Dr. Beate Großegger – Die Lebensrealität(en) junger Menschen in unserer Zeit

Gesellschaft

Bei den Kitchen Talks zu Gast ist dieses Mal die promovierte Kommunikationswissenschafterin Frau Mag. Dr. Beate Großegger, die als eine Pionierin der internationalen Jugendforschung gilt und Mitbegründerin sowie stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung ist.

Zur Definition des Begriffs „Jugendforschung“ hält die anerkannte Sozialwissenschafterin fest, dass man wissenschaftlich betrachtet darunter die Zeit zwischen dem Kindheitsalter und dem etablierten Erwachsenenalter von 11 bis 29 Jahren versteht. Vor allem Erwachsene, aber auch die Wirtschaft haben aus verschiedensten Gründen besonderes Interesse daran, mit Hilfe der Jugendforschung die junge Zielgruppe besser zu verstehen, und sie erinnert daran, dass es über die Jahre immer wieder neue und sich verändernde Erwartungen an Jugendliche von Seiten der Gesellschaft gegeben hat und gibt.

Dr. Großegger erzählt, dass in ihrer Jugend diese Zeit vor allem als Moratorium verstanden wurde, sprich als eine Lebensphase in der man sich ausprobieren durfte. Heute geht es aber unter dem Schlagwort Übergangsmanagement vor allem darum, dass die Jugend möglichst gut und effektiv ins Vollerwachsenenleben übertreten soll, damit sie dann möglichst bald brave Steuerzahler werden. Es wird also eine optimierungsorientierte Einordnung in die Gesellschaft von den Jugendlichen erwartet, die Persönlichkeitsentwicklung und die Ergründung der Fragen “Wer bin ich?“, “Was will ich?“ & “Wo will ich im Leben hin?“ haben über die letzten Jahrzehnte an Bedeutung verloren. Die Folge ist, dass es kaum mehr experimentelle Spielräume für Jugendliche gibt, um herauszufinden und auszuprobieren, was sie erreichen wollen. Diese Entwicklung macht Dr. Großegger nachdenklich.

Das Institut für Jugendkulturforschung, dem sie seit vielen Jahren angehört, hat neben Auftragsstudien einen starken nicht kommerziellen Arbeitsschwerpunkt, so werden u.a. proaktiv Themen aufgegriffen, die das Institut für gesellschaftlich interessant erachtet, und selbst finanzierte Eigenstudien und Expertisen durchgeführt.

Sie erklärt, dass wir alle einen Informationsoverload erleben und daher vor der Herausforderung stehen, die für uns relevanten Informationen zu finden, zu filtern und zu nutzen. Aus der Sicht von Dr. Großegger ist Information Allgemeingut geworden. Das bedeutet was es heute braucht ist Informationsselektionskompetenz, also die Expertise zu entscheiden welche Informationen in welchem Zusammenhang relevant, brauchbar und nützlich sind.

Dr. Beate Großegger wurde 1966 geboren und erlebte Ihre Jugend Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre. Sie erinnert sich wie zu dieser Zeit für sie und ihre Freunde die 60er Jahre das Leitjahrzehnt waren und wie sie als jüngere Schwester von ihrem 10 Jahre älteren Bruder gerne zu dessen Aktivitäten mit seinen Freunden mitgenommen wurde, sprich sie war damals eben als jüngere Schwester immer mit dabei. Es war damals gang und gäbe, dass man sich auch als relativ schriller und Jugendkultur orientierter junger Mensch mit den Kleineren abgibt, so konnten auch damalige Leitfiguren der Popkultur wie David Bowie immer gut mit Kindern umgehen.

Das hat sich geändert, und daher sieht man so etwas in dieser Form heute kaum mehr, denn in unserer Zeit sind Jugendliche viel stärker um Abgrenzung zu anderen Altersklassen bemüht als damals, eigentlich lebe man aneinander vorbei, betont Frau Dr. Großegger.

Von der Woodstockgeneration, die ihre Jugend geprägt hat, ist ihrer Ansicht nach wenig geblieben.

Im Zuge der digitalen Transformation kommt es zu einer Veränderung in den Jugendkulturen. Das heißt die digitalen Technologien tragen zu einer Verbreitung jugendkultureller Trends in der westlich-industriellen Welt bei und die Reichweite der jugendkulturellen Trendphänomene wächst natürlich mit den Möglichkeiten der digitalen Verbreitung. Diese Trends werden an verschiedenen Orten in der westlich-industriellen Welt unterschiedlich gelesen und interpretiert. Das heißt wir haben das Phänomen des Glokalismus, also des Globalen und des Lokalen in den Jugendkulturen.

