„Gelähmt ist nicht gestorben“ – die Haltung eines Querschnittsgelähmten

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Gesellschaft

Thomas Gschwandtner wurde 1969 in Niederösterreich geboren und ist selbstständiger Grafiker und Texter im Waldviertel. Am 10. September 1995 – im Alter von 26 Jahren – hatte Tom als Mitfahrer einen Autounfall, bei dem das Auto in einer engen Kurve eine Böschung hinunterkrachte. Die Folgen: Totalschaden. Halsbruch. Hohe Querschnittslähmung. Ein Jahr später heiratete er seine Freundin Gabi, mit der er zwei Kinder hat: Nina (11) und Max (13). 2015 erschien sein Buch: „Gelähmt ist nicht gestorben“, in dem er in aller Offenheit sein Leben mit Querschnittlähmung veranschaulicht und sämtliche Fragen über ein Leben im Rollstuhl beantwortet. Fragen, die sich Menschen nicht direkt zu stellen getrauen würden. Toms lebensbejahende Einstellung zum Leben ist erfrischend und beispielgebend. Und ich konnte es kaum erwarten, ihn zu interviewen.

Tom, ein Jahr nach deinem Unfall heiratest du … wie kam es dazu? Erzähl.

Auf der Intensivstation wollte ich Schluss mit Gabi machen, weil ich damals dachte, dass ich als Gelähmter nur eine Belastung für sie sein würde. Wir waren erst seit einem Jahr ein Paar, aber aufgrund meiner Behinderung brauchten wir dringend ein barrierefreies Haus. Und weil ich ein Mann alter Schule bin, wird ein Haus gebaut und anschließend geheiratet. Somit war auch der gemeinsame Weg klar. Gabi sagte natürlich sofort ja, als ich um ihre Hand anhielt.

Und wie läuft’s heute zwischen euch beiden?

Vor einem Jahr habe ich das Ruder herumgerissen und mich getrennt.

Warum das … ?!

Mein Buch „Gelähmt ist nicht gestorben“ ist 2015 erschienen. Bei einer Lesung saß meine jetzige Lebenspartnerin Susi – und wir sind einfach nicht voneinander losgekommen. Und als verantwortungsbewusster Mensch muss man sich entscheiden und sich ehrlich dem Leben stellen.

War das Ganze problematisch?

Das Leben besteht nun mal aus Veränderungen. Es ist aber viel schwieriger, eine Veränderung aktiv anzutreiben. Einfacher ist es, wenn man nicht die Wahl hat. Mein Unfall z.B. ist mir passiert. Aus eigenen Stücken hätte ich vor meinem Unfall mein Leben nicht derart radikal verändert.

Nach meinem Unfall hatte ich nie mehr Probleme, Entscheidungen zu fällen und in die Praxis umzusetzen. Ich habe einfach auf krasse Weise die Erfahrung gemacht, dass es sehr wohl geht. Genau das ist der Kernpunkt meiner Lebenserfahrung. Und genau darum dreht es sich auch bei jedem Menschen.

Wenn es nämlich nötig ist, Eier zu haben, dann versagen die Menschen vielfach. Ich kenne einige, denen es nicht gelingt, sich aus ihren Situationen zu befreien: Manche sind beispielsweise unglücklichst verheiratet. Die sehen zwar, wie ich mit meinem Leben umgehe und Entscheidungen treffe, dennoch sind sie weiterhin um keine Ausrede verlegen, um ja nichts verändern zu müssen.

Wenn man aber alle Ausreden bedingungslos weglässt, dann kann man sich sehr wohl entscheiden: Entweder bin ich Pilot oder Passagier. Also entweder gehe ich etwas aktiv an, oder aber ich bin abhängig von äußeren Einflüssen.

Und genau deswegen sind die Praxen alle voll: Weil sich jeder Hilfe holen möchte, sich selbst aber nicht hilft.

