Dr. Daniele Ganser: UNO, NATO und „Burn-Out“

Dr Daniele Ganser
Gesellschaft

Am Montag, den 26. September 2016 war es so weit: Die Autoren Alexander Stipsits und Mag. Christian Janisch sowie Chefredakteurin Anna Dichen von Idealism Prevails nutzten den Wien-Besuch von Dr. Daniele Ganser, organisiert von Stephan Bartunek und David Kyrill von der Gruppe42, um sich in aller Ruhe mit dem Schweizer Historiker und Energie- und Friedensforscher zusammenzusetzen – auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch.

Als Gesprächskulisse bot sich an diesem sonnigen Herbstag ein Tischchen im Freien der Porzellanmanufaktur im Augarten, 1020 Wien.

Dr. Daniele Gansers „Marathon“ begann übrigens am Samstag, den 24. September im ODEON-Theater : Dort hielt er seinen Vortrag „15 Jahre nach 9/11 – Ist der sogenannte ‚Krieg gegen den Terror‘ ein Vorwand um Erdöl und Erdgas zu erbeuten? –  Ein Rückblick auf die Terroranschläge vom 11. September 2001“, der von der Gruppe42 veranstaltet wurde.

Wir von Idealism Prevails fragen uns: Wie tickt ein Wissenschafter, der von einigen Seiten als Verschwörungstheoretiker denunziert wird; und wie reagiert er, wenn man ihm auch sehr persönliche Fragen stellt? Besonders interessiert uns der Historiker von seiner menschlichen, persönlichen Seite. Und unser Eindruck von ihm im Gespräch war einstimmig der nun folgende:

Dr. Daniele Ganser ist ein natürlicher, umgänglicher und persönlich gewinnender Mensch. Aus ihm sprudeln Weisheiten, die gute Stimmung verbreiten und durchaus auch als alltagstauglich zu betrachten sind.

Schön, dass sich der Bestsellerautor am Ende seiner Reise noch Zeit für uns nahm – kurz vor seinem Rückflug in die Schweiz.

Im ersten Teil unserer „Tuchfühlungs“-Serie stellt Autor Alexander Stipsits zwei wichtige Fragen:

Alexander Stipsits
Autor Alexander Stipsits in Interview-Vorbereitung

Erstens

Metabolisch betrachtet: Sie bringen die UNO immer wieder ganz klar ins Spiel und sagen, was sie tut und was sie eben nicht tut. Die UNO scheint nicht wirklich gut zu funktionieren. Kann man sie umbauen, und wenn ja, wie? Und falls das nicht funktioniert, was wären dann Ihre Vorschläge für eine Alternative zu einer internationalen Organisation, die ja notwendig ist, scheint mir zumindest?

Dr. Ganser:

Das ist eine ganz wichtige Frage. Man muss das so verstehen, dass 1945 die UNO gegründet wurde, als man wirklich noch die 60 Millionen Toten vom Zweiten Weltkrieg sozusagen in Erfahrungsnähe hatte. Die Leute waren schockiert, wie doch die Menschen sich zerstückeln und ermorden können.

Und dann hat man gesagt: Um zu verhindern, dass sich das wiederholt – da waren auch sehr viele idealistische Menschen dabei, die gesagt haben: Wir brauchen eine neue Struktur -, hat man das erste Mal den Krieg wirklich verboten.

Also man hat in den letzten 2.000 Jahren viele Kriege geführt, und mit der UNO-Charta hat man den Krieg verboten – man hat gesagt: Ein Land A darf also ein Land B nicht überfallen. Und als Beispiel oder als Referenzraum hat man gesagt, dass der Überfall Hitler Deutschland auf Polen die „Ursünde“ war, und das wollen wir nicht mehr.

Schließlich hat man beobachtet, wie es in den letzten 70 Jahren funktioniert hat und man hat gesehen, dass Saddam Hussein 1990 als irakischer Diktatur Kuwait überfallen hat, da hat die UNO interveniert und gesagt: Das geht nicht – ein Land darf ein anderes nicht überfallen. Und das war richtig, dass der Sicherheitsrat interveniert hat. Das heißt:

… manchmal funktioniert die UNO.