Im deutschsprachigen Raum war es in den 80er Jahren aus der Sicht von Frau Dr. Großegger klar, dass man sich vor allem an der britischen Jugendkultur orientiert hat, heute orientieren sich die Jugendlichen vor allem an den USA. Neben dem bereits genannten David Bowie gehörte damals auch Brian Eno zu den Ikonen der Jugendkultur in den 1970ern, in den frühen 80ern war u.a. die New Wave Bewegung besonders stark.

Das Beziehungsverhalten der Jugendlichen ist im Kontext größerer gesellschaftlicher Trends zu verorten. In den späten 60er und frühen 70er Jahren wollte die Jugend aus den Lebensentwürfen der Eltern ausbrechen, so entstanden im studentischen Milieu die ersten WGs. Man hat sich überlegt, wie man sein Leben anders als jenes der eigenen Eltern anlegen könnte. Diese galten als kleinbürgerlich, und aus diesem Lebensentwurf wollten vor allem besser gebildete Jugendliche aussteigen. Dr. Großegger macht klar, dass ihre Generation Rebellion und Revolution aber zu einer Zeit der Vollbeschäftigung leben durfte und sie mit einem Gefühl von zu viel – ja sogar erdrückender – Sicherheit aufwuchs. Heute ist das alles anders.

Die Jugendlichen heute wachsen in einer sehr komplexen Lebenswirklichkeit heran, vieles ist möglich – zugleich aber gilt: nix ist fix. Die einzige Konstante im Leben der Jugendlichen ist, dass sich alles ständig verändert. Wir erleben sehr dynamische Transformationsprozesse und das hat Konsequenzen für das Lebensgefühl der Jugendlichen, so ist auch das Beziehungsleben nicht vom ökonomischen Leben zu trennen. Heranwachsende suchen nach Sicherheit in der kleinen harmonischen Gemeinschaft und die Liebesbeziehung ist eine Variante davon.

Zu den Beziehungssehnsüchten der Jugendlichen führt Dr. Großegger aus, dass es für alle Jugendlichen wichtig ist, in einer harmonischen Familiensituation groß zu werden. Die Herkunftsfamilie ist ein wichtiger Lebensbereich, weitere sehr wichtige Lebensbereiche sind die engen Freundinnen und Freunde und die Liebesbeziehung(en). Die Jugendlichen sehen am Beispiel der Elterngeneration aber, dass es nicht immer funktioniert die große Liebe zu finden, dennoch ist auch das Beziehungsverhalten von Jugendlichen ist sehr stark von dementsprechenden Sehnsüchten geprägt.

Im Zuge ihrer Lehrtätigkeit als externe Lehrbeauftragte an einer Uni hat sie von den Studenten u.a. erfahren, dass diese sehr beschäftigt sind mit Flirt-Apps und Partnerbörsen. Dabei äußerten die jungen Menschen den Wunsch, dass sie gerne eine Partnerbörse mit einem Algorithmus hätten, der sicherstellt, dass die Beziehung hält, für Dr. Großegger ein Zeichen von Unsicherheit. 

Aktuell wird nur mehr eine von fünf Beziehungen in der Realität angebahnt, die Studenten gehen auch an der Uni nicht mehr auf andere KollegInnen zu, der Aspekt der Sicherheit ist Ihnen sehr wichtig, denn ein existenzielles Lebensgefühl der Unsicherheit hat sich breit gemacht und man hat Angst, zurückgewiesen zu werden. Die jungen Menschen wünschen sich daher, dass ein organisierter Rahmen beim Kennenlernen da sein sollte, der Ihnen Sicherheit bieten soll. Aber auch in anderen Lebensbereichen ticken die Jugendlichen sicherheitsorientiert, hält Dr. Großegger fest.

Die Ergebnisse ihrer Studien zeigen, dass junge Menschen strebsam sind, Leistung bringen wollen, und dass sie wahnsinnige Angst haben, ein Risiko einzugehen. So stellen sie sich nicht gerne einer Herausforderung, die mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte, und bei der das Erfolgserlebnis nicht vorprogrammiert sein könnte. Diese Entwicklung sieht man im schulischen Bereich, im Lern- & Ausbildungsbereich und im Beziehungsverhalten, die großen Rebellen gibt es heutzutage nicht.