Ein Psychologe sagte mir: „Ich sehe, bei Ihnen kann ich nichts tun.“ Das meinte er positiv – er erkannte meine mentale Stärke. Er riet mir zwar, mich zu wappnen, denn es könnte mich „diese“ Krise ereilen. Doch die kam nicht.

Und wieso ist das so, glaubst du?

Die Krise ist zu langsam, ich bin schneller.

Mit meiner Behinderung lebe ich in einem Extrembereich. Mein Alltag ist anstrengend genug. Da kann ich es mir nicht leisten, mir zusätzliche Probleme einzufangen, z.B. Probleme psychischer Natur. Deswegen versuche ich möglichst wenig zu raunzen. Ich muss fokussiert sein und nutze meine Energie bewusst für „Aktion“ und nicht für oft unnötige „Reaktion„.

Was hältst du von Meditation?

Der Ansatz von Meditation gefällt mir. Ich selbst meditiere nicht, aber die Materie interessiert mich. Alles, was z.B. den Buddhismus betrifft. Dabei interessiert mich mehr die Psychologie dahinter denn das Ritual.

Und warum meditieren Menschen? Warum machen sie Yoga? Warum gibt es so viele Ratgeber? Weil die meisten auf der Suche nach irgendetwas sind …

Hast du jemals gesucht – oder bereits gefunden?

Ich habe gefunden. Meine Meinung ist die – das habe ich durch die Jahre gelernt:

Es geht nicht darum, glücklich zu sein – also dass es mir permanent gut geht -, sondern vielmehr darum: Wie komme ich durch die schlechten Zeiten? Wie kann ich bedingungslos darauf vertrauen, dass ich mir selbst helfen kann und dass wieder gute Zeiten kommen?

Jetzt z.B. befinde ich mich inmitten einer meiner schwersten Phasen seit 25 Jahren: in der Zeit nach der Trennung/Scheidung. Zusätzlich werde ich mich nochmals beruflich verändern und mich mehr dem Schreiben widmen. Ich sage hier bewusst „ich werde mich verändern„, und nicht „ich möchte mich verändern„. Das hat gleich eine ganz andere Kraft. Ich bin gespannt, was kommt. Aber eines weiß ich: Es wird gut werden. Und: Das wird nicht die einzige Herausforderung bleiben. Es gibt Dinge wie Krankheit, den Verlust von jemandem etc.

Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass alles einfach gut bleiben wird.

… von daher kannst du nicht enttäuscht werden?

Genau. Ich habe ziemlich realistische Erwartungen. Für mich ist einer der Kernpunkte: Es bleibt nicht so, wie es ist. Es geht vorbei. Es ist nur ein Moment. Und so wie die schönen Momente vergehen, so gehen auch die negativen Momente vorbei. Alles geht vorbei.

… und das Gefühl bleibt?

Das Gefühl bleibt nur so lange, wie ich es möchte. Ich selbst entscheide, wie ich mit meinen Gefühlen umgehe.

Glaubst du, dass sich Gefühle kontrollieren lassen?

Steckt man mitten in einer Gefühlslage, dann ist’s schwierig. Ich bin jedoch felsenfest davon überzeugt, dass sich Gefühle kontrollieren lassen. Und zu dieser Thematik passend: Ich arbeite derzeit an einem neuen Buchprojekt …

Genau an dieser Stelle möchte ich den ersten Teil meiner Interviewserie mit Thomas Gschwandtner beenden. Über sein aktuelles Buchprojekt, seine entspannten Gedanken zum Thema Tod, darüber, was er von „Rechthaberei“ denkt und wovon er nur wenig hält, erfahrt ihr in Kürze.

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Diskussion (3 Kommentare)

  1. großes interview ! macht mut

    1. Danke!! Das aus deinem Munde, lieber Eberhard, ist mir natürlich eine besondere Ehre …. ! <3

  2. Tolles Interview! Voller Demut. Just:Wow!!