Aber, und das ist der Punkt, den Sie ansprechen mit dem „Konstruktionsfehler“: Die UNO besteht heute aus 190 Staaten, grob, doch die sind nicht gleichberechtigt: Es gibt 15 Staaten, die sind im Sicherheitsrat, und fünf davon sind im Sicherheitsrat mit „ständigem Sitz“. Und das sind eigentlich die fünf Mächtigsten. Diese fünf sind Russland und China einerseits plus drei NATO-Staaten andererseits: die USA, Großbritannien und Frankreich.

Und wenn diese drei NATO-Staaten einen Krieg führen, z.B. griff 1964 die USA den Vietnam an, dann ist das ja hochgradig illegal. Aber, weil sie im Sicherheitsrat sitzen, können sie jegliche Verurteilung mit ihrem Veto verhindern. Und das ist das Konstruktionsproblem, das wir haben. Die USA haben 2003 mit den Briten zusammen den Irak angegriffen.

Gemäß Völkerrecht sind Bush und Blair Kriegsverbrecher. Die müssten vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Geht aber nicht, weil sie zu mächtig sind. Sie sitzen über einen Botschafter, der ihnen unterstellt ist in der UNO. Und in der UNO im Sicherheitsrat bringen sie sich so ein, dass sie nicht verurteilt werden können.

Man kann vielleicht auch 1956 erwähnen: Damals hatten die Briten und die Franzosen Ägypten bombardiert während der Suez-Krise und konnten nicht verurteilt werden. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem, das wir heute in der internationalen Struktur haben, dass in der Weltfriedensorganisation – und die UNO ist eine Weltfriedensorganisation – das größte Militärbündnis, nämlich die NATO, übervertreten ist.

Wir haben eine Weltfriedensorganisation – und im Kern drin, vergleichbar mit dem Herz, wenn man sich einen Körper dazu vorstellt, also im Herz sitzt ein Militärbündnis. Das ist ein Konstruktionsfehler.

Zudem sind die Russen und die Chinesen große Waffenexporteure. Die Amerikaner, die Russen, die Chinesen, die Franzosen und die Engländer, also die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, im Weltsicherheitsrat, der für den Frieden zuständig ist, sind gleichzeitig die fünf größten Waffenexporteure der Welt.

Da muss man jetzt nicht internationale Politik studieren, um zu verstehen, dass – wenn das Weltfriedensbündnis die weltweit führenden Waffenexporteure sind, und wenn von den fünf ständigen Mitgliedern drei in der größten Militärallianz sind- das dann nicht funktionieren kann.

Die Analyse ist also richtig: Wir haben ein Problem mit der UNO – und zwar im Kern. Und wie kann man das lösen? Das ist sehr schwierig. Weil diese drei werden nie und nimmer freiwillig ihre Machtposition aufgeben.

Was realistisch ist, ist, dass man schrittweise einen Diskurs führt über die NATO. Die meisten Leute haben immer noch das Gefühl, die NATO sei ein Bündnis, das sich für den Frieden einsetzt, das sich für Demokratie einsetzt, das sich für Menschenrechte einsetzt.

Solange die NATO mit dem durchkommt, haben wir „den Wolf im Schafspelz“. Und die Leute denken sich: Ein wunderbares Schaf, das füttern wir und das darf auch frei rumlaufen. Und mit dem Schaf haben wir kein Problem. Da muss man zuerst einmal aufzeigen, dass die NATO nicht ein Verteidigungsbündnis ist, sondern ein Angriffsbündnis. Da gilt es ganz einfach, sich die Fakten vor Augen zu halten:

Die NATO hat 1999 Serbien bombardiert, 2001 Afghanistan angegriffen, 2003 den Irak angegriffen, 2011 Libyen angegriffen, auch der Krieg gegen Syrien wird vor allem von den NATO-Ländern betrieben, d.h. die NATO ist gefährlich. Aber in den NATO-Staaten getrauen wir uns noch nicht so sehr, darüber nachzudenken, ob die NATO überhaupt gefährlich ist.