Auf die Frage wie sich das Geschlechterbild entwickelt hat antwortet Frau Dr. Großegger, dass es bei diesem Thema zu einer deutlichen Änderung im Verhalten und in den Sichtweisen im Vergleich zu Ihrer Jugendzeit gekommen ist.

So hat in Ihrer Jugend die neue Frauenbewegung, die ist aus der neuen Linken entstanden ist, auf breiter Ebene zuerst in den intellektuellen Milieus Fuß gefasst. Damals wurden Frauenthemen als soziale Themen verstanden und Geschlecht als soziale Konstruktion angesehen, es ging damals sehr stark um die Rolle von Mann und Frau in der Gesellschaft. Ende der 80er/Anfang der 90er begann sich alles auszudifferenzieren, und dann ist an die Stelle der Frauenforschung die Genderforschung getreten.

Der Akzent in der Genderdebatte liegt heute weniger auf dem sozialen Geschlecht, sondern vielmehr auf der Identität und Identität wird als wählbar angesehen: das heißt wir sind von der Systemfrage weggekommen und Geschlechtsidentität wird um es überspitzt zu sagen von jeder und jedem konstruiert. Dr. Großegger bekennt, dass dies eine Entwicklung ist, mit der sie sich schwer getan hat. Dieser Prozess der Individualisierung führt dazu, dass es so aussieht als ob alles frei wählbar wäre. Das führt dazu, dass zB junge Frauen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt glauben, es wäre alles gestaltbar, und dann das erste Mal feststellen, was soziales Geschlecht bedeutet und es zu einem ersten großen Aha-Moment kommt.  

Es reicht heutzutage zB an den Universitäten nicht mehr, dass man beide Geschlechter nennt und im Text ein Binnen-I einfügt um darauf hinzuweisen, dass immer beide Geschlechter gemeint sind, weil es mehr als zwei Geschlechter gibt. Daher gibt es an den Unis u.a. auch eine Debatte zu standardisierten Fragebögen.

Geschlecht und Identität wird in unserer Gesellschaft von Jugendlichen zusehends als uneingeschränkt frei wählbar begriffen, das Augenmerk aber nur auf frei wählbare Identität zu richten und sich von sozialen Fragen, die sich für die Menschen stellen, wegzubewegen, hält sie für problematisch. Wobei die jungen Menschen die frei wählbare Identität nicht verwirrt. So hat in einer ihrer Unterrichtsstunden an der Universität die Studentin Astrid vor den anderen Studierenden verkündet, dass sie ab sofort Jonathan heißt und dass sie den Transgenderprozess eingeleitet hat, die Studienkollegen nahmen diese Nachricht wohlwollend zur Kenntnis. 18 Monate später hat sie die Studentin wieder getroffen und nun hiess sie wieder Astrid…

Das Problem ist, dass in der öffentlichen Debatte suggeriert wird, dass mit den vermeintlich frei wählbaren Identitäten wählbare Chancen verbunden sind – und das ist in der Realität nicht der Fall, macht die Sozialwissenschafterin klar.

Als ebenso bedenklich empfindet sie, dass in der Diskussion von heiklen sozialen Themen sehr oft auch sozial gesinnten Leuten gegenüber der moralische Zeigefinger ausgepackt wird.

Beim Thema Körperbewusstsein ist ein Wandel des Verhältnisses junger Menschen zu ihrem Körper in den letzten 20-30 Jahren zu beobachten hin zu einer Bereitschaft und einem Zwang, sich zu verändern. Früher war es so, dass man Körper war, jetzt hat man Körper und das was man hat kann man gestalten, optimieren und vermarkten, das heißt Körper ist auch Kapital und Körper versucht man einzusetzen, um zu punkten. Das Motto ist „Ich erschaffe mein Körperbild mit dem ich in der Gesellschaft punkten kann“. Das sieht man zB ganz stark in der Fitnesskultur der Lehrlinge. Im Vergleich zu den späten 60er/70er Jahren ist das sich natürlich geben und zu seinem Körper zu stehen kein Thema mehr.

