbedingt an die bislang gepflegten realpolitischen Usancen halten, keineswegs den Weg wählen, der den Eindruck erweckt, dass es nur ein nützlicher Idiot der Regierung ist. Und dennoch konnte ich mich in den letzten Wochen des Eindrucks nicht erwehren, dass mit der diesjährigen zum Staatsoberhaupt ein Paradigmenwechsel dieses wertvollen Amtes eingeläutet würde bzw. bereits wurde.

Erstmals stellen die einst „großen“ Parteien SPÖ und ÖVP keinen eigenen Kandidaten, sondern Vertrauen auf den aktuellen Amtsinhaber, der mit seinem Schweigen und seinem Durchwinken von verfassungswidrigen Regelungen, den Regierenden nach dem Maul geredet und dabei vergessen hat, dass er direkt vom Volk gewählt wurde. Was Besseres kann den Mächtigen nicht passieren.

Der Vorschlag des Tiroler ÖVP-Klubchefs war so gesehen nur ein konsequentes Weiterdenken dieses Zustandes. Er empfiehlt, um Kosten zu sparen, die Wahl des Staatsoberhauptes nicht mehr auf direktem Weg zu ermöglichen, sondern durch die Bundesversammlung (einer gemeinsamen Sitzung von National- und Bundesrat) ähnlich wie bei unseren Nachbarn in Deutschland durchführen zu lassen. Die Idee ist nicht neu, ein gewisser Hans Penz, seinerzeit Landtagspräsident in Niederösterreich hat sie schon 2016 eingebracht.

Noch weiter ging vier Jahre früher der langjährige Landeshauptmann Erwin Pröll, der das Amt überhaupt abschaffen wollte und ein Modell nach Schweizer Vorbild anregte, bei dem entweder „Persönlichkeiten aus der Regierung oder aus der Bundesversammlung“ dessen Agenden für einen bestimmten Zeitraum übernähmen.

Zu bedauern ist auch, dass es auch diesmal – wie schon so oft – keine weiblichen Kandidaten gab, die sich am vergangenen Sonntag zur Wahl stellten. Irmgard Griss hatte bei den Wahlen vor sechs Jahren im ersten Wahlgang immerhin knapp 19 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, etwas mehr als zwei Prozent weniger als der spätere Wahlsieger Alexander Van der Bellen. Damit hat sie die Stichwahl nur knapp verpasst und musste dem aktuellen Amtsinhaber den Vortritt lassen.

Nun, heuer war es also schon im ersten Wahlgang klar – und die Nichtwähler haben auch hier aufgrund des Wahlsystems dem Amtsinhaber zur absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang verholfen. Einige der Gründe für diesen Erfolg möchte ich anführen: da ist einmal der Bonus des Amtsinhabers, man weiß also, was man bekommt; da ist zum anderen die aktuelle Krisenkaskade, da wählt man mit Sicherheit, doch lieber, was man kennt; und da ist zusätzlich der Staatsfunk, der mit seiner Wahlberichterstattung dazu beigetragen hat, dass alle Gegenkandidaten immer wieder mal ziemlich blöd dastanden und der große Abwesende in deren Schatten leicht glänzen konnte – obwohl ihm trotz allem doch immer wieder mal der eine oder andere Fehler unterlaufen ist – zum Eigentor hat es dann letztlich doch nicht gereicht.

Nun noch einmal zurück zum nützlichen Idioten. Da gibt es nämlich auch eine charmante gegensätzliche Sichtweise auf diesen Begriff, die ich niemandem vorenthalten will:

Denn der Begriff „Idiot“ hat im Lauf der Zeit einen krassen Bedeutungswandel erfahren. Das aus dem Griechischen stammende Wort idiotis bedeutete ursprünglich „Privatmann“, idios ist „das Eigene“, und somit ist ein Idiot dem Wortsinn nach einer, der seinen eigenen Weg geht. Der Psychotherapeut Klaus Schlagmann führt dazu in seinem Buch „Die Narzissmus-Lüge“ aus, dass diese Eigenschaft den „Idioten“ sowohl von Opfern als auch von Tätern unterscheide, denn diese gingen nicht ihren eigenen Weg, weil sie sich entweder anderen unterwerfen oder andere für ihren Weg missbrauchen. Somit wäre es gar nicht so schlecht, wenn der neue alte Bundespräsident die Chance nützen würde, ein Idiot in diesem Sinne zu sein.

