Die Köpfe der Hydra – Radikalisierung

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Meinung

Radikalisierung, Verdrehung, Korruption von Werten

Kein gutgemeinter Ansatz, keine Bewegung, die nicht innerhalb weniger Jahre zu einem Tummelplatz für Prinzipienreiter und Fanatiker wird. Oft machen diese nicht einmal den Eindruck, an der Sache zu hängen, sondern einfach nur beliebig viel Disharmonie säen und andere ungestraft maßregeln zu wollen.

Von Feminismus zu Rachefantasien

Positiver Feminismus strebt danach, die jahrhundertelange Geringschätzung, die Frauen in der Öffentlichkeit, in Gesetzestexten und in unseren Köpfen entgegengebracht wurde, hinter uns zu lassen und zu einer gleichwertigen Kooperation mit den Männern zu kommen.

In diesem Sinne wäre die angestrebte Emanzipation eine gemeinsame, auf Austausch und gegenseitige Befeuerung ausgelegte, die nicht die Frauen von den Männer befreit oder über sie erhöht, sondern beide Geschlechter aus einer Doktrin der Trennung, der Zwänge und des gegenseitigen Misstrauens löst.

Was daraus geworden ist – oder zumindest die Stimme, die man am lautesten hört (weil Dummheit sich leider nicht mit Nebensächlichkeiten wie Reflexion aufhält) -, ist aber eine ganz andere, praktisch gegenteilige Nachricht. Es ist der Versuch, den Spieß umzudrehen, zu entwerten und zu bedrohen. Diese Einstellung untergräbt den positiven Feminismus vollkommen, man kann sogar ohne Übertreibung sagen, dass sie ihm den Todesstoß wahrscheinlich bereits versetzt hat.

Hier erfolgt auch keine offizielle Distanzierung – wie auch, da es kein zuständiges Gremium gibt, sondern jedem und jeder deren eigene Auslegung und Umsetzung des Begriffs überlassen bleibt… Zu einer solcherart verschwommen definierten Bewegung, die vollkommen gegensätzliche (teils leider auch absurde, zutiefst sexistische) Überzeugungen in sich vereint und toleriert, will man sich gar nicht bekennen.

Gleichzeitig will ich mich aber auch nicht pauschal vom Feminismus distanzieren, denn für seine positiven Werte stehe ich sehr wohl und würde es auch als Verrat an all den mutigen und wunderbaren Frauen empfinden, die ohne Bitterkeit einfach nur für echte Gleichstellung gekämpft haben, zu einer Zeit, als dieser Schritt noch sehr ernste Folgen haben konnte.

Was bedeutet also – für mich persönlich – positiver Feminismus? Ein Streben nach Freiheit von Unterdrückung für alle Frauen (und vielerorts sind die Zustände erschreckend); ein Ende der aufgezwungenen Rollenbilder für beide Geschlechter – bei gleichzeitiger Achtung der tatsächlichen Unterschiede; die Möglichkeit, Kinder zu haben, ohne in die Armutsfalle zu schlittern (weil man dadurch beruflich aneckt und bei schlecht bezahlten Jobs hängenbleibt); ein Ende der Unterhaltszahlungen, die nur endlosen Unfrieden schaffen, und stattdessen ein Grundmaß an selbstverständlicher finanzieller Sicherheit für alle; ein Ende von Beschämung und Herabsetzung der weiblichen Geschlechtlichkeit, eine Justiz und ein Jugendamt, die auf echte Hilfe ausgelegt sind, leistbare Mediation und Familientherapie, und… und… und…

Es lässt sich in Wirklichkeit ganz leicht zusammenfassen: Fairness für alle.

Maskulinismus (dessen Anliegen in Wirklichkeit keineswegs im Widerspruch zu denen des Feminismus stehen müssten, sondern nur einen anderen Fokus haben) sollte ebenso wie Feminismus nichts anderes als ein Teilaspekt einer gemeinsamen Philosophie sein, die nach echter Versöhnung und Respekt vor einander strebt. Statt brav über die vorgegebenen Themen zu streiten, sollten wir lieber laut lachen über den Versuch, etwas, das so sehr und so offensichtlich geistig wie körperlich zusammengehört wie die beiden Geschlechter, zu trennen.

Vom Marxismus zum Kommunismus

Die positive Seite der Grundidee ist, dass man, in lokale Kooperationsbereiche aufgeteilt, gemeinschaftlich wirtschaftet und für größere Zusammenhänge (vor allem der Life-Cycle von Gütern, die hohen Herstellungs- und Entsorgungsaufwand bedeuten und somit nur in Zusammenarbeit gemanagt werden können) ein langfristig planendes Verteilungssystem aufbaut, beides vernünftige Ansätze.

Ebenso sollten, wie es so schön heißt, die Produktionsmittel tatsächlich den Arbeitenden gehören, so dass der Wert, den sie schaffen, nicht von oben abgeschöpft wird und sie nicht, wie das im Kapitalismus als anständig und richtig betrachtet wird, mit dem zum Überleben gerade noch ausreichenden Minimum abgespeist werden.

Was der Kommunismus daraus jedoch gemacht hat – nämlich vor allen Dingen das Hinzufügen eines zutiefst faschistischen Kontrollsystems, das Unterwerfung statt freiwilliger Kooperation verlangt, Kritik rigoros unterbindet und schließlich fast schlimmer wütet als der Kapitalismus (indem er seine absolute Macht nutzt, um jegliche Erträge des Systems wiederum einer kleinen Minderheit zukommen zu lassen, während der Rest in Mangel und Perspektivlosigkeit versinkt) – ist eine so vollkommene Perversion der Grundidee, dass man von nicht weniger als einer Verkehrung ins Gegenteil sprechen kann.