Schönheit zeigt sich aber erst, wenn man das Spezielle ins Auge fasst, also das was den einen Menschen vom anderen Menschen unterscheidet, das kann also auch jemand mit einer Hakennase sein. Diese Besonderheiten sind in der Kunst noch Thema, aber in der Jugend relevanten Populärkultur nicht – und natürlich auch nicht in Wirtschaft und Politik. Alle werden auf eine Norm zurechtgeschneidert und die Technologien unterstützen diesen Trend. Wenn man mit dem Smartphone ein Foto von sich macht blickt man sich optimiert entgegen – und wenn das nicht reicht, setzt man Filtersoftware ein und das ist für junge Menschen ganz normal. Sie sehen darin keinen Widerspruch und sagen ganz offen: „Im Internet zeig ich mich doch nicht so wie ich wirklich bin“, sondern ich inszeniere mich. Das schützt davor, dass man negatives Feedback zu nahe an sich heranlässt, weil man immer sagen kann, dass man nur eine Inszenierung von sich präsentiert hat und dass man sich nur besser inszenieren müsse dann bekäme man besseres Feedback und das negative Feedback betrifft mich daher nicht wirklich persönlich. Das bedeutet aber auch den Zwang an der eigenen Inszenierung zu arbeiten…

Junge Menschen sehnen sich nach authentischen Primärbeziehungen in der Familie, im Freundeskreis und in der Liebe und trotzdem verkaufen sie sich ständig – mehr noch: sie stecken in dem Zwang, sich zu verkaufen. Die Jugendlichen sind laut der Jugendkulturforscherin unglaublich angepasst und versuchen am Ball zu bleiben; sie versuchen flexibel zu sein und sich auf nichts wirklich festzulegen; und sie sagen, sie haben keine langfristigen Lebensperspektiven, daher schauen sie mal was kommt. Ihre Grundmentalität ist, dass es ihnen gelingen müsse, wenn etwas kommt, das interessant sein könnte, schnell genug zugreifen zu können.

Das bedeutet, dass junge Menschen von einem sehr stark ökonomisch geprägten Beschleunigungsszenario erfasst sind. Das ist ein Phänomen, dass sich über sämtliche Lebensbereiche streut und sehr stark mit der digitalen Transformation zu tun hat. Alles ist wahnsinnig schnell geworden und man muss wahnsinnig schnell reagieren – man reagiert auch politisch sehr schnell. Es hat sich auch die politische Kultur in der Jugend sehr stark verändert: heute postet man schnell sein Statement, man positioniert sich eher auf der Gefühlsebene, man hat nicht den Anspruch am besseren politischen Argument zu arbeiten, denn dafür ist vielfach auch kaum eine Zeit und kein Platz in der Lebenswelt, in der sich junge Menschen bewegen.

Dr. Großegger nimmt die Jugendlichen vor allzu forscher Kritik in diesem Zusammenhang und dem oftmals beklagten Substanzverlust in Schutz. Man kann ihnen dieses Verhalten nicht vorhalten, denn das ist ihre Sozialisationsumgebung, durch die sie geprägt sind, sie kennen ja nichts anderes.

Wir können nur versuchen eine Systemintervention zu schaffen in dem jeder und jede einzelne von uns irritiert reagieren und etwas anders vorzeigen, was nicht zeitgemäß ist – und vielleicht können wir den einen oder anderen dadurch inspirieren, nachzudenken, schlägt die Expertin für Jugendthemen vor.

Der Generationenkonflikt, der in Ihrer Jugendzeit noch teilweise bestimmend war, ist weggebrochen, die Jugendlichen haben nicht mehr den Anspruch, sich an der Elterngeneration zu reiben. Stattdessen haben sie sich oftmals mit erstaunlichem strategischem Denken mit der Elterngeneration arrangiert, das zeigt sich zb. im Phänomen Hotel Mama.