Bei allem, was uns da aktuell bevorsteht, ist aber auch unser Idiotismus im besten Sinn gefordert:

Kaum bricht der Herbst an und die erste Erkältungswelle rauscht übers Land, gibt es wieder einmal „C-Alarm“. Das führte am Mittwoch, 5.10.22 dazu, dass auch die blaue Webseite des Staatsfunks zumindest für einige Stunden die Rubrik „Coronavirus“ wieder an die erste Stelle hievte, dort wo zuletzt eher vom Ukrainekrieg oder der Energiekrise die Schreibe war.

Und das waren die dort gelisteten Meldungen:

AGES: 17.882 Neuinfektionen, 7-Tage-Inzidenz bei 989,2

Plus 52 Prozent bei Spitalspatienten in zwei Wochen

Medikamente werden kaum an Patienten verschrieben

PCR-Testsystem für Schulen bald wieder auf Schiene

Wie gut ersichtlich ist, beginnen die schon bekannten Zahlenspiele wieder, ebenso wird einmal mehr von Medikamenten statt von Prävention berichtet. Auch „die Rufe nach Maskenpflicht werden lauter“ und diese soll, glaubt man dem Boulevard, ja schon bald nach der Bundespräsidentenwahl wieder eingeführt werden. Auch das Test-Regime in den Schulen nimmt einen neuen Anlauf, obwohl die dadurch in der Vergangenheit entstandenen psychischen und auch physischen Beeinträchtigungen der jungen Menschen schon mehr als evident sind.

Zuletzt wurde auch bekannt, dass Schulleiter schulinterne Verordnungen erließen, die für die Schüler das Tragen einer Maske verordnen und damit drohten, dass man bei Zuwiderhandeln vom Unterricht ausgeschlossen würde und sich die Inhalte der versäumten Stunden selber aneignen müsse.

Das hat die Anwälte für Aufklärung dazu bewogen, die neue Schulverordnung noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Darin kommen sie zum Schluss, dass wegen ihrer Form schon die Gesetzmäßigkeit der gesamten Verordnung anzuzweifeln ist und „selbst bei Annahme einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung … die Frage“ zu stellen ist, „ob der Schulleitung eine solche (weitreichende) Anordnung von Maßnahmen, die zu (vorübergehenden) Grundrechtseinschränkungen führen, übertragen werden darf.“

Abschließend wird allen Eltern empfohlen, „bei derartigen Verständigungen und Ankündigungen die Schuldirektion sofort per E-Mail zur schriftlichen Bekanntgabe einer konkreten Begründung für die angeordneten Maßnahmen aufzufordern, um in diesem Bereich jedem Rechtsmissbrauch rechtzeitig zu begegnen.“ Vermutet wird, dass darauf abgezielt wird, weiterhin Schnelltests bei den SchülerInnen durchzuführen. Wenn dieser „bei unmündigen SchülerInnen ohne Einwilligung der Eltern bzw. trotz deren Verbots erfolgt“ kann darin „auch eine strafgesetzwidrige, eigenmächtige Heilbehandlung gem. § 110 Strafgesetzbuch (StGB) erblickt werden“, so die Anwälte.

Und die Initiative „Gesundheit Österreich“ forderte in einem Offenen Brief an die OÖ. Bildungsdirektion die endgültige Rückkehr zur Normalität an den Schulen.