Das heißt, es ist ein Diskurs nötig in mehreren Schritten:

  1. Im ersten Schritt muss man verstehen: Die NATO ist gefährlich.
  2. Im zweiten Schritt müssen wir darüber nachdenken: Könnte denn die Schweiz oder könnte Österreich aus der Partnership for Peace austreten, das ist der Kindergarten der NATO, da sind wir drin. Die Österreicher sind drin und die Schweizer sind drin – nur die Österreicher wissen es nicht, und die Schweizer wissen es auch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.
  3. Und in einem dritten Schritt müssten wir uns fragen: Was ist denn echte Neutralität? Könnten wir denn auch die Waffenexporte zurückfahren, denn wir haben ja auch noch das Problem mit den Waffenexporten. In diesen Themen stehen wir uns gegenüber. Und die Friedensbewegung hat hier eine klare Agenda, die besagt: schrittweise weniger Waffenexporte, nicht von einem Tag auf den anderen, weil die Leute haben Angst, ihre Stelle zu verlieren, ihr Einkommen zu verlieren, und auch schrittweise weniger Unterstützung in den Medien für die NATO.

Zweitens

Sie haben gerade einen dreitägigen Marathon hinter sich. Mit sehr vielen Interviews, Leuten, mit vielen Begegnungen – und morgen geht das wohl woanders weiter. Burn-Out, Stresssituationen führen bekanntlich zu massiven Fehlern, individuell, und in der Gesellschaft allgemein. Ich halte das für ein großes Problem… Wie gehen Sie selber mit Ihrer Gesundheit um, psychisch und physisch, was tun Sie, um sich zu schützen und auch um ihre Leidenschaft für die  Friedensforschung dadurch effektiv ausleben zu können?

Dr. Ganser:

Wichtige Frage, ich bin jetzt 44, und ich habe 2001, also mit 30, meine Doktorarbeit fertigt gehabt. Also von 0-30 habe ich nur Ausbildung gemacht. Da habe ich überhaupt nicht öffentlich kommuniziert. Da habe ich keine Bücher veröffentlich, keine Interviews gegeben, kein Fernsehen. Gar nichts.

Seit 14 Jahren bin ich in der öffentlichen Kommunikation. Ich habe 600 Vorträge gehalten, ich habe viele Interviews gegeben, und es ist genau, wie Sie sagen: Man riskiert, sich zu erschöpfen. Also fragte ich mich: Wie kann man der Erschöpfung entgegenwirken?

Man muss meiner Meinung nach wie ein Marathonläufer sein. Ich bin aber kein Marathonläufer. Aber als Berggänger – ich gehe gerne mal Wandern – weiß ich einfach: Man muss sich einteilen. Man muss seine Kräfte einteilen. Man kann schon fünf Stunden lang steil laufen, aber man kann nicht 50 Stunden lang steil laufen.

Es ist dabei ein gutes Gefühl zu entwickeln: Wie lange geht man steil? Geht man in der Mittagshitze oder in der Früh? Hat man zu trinken dabei? Ist man entsprechend bekleidet? All diese Fragen kläre ich bei mir in der Friedensforschung.

Und ich kenne ganz einfach meinen Energieverbrauch. Er ist so: Wenn ich zwei Stunden lang einen Vortrag halte vor 300 Leuten, dann ist das anstrengender, als wenn ich mich hier mit Euch zu Viert unterhalte. Der Energieaustausch passiert so: Der Vortrag ist am anstrengendsten, obwohl beides gleich lange dauert. Aber der Energieaustausch ist so, auch wenn man das nicht genau messen kann – aber ich weiß es.

Nach einem Vortrag nehme ich mir immer ein Time-Out. Ich gehe dann immer schnell weg. Und nicht mehr eine Runde etwas trinken: Vier Gläser Wein und zu wenig Schlaf – das ist eine Todsünde. Das mache ich nicht mehr.