Ihre Generation hatte den Anspruch, dass man, wenn man volljährig ist, von zuhause auszieht und die Eltern haben das auch gut gefunden, dass man langsam auf eigenen Beinen steht. Heute haben wir überbehütende Eltern in den bildungsnahen Milieus und junge Menschen, die von Ihren Eltern Verständnis erwarten, erhoffen und erlebt haben und deswegen wenig Anspruch haben, Geld zusammen zu kratzen, um von zuhause auszuziehen, um in einer Substandardwohnung mit Gleichaltrigen das eigene Leben aufzubauen. Lehrlinge werden jedoch aufgrund Ihres Berufsalltags früher selbständig. Zum Teil ist dieses Verhalten auch ökonomisch zu begründen, denn heutzutage gibt es diese günstigen Substandard-WGs die früher von Studierenden bewohnt wurden nicht mehr. Das sich aneinander reiben mit den Eltern was Lebensphilosophien betrifft ist kein Thema mehr, denn das Leben ist so schon kompliziert genug, da will man keinen Stress und keinen Streit mit den Eltern. Die Jugendlichen geben sich den Eltern gegenüber harmonisch und leben mit diesen letztendlich nebeneinander her. Die Erwachsenen nehmen das oft sehr positiv wahr, weil sie so nette, sympathische Kinder haben, mit denen man angeblich über alles reden kann. Sie realisieren, nicht dass ihre Lebenskonzepte von der nachrückenden Generation nicht einmal böswillig, sondern einfach so wie es eben ist, ignoriert werden. Das heißt, die jetzige Elterngeneration ist kein Referenzpunkt für die nachrückende Generation weder im Sinne eines Vorbildes noch im Sinne einer Abgrenzung, die unbedingt stattfinden muss. Die Elterngeneration ist Ihnen eigentlich egal erklärt Dr. Großegger.

Um das physische Wohlbefinden der nahen Verwandten, zB der Großeltern, sind junge Menschen aber sehr wohl besorgt.

Was die eigenen Lebenschancen im Alter betrifft schieben die jungen Leute das Thema vor sich hin und sagen oftmals, die Politiker wären gewählt und diese sollten das Problem lösen. Das ist aus Ihrer Sicht auch ein legitimes Argument.

Die Jugendforscherin stellt fest, dass alle Generationen in einer großen Unsicherheit leben. Bei Jugendlichen führt dies eben dazu, dass sie nicht darüber nachdenken wollen, ob sie von der staatlichen Pension leben können oder nicht, denn das belaste sie nur. Sie sagen, dass sie ohnedies bereits zahlreiche Herausforderungen haben und sich mal auf diese konzentrieren wollen.

Die Jugendlichen setzen sich zumeist realistische Ziele im Zeithorizont von 3-4 Jahren, da sie sich nicht selbst frustrieren wollen – und dann schauen sie mal was kommt und hoffen, dass Sie Glück haben. Manche hoffen auch darauf ein Erbe antreten zu können, da in der Öffentlichkeit fälschlicherweise der Eindruck besteht, die heutige Generation der Jugendlichen wäre ohnedies die Generation der Erben. Soviel gäbe es aber nicht mehr zu erben, macht Dr. Großegger klar.

Die aktuell geführte Mediendebatte zum Klimawandel sieht sie sehr kritisch. Der Klimawandel ist für Dr. Großegger Realität, sie kritisiert aber den riesengroßen Medienhype rund um dieses Thema und sie ist der Ansicht, dass die Debatte nicht ehrlich geführt wird. Sie erinnert daran, dass alle großen renommierten Medien an dem Thema andocken, es macht die Elterngeneration und die Lehrergeneration mit und diese schicken ihre Schüler auf die Straße und demonstrieren in der Schulzeit, nicht aber in den Ferien. Auf den Sommerurlaub und die Fernreise, die gebucht ist, und die einen Flug voraussetzt, und den Skiurlaub in den Semesterferien wird aber nicht verzichtet.

Die Verantwortung, wer in der Klimakrise reagieren müsse, würde von den Akteuren hin und her geschoben. Dabei sei aber völlig klar, dass wir alle reagieren müssen. Die Klimaproteste sind für Dr. Großegger eine wichtige Thematisierungsbewegung, es müsse aber auch von den Einzelnen dementsprechend gehandelt werden. Man müsse sich nicht jedes Jahr ein neues Smartphone holen und vier Urlaube buchen, wenn man in bildungsnahen Milieus zuhause ist: wenn man weniger privilegiert lebt ist man sowieso fernab von den vier Fernreisen pro Jahr.

Aus der Sicht von Dr. Großegger projizieren die bildungsnahen Helikoptereltern ihre eigenen Ängste und ihre Ängste um die Zukunft ihrer Kinder auf die Jugend, dazu kommt, dass Journalisten ja zum Teil auch Kinder in diesem Alter haben und da gerne mitmachen. Der substanzielle Kern in der öffentlichen Debatte und in der Kommunikation zum Klimathema fehlt ihr und sie kritisiert das egoistische Handeln einzelner und ermahnt: „Man kann nicht alles haben“, denn die Haltung ist oftmals: „Rettet ihr die Welt und ich fahre derweil nach Lettland und ich fahre nicht mit dem Bummelzug, sondern ich fliege, weil soviel Zeit hab ich leider nicht…“

Jugendliche sagen über sich selbst in Studien, dass es ihnen schwer fällt Prioritäten zu setzen und auf die Frage was Jugendliche von der älteren Generation lernen könnten, kommt spontan relativ wenig. Bei genauerer Befassung kommen als Antworten dann Prioritäten setzen oder das Management der Finanzen.

