Von der Wut

Lebenswelten

Vor ein paar Jahren musste ich herausfinden, dass eine Person, von der ich dachte, sie sei eine Freundin, in Wahrheit keine war. Diese Situation kennt sicherlich jeder …

Frauen gehen Bindungen anders ein als Männer; wir bilden eine Art Schwesternschaft, in der wir einander wirklich vertrauen.

Ich werde Euch jetzt nicht darüber erzählen, wie sehr mich das Verhalten meiner Freundin enttäuschte. Denn darum geht es mir hier nicht. Ich fühlte mich einige Tage lang schlecht und fragte mich ständig:

Warum? Warum hat sie das getan?

Ich zerbrach mir den Kopf darüber. Das ging noch vier oder fünf Tage so, und ich versuchte, meine Gefühle und Emotionen zurückzuhalten. Doch es half alles nichts.

Eines Nachts, es vergingen ungefähr zehn Tage, hatte ich einen Traum: Ich war in einem Auto und reiste durch eine grüne, ländliche Gegend, die von Bergen umgeben war. Ich war mit zwei engen Freunden unterwegs. Wir fuhren irgendwo hin. Nach einer Weile hielten wir und gingen weiter. Die ganze Zeit über verlor niemand auch nur ein Wort. Wir schwiegen. So folgte ich ihnen ganz einfach, ohne zu hinterfragen, was sie eigentlich vorhatten.

Der Weg schien völlig surreal. Je weiter wir uns fortbewegten, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass wir uns im Herzen einer reinen, unberührten Natur befanden, der Teil der wilden und doch prächtigen Natur war. Die Landschaft vermochte mich an eine ursprüngliche Welt zu erinnern.

Wir erreichten ein kleines Dorf, in dem die wenigen Häuser, die ich sehen konnte, auf Stelzen standen. Meine Freunde betraten eines dieser Häuser. Ich folgte ihnen. Wir betraten die Eingangshalle. Dort stand ein Mann mit einem Wolfshund an seiner Seite. Man hätte meinen können, meine  Begleiter kannten ihn, denn sie begrüßten einander wie alte Freunde. Ich schätzte den Mann auf Ende 40, seine Haut war karamellfarben. Und seine Gesichtszüge erinnerten mich an die Ureinwohner Amerikas. Sein ganzes Wesen strahlte Sicherheit und Mut aus.

Als ich mit der Begrüßung dran war, blieb ich in einigen Metern Entfernung vor ihm stehen. (Ich muss hier eine kleine Klammer öffnen: Als ich 14 Jahre alt war, wurde ich von einem Hund gebissen, von einem großen, von einer Deutschen Dogge. Seither habe ich Angst vor großen Hunden.) Genaugenommen blieb ich aus Angst vor diesem Hund stehen.

Ich erinnere mich daran, wie mir das Blut in den Adern gefror, als ich mitbekam, wie dieser Hund sich mir näherte. Er begann, an mir zu schnuppern, öffnete dann sein Maul und biss sachte aber entschlossen in meinen linken Unterarm, ohne dabei aggressiv zu sein. Ich schrie nicht, aber ich erstarrte blitzschnell.

Sein Besitzer rief den Hund zurück, und dieser kehrte bedächtig auf seinen Platz zurück. Der Mann lächelte und sagte:

Du musst vorsichtig sein: Tollwut ist eine Krankheit, die sich mit der Zeit entwickelt. Man kann die Warnzeichen dafür erkennen, aber es kann auch in Dir schlummern und, plötzlich, irgendwann mit entsetzlicher Gewalt ausbrechen. Tue nicht so, als existierte diese Krankheit nicht, denn, auch wenn sie ruht, trägst Du sie immer noch in Dir. Sei Dir bewusst, was Du hereinlässt.

Dann kam er auf mich zu, nahm meine Hand und zeigte mir das Innere des Hauses. Es war klein und einfach und doch heimelig und einladend. Als wir das Wohnzimmer betraten, sah ich ungefähr 35 Menschen, die auf uns warteten. Es waren die Mitglieder des Dorfes, seines Stammes.

Die Frauen begannen zu singen und zu tanzen, Männer spielten ihre Instrumente, Kinder waren überall; jeder lächelte und war glücklich, als ob sie etwas feierten. Eine Frau ergriff meine Hand und geleitete mich in die Tanzmitte. Ich tanzte nun mit ihnen und fühlte mich, als sei ich Teil dieser Feier.

Ich wachte auf und hatte immer noch ein warmes Gefühl in mir. Aber um Euch ein noch besseres Verständnis für die wahre Bedeutung meines Traumes zu geben, müsst Ihr wissen, dass im italienischen das Wort für Tollwut und Wut dasselbe ist. Als der weise Mann mir also die Bedeutung von Tollwut näher bringen wollte und wie sie sich in mir entwickeln konnte, bezog er sich dabei auf Wut.

Die Botschaft war mir nun klar: Ich durfte dem Gefühl Wut nicht erlauben, in mich hineinzukriechen, weil sie, sobald sie in mir ist, früher oder später ausbrechen würde. Als Menschen können wir krank vor Wut werden, aber es ist nicht klug, das zuzulassen. Wut verdirbt uns, nicht die Person, auf die wir wütend sind, also stößt es in unser innerstes Sein und zersetzt das Gute in uns.

Mir wurde bewusst, dass ich im Traum die Antwort fand, die ich suchte, denn ich wollte verstehen, was sich wirklich hinter dem Vorfall verbarg. Das Leben hat mich an einen Punkt gebracht, an dem ich zu einer reflektierten Person geworden bin, deshalb bin ich so lange nicht zufrieden, bis ich eine Sache komplett verstanden habe.

Zugegebenermaßen bin ich oft mit dem Kopf durch die Wand gerannt, bis ich endlich dieses Bewusstsein erreichte; besonders diese Situation hatte mich gelehrt, dass es mich nicht weiter bringen würde, wenn ich meiner Wut Raum gebe. Das hilft mir nicht. Das bringt mich nicht weiter. Ich habe gelernt, dass ich nicht allein bin, wenn ich Verantwortung für meine gesammelten Erfahrungen übernehme, sondern in Einklang mit der Energie der Liebe, die ich Gott nenne.

Es geht um den Glauben – auch wenn man ihn nicht anfassen kann. Man kann ihn definitiv fühlen.

Sankt Augustin sagte:

Credo ut intelligam, intelligo ut credam.

Das heißt: Ich glaube, um zu verstehen, und ich verstehe, um zu glauben. Seine Botschaft ist die, dass unser Glaube nicht künstlich und leer sein sollte, sondern verbunden mit Wissen – das eine schließt das andere nicht aus.

Übersetzung ins Deutsche: Hannah Kohn

Beitragsbild: Patryk Kopaczynski, CC BY-SA 4.0

Credits

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die_wut Patryk Kopaczynski CC BY-SA 4.0