Aber ich erinnere mich: Als ich 20 war, da hatte ich so viel Energie. Da habe ich am Freitag viel getrunken und bin bis um 4 im Ausgang gewesen. Am Samstag habe ich es gleich nochmal gemacht. Und am Montag war ich voll leistungsfähig. Da besuchte ich mein Seminar. Das war kein Problem. Das heißt, ich hatte einfach so viel mehr Energie. Ich wusste das damals noch nicht besser. Ich habe gedacht, das ist immer so im ganzen Leben.

Jetzt, da ich 40 bin, weiß ich: Dem ist nicht so. Wenn ich eingeladen bin zu einer Hochzeit, und wir tanzen und trinken und ich komme um 4 nach Hause, dann weiß ich: Der Sonntag ist gelaufen. Da lese ich kein Buch. Da gebe ich kein Interview. Da kann ich minimale Kinderbetreuung machen im Sinne von: ‚Spielt bitte nicht zu laut‘, und das war’s. Mittlerweile kenne ich meine Energieflüsse sehr genau.

Und dann habe ich auch herausgefunden, dass die Energie, die Orte, an denen ich die meiste Energie verliere, die Streitigkeiten sind. Ich habe da so ein Monitoring bei mir – ein System. Was entzieht mir am meisten Energie? Und das sind eigentlich Konflikte. Das heißt, wenn mich jemand angreift oder wenn mir jemand Vorwürfe macht, dann bringt das bei mir meine Energien durcheinander.

Also gebe ich sehr, sehr acht und versuche, diese Energien sehr schnell auszutarieren. Das heißt, ich lasse das nicht zwei, drei oder fünf Wochen schlummern und es wirbelt noch in mir rum. Denn das ist gefährlich.

Ich schaue: Wo kommt es her, was ist passiert? – Was ich bemerkt habe, ist, dass das manchmal startet, ohne dass ich es merke. Ein typischer Morgen zum Beispiel: Ich gehe ins Büro, ins Institut, starte den Computer, mache von 8-12 Uhr nur eMails. Ich bekomme sehr viele eMails. Da sind auch Vortragsanfragen. Das muss ich einfach machen.

Nun gibt es irgendwo zwischen diesen fünfzig Mails jemand, der schreibt: „Sehr geehrter Hr. Ganser, ich habe Ihren Vortrag so und so gesehen im Internet. Ich bin gar nicht mit Ihnen einverstanden. Das sind krude Verschwörungstheorien, das ist alles Blödsinn.“ Dann schreibt er vielleicht noch „freundliche Grüße“, vielleicht auch nicht. „Herbert Muster“.

Ich schreibe zurück: „Danke für Ihre Mail. Man kann das verschieden sehen. Das ist klar. Jeder soll sich selber seine Gedanken machen. Das sind einfach meine Perspektiven, die ich einbringe. Ich sage nicht, man muss sozusagen der Kirche ‚Daniele Ganser‘ beitreten. Es ist ja kein Club, sondern es sind einfach Denk- und Analyseangebote. Wir sind alle frei.“

Somit habe ich das Gefühl, es bearbeitet zu haben. Ich habe freundlich zurückgeschrieben. Und habe es für mich gelöscht.

Später geht es weiter mit der nächsten Mail: Irgendein Student will wissen, ob es zum Vortragsthema, „das Sie behandeln, Literatur gibt zur Gasproduktion im Iran“, und ich bin da eigentlich mit dem Kopf schon irgendwo ganz anders. Dann lese ich noch eine Mail: „Ich finde Ihre Arbeit super, ganz toll.“ Dafür bedanke ich mich, es geht also positiv weiter.

Und weiter geht es mit den nächsten zehn Mails. Und dann ist Mittag. Ich gehe da aus dem Büro, schließe zu und: Ich merke, ich bin nicht so gut drauf. Irgendetwas hängt noch in mir drin.

Jetzt gehe ich einen Schritt zurück und frage mich: Was war es eigentlich? Und ich merke: Du hängst noch an dieser Abwertung! Das war eine Abwertung. Und die entzieht dir jetzt noch Energie. Und dann versuche ich, das loszulassen, indem ich mir einfach sage: Sei dem Mann oder der Frau nicht böse.