Die Frage nach dem Lebenssinn der Jugendlichen hat Dr. Großegger im Rahmen qualitativer Interviews untersucht. In der qualitativen Stichprobe wurden dazu Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Biografien berücksichtigt. Diese bekannten, sich bisher nicht mit diesem Thema beschäftigt zu haben, und dass dies „eigentlich“ eine gute Frage ist.

Die Jugendlichen antworteten, dass sie sich ein gutes Leben für alle in einem gemeinschaftlichen Kontext wünschten. Es wäre ideal, wenn man den gesellschaftlichen Rahmen bereitgestellt bekommt. Der Auftrag, die Rahmenbedingungen für das gute Leben, das auch ich mit meinen engsten Bezugspersonen haben möchte, herzustellen, ist aber nicht der Auftrag, der an mich ergeht. Das heißt die Weltverbesserungsideen, die früher die Jugendkulturen belebt haben, sind heute nicht mehr wirklich relevant, denn da sehen sich die Jugendlichen nicht raus, erklärt die Wissenschaftlerin.

Die gegenwärtig dominanten Bildungsideologien weisen ihrer Ansicht nach in eine völlig falsche Richtung. Ihre Studenten wollen sich wohl fühlen und nicht zu wenig und nicht zu stark gefordert sein. Sich selbst sieht sie als Forschungsanimateurin, denn 2/3 Ihrer Studenten wollen Feedback über ihre Lernfortschritte und dieses Feedback muss immer individuell sein.

Das Vermitteln des Stoffes bedeutet Verkaufen des Lernstoffes. Sie muss den Lehrplan erfüllen und sich daher genau überlegen, wie sie den Lernstoff präsentiert. Das Individuum, das im Bildungssystem Akzente setzen möchte, die gegen den gegenwärtigen Trend laufen, das Jugendlichen vermitteln will, dass wenn man sich einen Fachbereich erschließt man experimentieren können sollte, das junge Leute dazu bringen möchte, dass Sie über den Sinn des Lebens nachdenken, muss aus Ihrer Sicht das System austricksen. Immer weniger Lehrende machen sich daher diese Mühe, denn das ist eine Zusatzleistung, eine Fleißaufgabe. Für sie gilt: sie könne nicht anders als dies zu machen…

In der Jugendsozialarbeit werden die Studienergebnisse, wie die Jugendlichen den Sinn des Lebens sehen, sehr interessiert aufgenommen. Ihre Dialogpartner sind dabei vor allem diejenigen, die mit Jungen Menschen arbeiten, die eine Sinnkrise haben, ohne dass dieses Wort so verwendet werden darf.

Vor einigen Jahren hat sie eine Evaluation einer Jugendberatungsstelle durchgeführt, dabei wurden mystery checks gemacht, das heißt die Jugendlichen durften die Beratungsservices testen. Das Beratungsservice war vorgegeben, da gab es verschiedene Formen der Beratung (persönlich, telefonisch, per Email, online, …) und was sie überprüfen, durften sich die Jugendlichen selbst auswählen. Dabei hat ein cooler 17jähriger Skateboarder das Thema Sinnkrise gewählt und das habe ihr gezeigt, dass er sehr wohl möglich ist, Dialogpartner unter den Jugendlichen zu finden bei denen schon emotional angekommen ist, dass die Frage was der Lebenssinn ist wichtig ist, und bei denen es innerlich gärt.

Sehr früh gibt es den Anspruch an Jugendliche sich, selbst als Humanressource zu pflegen – und dieser Widerspruch, der sich in der Gegenüberstellung verschiedener Jugendkonzepte ergibt, den muss die Erwachsenengesellschaft auflösen. Diese Aufgabe dürfe man nicht an die Jugendlichen auslagern. Abschließend fordert sie daher, dass das Bildungssystem zumindest Nischen aufmachen muss, in denen Jugend als Moratorium gelebt werden kann: denn für junge Leute ist es heute sehr schwer, ins Vollerwerbsleben einzusteigen.

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Beate Großegger Wolfgang Müller CC BY SA 4.0