„Die neuen Biedermenschen“ (Karl Kollmann) – Aktionsradius Wien

Gesellschaft

Veranstaltungsdaten

Datum
30. 9. 2020
Veranstalter
Aktionsradius Wien
Veranstaltungsart
Podiumsdiskussion

Das letzte Buch von Karl Kollmann ist Basis dieses vom Aktionsradius organisierten Diskussionsabends. Der Publizist Hannes Hofbauer leitet die Runde und stellt zu Beginn die Abwesenden (den 2019 verstorbenen Autor und den Corona-bedingt fehlenden Philosophen Alfred Pfabigan) und die Anwesenden kurz vor. Danach geht er auf die Grundthesen in Kollmanns Buch ein: Die Revolutionäre der 68er-Bewegung hätten sich mit den kapitalistischen Grundstrukturen arrangiert, das linksliberale Weltbild habe mittlerweile ein ähnlich striktes Korsett für den Einzelnen geschaffen, wie das ihm vorausgehende konservative.

Nach einer kurzen Leseprobe beschreibt der Historiker und Publizist Franz Schandl, wie er den Autoren kennengelernt hat, um danach näher auf das Werk einzugehen. Er hält es in Teilen für zu aggessiv formuliert, auch wenn die Thesen durchaus nachzuvollziehen sind. Schandl stellt einen doppelten Mainstream fest: einerseits den rechtspopulistischen (FPÖ, Krone) , andererseits den linksliberalen (Grüne, Standard). Letzteren hat sich Karl Kollmann als Ziel seiner Kritik ausgesucht – die neuen Biedermenschen. Diese Postmaterialisten sieht der Autor eigentlich auch als Materialisten, da sie materiell abgesichert sind und damit den unmittelbaren Materialismus nicht nötig haben.

Die Soziologin Kathrin Kollmann, Tocher von Karl Kollmann, stellt fest, dass die aggressive Sprache immer schon Stilmittel ihres Vaters gewesen ist. Sie erlebte ihn immer als aufsessig und unbequem, auch in seiner Tätigkeit bei der Arbeiterkammer. Seine wissenschaftlichen Arbeiten waren von hoher Qualität, doch fehlten ihm in seinem Job die inhaltlichen Möglichkeiten, daraus Perspektiven abzuleiten.

Den Zwiespalt der neuen Biedermenschen, einerseits gesellschaftsliberal zu sein und sich gerne moralisierend zu Wort zu melden, andererseits den Wirtschaftsliberalismus abzulehnen, ihn aber nur mehr oberflächlich zu kritisieren – weil man sich mit ihm arrangiert hat –, findet man vor allem in urbanen Gesellschaften.

Die übertriebene political correctness hat das linksliberale Korsett in vielen Lebensbereichen immer enger geschnürt, und damit bei Kollmann immer stärkere Aversionen geweckt. Der Liberalismus der 68er-Bewegung habe sich demenstsprechend in sein Gegenteil verkehrt; die damals revolutionären Ideen für soziale Umbrüche haben sich im Kleinklein des Alltags verlaufen.

In einer ausführlichen Publikumsrunde werden weitere Themen, die das Buch, aber auch die neuen Biedermenschen und ihre Vorgeschichte betreffen, diskutiert.

Credits

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Die neuen Biedermenschen Wolfgang Müller CC BY SA 4.0