Die haben jetzt diese Sichtweise, und du hast eine andere – weiter geht’s, vorwärts! Lass es einfach weg. Lass es durch. Das heißt, ich betreibe ein ganz intensives Achtsamkeitstraining:

Ich achte ganz genau auf meine Gedanken und Gefühle, weil ich weiß: Diese zwei können mich sabotieren.

Ich habe einen Freund, der hat Burn-Out gehabt, und der konnte morgens nicht mehr aufstehen. Einkaufen gehen? Unmöglich. Der war einfach „tilt“. Ich habe das nie erlebt. Ich kenne das nicht. Aber ich weiß, dass es das gibt. Da mache ich mir keine Illusionen, dass das einem nicht passieren kann. Mein Freund sagt:

Leute, die gerne arbeiten, die viel arbeiten, die präzise arbeiten, die haben die Chance, in einen Burn-Out reinzulaufen.

Und ich frage: „Wie schützt man sich?“ Dann sagt er:

Du musst aufpassen, wo du Energie verlierst.

Und es ist eben nicht so, dass wir da nur eine Wunde am Bein haben und es fließt Blut raus – da weiß man ja, dass man Energie verliert. Hier handelt es sich vielmehr um eine emotionale Wunde. Und die muss man erkennen. Und wie eine blutende Wunde stillen, verbinden, damit das nicht ein Energieverlust ist. Das ist ein Energieleck!

Und jetzt habe ich mir eine Technik angeeignet, die heißt „Achtsamkeitstraining“, und funktioniert so: Um meine Gedanken und meine Gefühle zu beobachten, kann ich, wenn ein Mail kommt oder wenn eine Zeitung schreibt: „Dieser Friedensforscher ist ein Idiot“, die Beobachtung trainieren. Das passiert ja auch nicht dauernd. Aber wenn es passiert, dann ist es gut, wenn ich schon trainiert bin.

Und dann trainiere ich, dass, immer wenn mir etwas runterfällt, also wenn dieses Glas da runterfällt dann ist das normale Muster, dass ich sage: „Scheiße“. Dann denke ich: „Ah, Glas hier, Kinder spielen barfuß, das geht gar nicht.“

Und das passiert, das kann man neurowissenschaftlich nachweisen: im Sekundenbruchteil. Es passiert etwas, und ich kommentiere es. Oder ich geh‘ durch den Garten barfuß, ich trete auf eine Schnecke, dann sage ich: „Äääh“, das habe ich nicht gern. Oder eben dieses Beispiel, das ich im Vortrag auch gebracht habe, es war wirklich so:

Ich hatte einen langen Tag, die Kinder haben geschlafen, meine Frau war schon am Schlafen, und ich hatte noch ein Stück Erdbeertorte, und die habe ich sehr gerne. Ich nehme die Torte, gehe rüber zum Fernseher und schaue Sport – ich schaue ja so gerne Sport. ich will mich einfach runterchillen. Ich glaube, es war 23 Uhr in der Nacht. Es war „Rio“ und zeitversetzt. Hat also gut gepasst.

Und dann halte ich irgendwie die Torte schräg – und sie fällt auf den Boden Erdbeertorte auf das Eichenparkett, klar geht man da in die Breite. Dann ist die normale Reaktion, dass ich sage: „Scheiße“ – gerade wenn die Kinder nicht dabei sind. Wenn die Kinder dabei sind, dann versuche ich, mich zu kontrollieren, was ich sage.

Aber wenn niemand da ist, dann sage ich: „Scheiße, jetzt ist die Torte runtergefallen.“ Aber, ich trainiere das jetzt: Ich beobachte immer und versuche, es nicht zu kommentieren. Also was passiert, wenn etwas nicht nach Plan läuft.

Zum Beispiel, jetzt gerade vorhin, da hatten wir ein Radio-Interview, und es gab ein technisches Problem. Aufregung machte sich breit, man wollte loslegen, aber es ging nicht. Das ist der Zeitpunkt, in dem man die Gedanken und Gefühle beobachten muss, weil die Gedanken dann sofort so laufen: „So ein Scheiß, dass das jetzt nicht läuft.“

Die Gefühle geraten in Unruhe. Darin verliert man am meisten Energie. Wenn man das aber ganz genau beobachtet, dann verliert man weniger Energie.

