Gemeinsam gegen Gewalt

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Meinung

Bei „häuslicher Gewalt“ denke ich an jemanden, der seinen Partner / seine Partnerin physisch, psychisch, sexuell oder emotional angreift. Ich stimme zwar zu, dass Frauen nicht zu den einzigen Opfer häuslicher Gewalt gehören, aber ich denke, dass sie historisch betrachtet die dominierende Gruppe an Opfern repräsentieren.

Die erste Frage, die mir zu diesem Thema in den Sinn kommt, ist:

Warum? Warum sprechen wir noch Jahrzehnte nach der zweiten Generation des Feminismus, die die erste politische Bewegung gegen die häusliche Gewalt darstellt, von einer Überzahl von misshandelten Frauen?

Gewalt gegen Frauen ist schon seit Jahrzehnten ein globales Phänomen. Abgesehen von den Unterschieden in der Form, wie die Frauen missbraucht werden, ist die Situation selbst grundsätzlich die gleiche: Sie wurden geschlagen, sexuell misshandelt, gefoltert, sowohl körperlich als auch geistig, oder „sogar getötet, nur weil sie Frauen sind“ (Joachim Jutta). Und dann wagt es die Gesellschaft, Fragen zu stellen wie: „Warum bleibt sie? Warum will sie nicht einfach gehen?

Ich persönlich denke, dass wir alle die falschen Fragen stellen.

Warum wird von der Frau erwartet, dass sie geht? Warum sprechen wir von „misshandelten Frauen“ und nicht von „misshandelnden Männern“? Warum fokussiert die Öffentlichkeit in erster Linie auf die Opferbereitschaft von Frauen und nicht auf das aggressive Verhalten von Männern? Man denke nur an einige der aktuellsten Nachrichten über häusliche Gewalt gegen Frauen und wie die Medien ihre Titel formulierten.

Die letzte Nachricht, die mir einfällt: „Zweifache Mutter wurde nach schlimmen Prügeln bewusstlos aufgefunden.“ „Mutter“ steht für den Begriff, der den ersten Kontakt zwischen dem Leser und dem Artikel herstellt und damit automatisch die Aufmerksamkeit auf die Frau lenkt. Darüber hinaus ist aus grammatikalischer Sicht „Mutter“ das Thema des Satzes und wird somit betont. Durch die Konzentration auf die Mutter wird das Publikum dazu veranlasst, sie als die aktive Schauspielerin im Lauf der Ereignisse zu betrachten, wohingegen sie in Wahrheit das Objekt des aggressiven Verhaltens ihres Partners darstellt.

Zumeist wird der Aggressor kaum erwähnt und wir müssen davon ausgehen, dass es der Freund/Ehemann/Partner gewesen sein musste. Der Täter wird in der Erwähnung vernachlässigt, als wäre er gar nicht so wichtig für die Geschichte. Ich habe nie wirklich verstanden, wie so etwas überhaupt möglich ist.

Warum berichten wir immer von misshandelten Frauen und heben kaum die Verantwortlichen hervor? Warum fördern wir die Vorstellung von Schwäche, die allgemein den Frauen zugeschrieben wird? Warum berauben wir sie ihrer Autorität und beschämen sie für etwas, das eigentlich keinem Menschen angetan werden sollte?

In der Vergangenheit habe ich die Medienbranche dafür verantwortlich gemacht, dass sie uns diese manipulative Perspektive der häuslichen Gewalt gewinnbringend zu vermitteln versuchte. Aber erst vor Kurzem erkannte ich, dass sie es vielleicht tut, weil wir es eigentlich sind, die dies fördern. Wir sind diejenigen, die ständig nach sensationellen oder emotionalen Geschichten hungern – wir hören lieber die dramatische Geschichte einer misshandelten Frau/Mutter als die Debatte darüber, wie man den Angreifer aufhalten könnte. Und während wir es uns auf unserem bequemen Sofa gemütlich machen und Krokodilstränen um „diese arme Frau „ weinen, wird eine andere den Straßenrand hinuntergeprügelt.

Das ist nicht nur eine Problematik in den Nachrichten im Fernsehen, sondern findet auch in unserem Leben statt. Es ist uns peinlich, über das eigentliche Problem zu sprechen, das es gewissermaßen sogar geschafft hat, über Generationen, Kontinente, Religionen und Bildung vorzuherrschen. Überall um uns herum ist es uns unangenehm, etwas zu sagen, sobald wir nur die geringsten Anzeichen dafür bemerken. Viel lieber bedauern wir die Frau aus den 5-Uhr-Nachrichten.

Diese Problematik existiert schon so lange, dass sie sich innerhalb der weiblichen Gemeinschaft schon als eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) etablierte. Weil die Angst so tief in der weiblichen Psyche verwurzelt ist; man hat Angst davor, missbraucht zu werden, wenngleich einem noch nichts passiert ist. Ich finde, dass dies eine verheerende psychologische Wirkung auf Frauen hat. Und es liegt an jedem Einzelnen von uns, entsprechende Veränderungen zu bewirken.

Sprich darüber und schreie es raus. Sei jedoch sensibel und handle verantwortungsbewusst mit der Botschaft, die du darüber veröffentlichst. Es ist wichtig, über misshandelte Frauen zu sprechen und sie über jede Art von Hilfe zu informieren. Ebenso wichtig ist es aber, die Problematik der gewalttätigen Männer anzusprechen und genau das häufiger zu kommunizieren. Dann wird die Botschaft sich nicht nur darauf beschränken, dass es kein akzeptables Verhalten ist, sondern es wird auch Frauen und Männern suggeriert, dass in dieser Hinsicht etwas unternommen werden muss (im Hinblick auf die Prävention oder aber auch als Hilfe bei der Bewältigung von aggressivem Verhalten).

Jetzt gerade ist der entscheidende Zeitpunkt für einen Wandel. Und dass diese Themen vom eigenen Heim, von der Couch aus und vor dem sicheren Bildschirm raus in die Realität auf die Straße transportiert werden. Es ist auch nicht nur Frauensache, wie es gerne im Fernsehen kommuniziert wird. Es betrifft gleichermaßen Männer. Es ist nämlich UNSER Problem als globale Gesellschaft. Kehren wir es nicht unter den Teppich. Sprechen wir es aus, nennen wir die Dinge beim Namen und setzen dem Ganzen gemeinsam ein Ende – wir Frauen und Männer!

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

Credits

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Diskussion (Ein Kommentar)

  1. Ein sehr kluger Aufsatz. In unseren Medien wird ja auch immer von den „armen und vernachlässigten Kindern“ gesprochen und niemals auf die zur Erziehung verpflichteten Eltern fokusiert. Diese werden nicht in Haftung genommen als ginge es nur um die „armen Kinder“. Warum wird andererseits den ausländischen Eltern gestattet Kinder vom Unterricht abzumelden weil es nicht in ihre religiösen Vorstellungen passt.