Auf der oben schon genannten Website des ORF findet sich paradoxerweise auch ein Beitrag über die Ergebnisse einer Studie aus den USA, der zufolge aufgrund von Maßnahmen wie diesen vor allem bei Jugendliche neurotische Persönlichkeitsveränderungen aufgetreten sind.

Ob es mit den österreichischen Medien bergauf gehen wird, wenn das neue Medienpaket in Kraft tritt, wage ich zu bezweifeln. Wie unter anderem der ORF, Der Standard und die Wiener Zeitung berichten, haben sich die Regierungsparteien nämlich auf ein solches geeinigt. Darin enthalten sind die Einstellung der im Staatsbesitz befindlichen Wiener Zeitung als Printausgabe, deren Weiterbestand als Online-Medium mit einer monatlichen gedruckten Version, die Gründung einer staatlich finanzierten und dennoch unabhängigen Lehrredaktion für die Aus- und Weiterbildung von Journalisten, die Einführung einer Journalismus Förderung von jährlich 20 Millionen Euro zur Anhebung der journalistischen Qualität und im Kampf gegen Fake News, verstärkte Transparenz bei Werbeeinschaltungen der Öffentlichen Hand, die laut der Medienministerin dem

Informationsbedürfnis der Bevölkerung („wie Corona schon gut gezeigt hat“) entsprechen müssen sowie eine Neuregelung der GIS-Gebühr als Haushaltsabgabe. Letzteres muss aber erst bis Ende 2023 geklärt werden, die Neuregelung ist einem Entscheid der österreichischen Verfassungsrichter geschuldet, die eine GIS-Gebühr auch für Streamingdienste verlangt haben, um dem Gleichheitsgrundsatz zu entsprechen.

Die Details werden gerade im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens geklärt, Änderungen sind nicht ausgeschlossen.

Kürzlich wurde auch bekannt, dass der ORF unter dem neuen Generaldirektor plant, die „blauen Seiten“ inhaltlich zu straffen und weniger Beiträge bzw. weniger Wortanteil zu liefern. Außerdem werde es bei den Sendern FM4 und Ö1 zu Einsparungen, vor allem bei „weniger gehörten Sendungen und programmlichen Randzonen“ kommen. Auf den prompt erfolgten Protest der österreichischen Kulturszene reagierte der General des Staatsfunks, in dem er festhielt, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag und der Umfang der ORF-Radioangebote in keiner Weise zur Disposition stehe. „Ö1 und FM4 werden auch weiterhin die breite Plattform für österreichische Kunst und Kultur sein“, so der ORF-Chef.

Auch was die Nutzung digitaler Medien anbelangt, lohnt es sich durchaus eigene, möglichst unabhängige Wege zu gehen, was allerdings nur eingeschränkt möglich ist, es sei denn, man verzichtet ganz auf Smartphone, Internet und Co.

Auf den Internetseiten des ORF-Senders FM4 fand sich dieser Tage ein Bericht über die angeblich knapp vor dem Ende stehenden Verhandlungen zwischen den USA und der EU über ein schon seit längerem geplantes Datenschutzabkommen.

Wie der Datenschutzaktivist Max Schrems und die Datenschutzorganisation NOYB kritisieren würden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt, zudem liege auch zwei Jahre nach dem Aus für den so genannten „Privacy Shield“ vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch keine Lösung vor.

Es gäbe diesbezüglich zwar eine neue Executive Order des amerikanischen Präsidenten, die eine verbindliche Dienstanweisung an alle Beamten ist, Schrems ist aber wie NOYB wegen der ihm vorliegenden Informationen äußerst skeptisch. Für die EU-Kommission stellt diese Anweisung die Einführung von neuen rigorosen Absicherungsmaßnahmen dar, um zu garantieren, dass „Maßnahmen der Nachrichtenaufklärung notwendig und ausgewogen im Sinne der nationalen Sicherheitsinteressen“ seien. Zusätzlich sei „eine rigorose, mehrstufige Überwachung der Aktivitäten zur Nachrichtenaufklärung“ durchzuführen, um „die Einhaltung der Einschränkungen für Nachrichtenaufklärung“ zu gewährleisten. Außerdem sei ein „Rechtsschutzmechanismus durch eine unabhängige Instanz mit der Befugnis, Maßnahmen zur Entschädigung und Wiedergutmachung einzuleiten“ vorgesehen.