Ich war z.B. unterwegs auf einen Vortrag, mit dem Tesla, von Basel nach Luzern, Fahrtzeit ca. eine Stunde. Plötzlich ist ein Reifen geplatzt, hinten rechts – auf der Autobahn. Passiert nicht oft. Kann es geben. Ich war mit 120 km/h unterwegs, es knallt. Vortrag! Nicht ideal. Aber ich bin ja in der Übung. Ich habe gewusst: Es wird eng mit dem Timing.

Erstens bin ich nicht geschlittert, da war ich mal froh. Und dann bin ich raus, da gibt es eine Raststätte, dann musste ich anrufen, ein neuer Reifen musste raufgemacht werden. Dann war ich wieder auf der Autobahn. Aber es ist eben nicht wie bei der Formel Eins: Ich glaube, ich hatte eine Stunde Zeitverlust.

In dieser ganzen Stunde hat mein Kopf immer wieder gesagt: Das ist doch dumm, du musst doch zu diesem Vortrag. Das ist ein großes Problem. Meine Achtsamkeit hat aber gesagt: Das ist nur ein Gedanke. Und der kommt, und der geht. Ich kann es jetzt auch nicht beschleunigen, indem ich irgendwie sauer werde.

Die Leute hier, die Mechaniker, die machen einen guten Job. Gib denen noch ein Trinkgeld. Sei freundlich mit den Leuten. Mach‘, was du kannst. Und wenn du zu spät zum Vortrag kommst, dann ist es eben so. Die Welt geht nicht unter.

Ich habe es sogar pünktlich zum Vortrag geschafft – und war auch nicht emotional ausgelaugt. Es war eigentlich gar nichts. Und das ist glaube ich, ist die Technik, die man sich aneignen muss. Egal, ob man in der Friedensforschung ist oder nicht.

Von 20-30 kann man so blöd tun, wie man will. Man hat Energie im Überschuss. Ab 30 hat es bei mir schon angefangen. Ab 40, 50, 60 finde ich das als einen absolut wichtigen Punkt. Dass man nämlich die Energie beobachtet und einteilt.

Das ist übrigens das, was jeder Sportler macht. Alle Spitzensportler machen das. Ich schaue natürlich genau: Was macht ein Triathlet, wenn die Beine brennen und er ist auf dem Rad? Was macht der mental? Das mache ich ja auch. Ich nehme Techniken von einem Triathlet. Ich lese natürlich, was macht Grönemeyer? – Der hat so viele Auftritte, wie macht er das? Und er sagt:

Ich spreche nicht. Ich gebe keine Interviews. Ich gehe einfach raus und schweige.

Er erholt sich.

Und schließlich schaue ich: Was macht Peter Maffay? Der trainiert im Keller -Gewichteheben. Die haben alle Techniken. Niemand wirft sich einfach auf die Bühne, betrinkt sich danach, und gibt noch zehn Interviews, und macht das fünfzig Jahre lang. Das geht nicht. Das macht man mal, wenn man keine Ahnung hat. Und später merkt man: War ein tolles Wochenende, aber jetzt bin ich k.o.

Weiters gibt es die Technik: gesunde Ernährung, viel schlafen, viel in die Natur gehen. Und Konflikte sofort lösen. Ich darf nicht vergessen: Meine Zielgruppe sind 15-25-Jährige. – Die checken das noch nicht.

Im zweiten Teil dieser Gesprächsreihe geht es um Mag. Christian Janischs Frage zur Verrohung der Sprache in den Sozialen Medien. Es bleibt spannend und informativ.

Credits

Image Title Autor License
Dr Daniele Ganser Dr Daniele Ganser Bianca Traxler CC BY-SA 4.0
Alexander Stipsits Autor Alexander Stipsits in Interview-Vorbereitung Bianca Traxler CC BY-SA 4.0