Kein Wunder, dass diese Übernahme nur funktionieren konnte, indem sämtliche gebildeten Bürger ermordet oder vertrieben wurden – und man muss sich fragen, wie dieser Coup ohne massive Hilfe von außen überhaupt möglich gewesen sein kann.

Von freier Marktwirtschaft zu Turbokapitalismus

Das Konzept einer Marktwirtschaft, die auf einem Tauschmittel beruht, das im Gegensatz zu Tauschware nicht verdirbt und leicht zu transportieren ist, war eine geniale Idee. Auch das Prinzip, dass sich der Markt selbst reguliert, weil zufriedenstellender Service zu treuen Kunden führt, funktioniert im kleinen Rahmen.

Sobald jedoch größere Konglomerate entstehen, wird dieser Markt verzerrt, weil man mit mehr Kampfkapital die Marktlage beeinflussen kann – beispielsweise indem man künstlich Engpässe erzeugt, Konkurrenten feindlich übernimmt oder durch Kampfpreise aus dem Weg räumt, bis alle verschwunden sind.

Ob Privatmann oder Firma, ab einem gewissen Volumen an Reichtum ergibt sich eine Aufwärtsspirale, die sich immer schneller dreht und auf verschiedenste Weise Mittel von allen anderen abzapft.

Größtenteils geschieht dies durch Zinsen, weshalb es früher die Jubeljahre gab: Jedesmal, wenn das System seinen unausweichlichen Endzustand von Konzentration aller Geldmittel in wenigen Händen und daraus resultierend keinerlei Handlungsspielraum für alle anderen erreicht hatte, wurden die Würfel quasi neu geworfen, alle Schulden gestrichen – und das Spiel konnte von vorne beginnen.

Von Spiritualität zu Religionsfanatismus

Die Idee, dass die Welt durch ein gemeinsames Prinzip geeint und beseelt ist, führt unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zu einer recht gesunden Einstellung. Einerseits ist damit klar, dass Umwelt und Mitmenschen zu respektieren sind, andererseits führt es zu einem Gefühl von Eingebundensein und Dazugehören. Obendrein ist es auch ein Anreiz zur Suche nach Weisheit und Verständnis, zu einem Streben nach geistigem Wachstum und Pflege der Seele.

Kaum reißt jedoch eine Priesterklasse, üblicherweise in Verbindung mit dem weltlichen Herrscher, die Deutungshoheit über spirituelle Fragen an sich, ist das Ergebnis weltweit immer und immer wieder das Gleiche. Die Religion wird von innen ausgehöhlt und wendet sich dem Gegensatz ihrer ursprünglichen Botschaft zu: Trennung in Gläubige und andere (mit blutigen Konsquenzen), Streben nach politischer Macht, Vorenthalt und sogar Verbot von Wissen, Tyrannei und Gedankenkontrolle, Anhäufung von Reichtum und schließlich Dekadenz und Ausschweifung – denn auch für Priester gilt, dass absolute Macht absolut korrumpiert.

Die von ihnen verführte Gemeinschaft von Gläubigen, denen das Denken und Hinterfragen schon in der Kindheit mit allen Mitteln ausgetrieben wird, erstarrt dafür in Pflichtgehorsam und hohlen Phrasen auf der einen Seite des Spektrums, in flammender Verachtung bis hin zum Hass gegenüber Andersdenkenden, Bigotterie und Selbstgerechtigkeit auf der anderen.

Wie meist ließen sich noch diverse weitere Beispiele anführen.

Streng genommen gibt es wohl kaum eine radikale Bewegung, die nicht mit guten Ansätzen begonnen hat – wie sonst hätte sie auch eine Basis finden sollen? Unter diesem Gesichtspunkt sollte man die Welt betrachten und beurteilen: Jeder Konflikt, jede Zuspitzung, jedes Extrem hat eine Geschichte. Nichts kommt aus einem Vakuum heraus, und sehr wenig geschieht ohne einen nachvollziehbaren Grund.

Oft genug ist dieser Grund Manipulation – das Nutzen eines Vertrauensverhältnisses in einer Gruppe, um diese zu unterwandern und zu instrumentalisieren. Mitunter mag es auch die unglückliche Dynamik zwischen Menschen sein, sich gerne mit Leuten gleicher Anschauung zu umgeben und dann die Abwesenheit von Opposition als Beweis für die Unangreifbarkeit der eigenen Position zu betrachten.

Sich daher auf Gespräche mit Leuten vollkommen anderer Überzeugung einzulassen, ist – obwohl fordernd und manchmal unangenehm berührend – ein wichtiges Korrektiv für die eigene Weltsicht. Freilich hat man wenig davon, wenn es einem dabei nur darum geht, dem anderen zu beweisen, dass dessen Standpunkt wertlos sei. Anstatt sich, während der andere spricht, sein nächstes Gegenargument zu überlegen, sollte man wirklich zuhören und im Stillen abwägen, ob die Möglichkeit besteht, selbst fehlinformiert zu sein.

Dieser respektvolle Umgang mit Gesprächspartnern ist übrigens nicht zu verwechseln mit der recht seltsamen esoterischen Einstellung, dass alle Wahrheiten gleichwertig sind. Menschenverachtung, das bewusste Verbreiten von Lügen usw. sind nicht zu tolerieren – und die stumme Akzeptanz, die solches Verhalten genießt, ist Grund für sein Überhandnehmen.

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