Der „Rechtsschutzmechanismus“, der eigentlich als Gericht hätte ausgestattet werden sollen, gleiche eher einer Ombudsstelle ohne tatsächliche judikative Macht, so Schrems, ebenso sei er nicht davon überzeugt, dass sich dadurch die „sattsam bekannte Massenüberwachung von Daten aus Drittstaaten durch die NSA und Co.“ wirklich eindämmen lasse.

Wie es aussieht herrscht in den USA noch immer die Einstellung, dass Nicht-Amerikaner keine Grund- und Bürgerrechte verdienen“, meint der Datenschutzaktivist.

Die Lage bleibt leider weiter unübersichtlich, eine Rechtssicherheit scheint weiterhin in weiter Ferne. Auch der jüngste „SWIFT-Skandal“, in dem die CIA an „enorme Konvolute europäischer Finanztransferdaten aus dem europäischen SWIFT-System kommen konnte“, ist nach wie vor ungeklärt und lässt weiterhin kein Vertrauen in US-amerikanische Zusagen aufkommen.

Die Europäische Kommission muss nun jedenfalls einen so genannten „Angemessenheitsbeschluss“ gemäß Artikel 45 DSGVO ausarbeiten, dazu müssen der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) und die europäischen Mitgliedstaaten angehört werden. Eine negative Stellungnahme des EDSA ist nicht bindend, die Mitgliedstaaten aber könnten den Beschluss verwerfen. Damit ist allerdings nicht zu rechnen, so NOYB. Wenn die Entscheidung dann einmal veröffentlicht ist – was im Frühjahr 2023 zu erwarten ist -, können sich die Unternehmen bei der Übermittlung von Daten in die USA darauf berufen und Nutzer können diese vor den nationalen und europäischen Gerichten anfechten.

Abschließend möchte ich noch eine Idiotin im besten Wortsinn vorstellen:

Die deutsche Journalistin Stef Manzini hat am 22.2.22 ein neues Onlinemedium namens „Stattzeitung – freie Presse Bodensee“ gegründet. Damit steht sie in einer in den 1970er-Jahren begründeten Tradition von Stattzeitungen, die aus der Bürgerinitiativen Bewegung als Mittel der Gegenöffentlichkeit hervorgegangen ist. Deren Ziel war es, Informationen zu verbreiten, die ansonsten nicht oder kaum an die breite Öffentlichkeit gelangten, da sie in der etablierten Presse keinen Niederschlag fanden.

Motivation für ihre Initiative fand Manzini darin, dass sie die Zeitungen zunehmend als gleichgeschaltet erlebte. Dadurch bekommt der Leser zwangsweise nur eine einzige Weltsicht serviert, ein selbständiges Abwägen, das durch mehrere Perspektiven ermöglicht wird, geht dadurch verloren. Aufgrund ihrer kritischen Sichtweise verlor sie ihren Job bei einem etablierten Blatt und beschloss daraufhin, ihre eigene Zeitung zu gründen.

Im RUBIKON-Gespräch mit Friederike de Bruin erzählt sie vom Werdegang dieser Idee und einem notwendigen Journalismus mit Rückgrat.

Wie sich an diesem Beispiel zeigt, gibt es also Möglichkeiten, den jeweils eigenen Begabungen und Talenten auch abseits des Mainstreams auf ganz eigenen Wegen zu folgen und auf diese Weise zu einem wahrlich nützlichen Idioten für das große Ganze zu werden.

Credits

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WG – 2022 KW40-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY SA 4.0