Lässt sich die Not der Rohingya-Flüchtlinge rechtfertigen?

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Meinung

Die Rohingya-Flüchtlingskrise wurde 2017 von den UNO-Funktionären als die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise der Welt eingestuft. Mehr als 600.000 Rohingya-Flüchtlinge sind von Myanmar nach Bangladesch geflohen und leben dort in ärmlichen Flüchtlingslagern in Cox’s Bazar, das sich im Südosten Bangladeschs befindet. Bangladesch hat eine 271 Kilometer lange Grenze zu Myanmar, 54 Kilometer dieses Grenzabschnitts bilden die Flussgrenze am südöstlichen Rand von Bangladesch. Die Rohingya-Flüchtlinge sind über verschiedene Grenzübergänge nach Bangladesch gelangt, und ihr Zustrom setzt sich fort.1

Es ist nicht das erste Mal, dass Rohingya nach Bangladesch fliehen müssen. Behauptungen zufolge herrsche dieser Zustand seit den Angriffen auf die Rohingya im Jahr 1978, also seit mehr als vier Jahrzehnten. Die Situation bei den Rohingya in Myanmar verschlechterte sich seit 1974, als dort das nationale Anmeldezertifikat eingeführt wurde. Nach und nach verloren die Rohingya ihre Rechte, und schließlich wurde seit 1974 auch ihr Status als Bürger eingeschränkt. Die Rohingya galten früher als indigene Ethnie und wurden von 1948 bis 1961 im Parlament in Myanmar vertreten. Kurz nach der Einführung des nationalen Anmeldezertifikates wurde 1977 eine Kampagne zur Identifizierung von „Ausländern“ gestartet. Diese Kampagne war unter dem Namen „Nagamin-Kampagne“ oder „Operation Drachenkönig“ bekannt. Und so fand 1978 der erste Auswanderungsprozess der Rohingya nach Bangladesch statt.2 Man sagt, dass sie seit 1978 fünfmal nach Bangladesch geflohen seien. Nichtsdestotrotz ist die letzte Auswanderungswelle seit dem 25. August 2017 als alarmierend einzustufen, da der Zustrom von Rohingya nach Bangladesch nicht abklingt.

Das Faszinierende am Fall Myanmar ist, dass man sich, nachdem internationale Schlagzeilen bekannt wurden, vieler Eklärungen für die Rohingya-Flüchtlingskrise bediente. Die Not der Flüchtlinge, die in ein anderes Land fliehen, um ihr Leben zu retten, ist leicht nachvollziehbar. Folglich wurde das Verhalten des Staates Myanmar kritisiert. Mich verblüfften die Begründungen einiger, warum die Rohingya ein solches Schicksal erleiden mussten. Aber kann es überhaupt eine Rechtfertigung für die Not von Tausenden von Rohingya-Flüchtlingen geben?

Erzählungen darüber, dass den Rohingya in Myanmar Folter und Gewalt drohten, gibt es zur Genüge und es wurde auch deutlich auf die grausamen Räumungsoperationen der myanmarischen Streitkräfte hingewiesen. Laut der Organisation Human Rights Watch (HRW) hätten die Angriffe der Myanmar-Armee auf die Rohingya zu einem Verschwinden von mehr als 288 Rohingya-Dörfern geführt.3 Mehreren Berichten zufolge wurden Häuser der Rohingya durch Raketenwerfer zerstört. Viele Flüchtlinge geben an, bei diesen Angriffen auch Familienangehörige verloren zu haben.

Die Gründe für den Hass und die Gewalt gegenüber den Rohingya in Myanmar bleiben jedoch zumeist unklar. Das liegt vor allem daran, dass die Menschen in Myanmar seit Langem als friedliebendes Volk angesehen werden, das unter einem gewalttätigen Regime leidet. Eine Wende, bei der der Übergang von einem autoritären Regime nicht zu einer Demokratie, sondern zu einer Radikalisierung der Zivilbevölkerung und zu aggressiven Versuchen führte, das Land von jenen zu befreien, die als Außenseiter gelten, war für niemanden vorstellbar oder vorhersehbar. Da 90 Prozent der Bevölkerung aus Buddhisten bestehen, wird es schwierig, die gewalttätigen Episoden des Ethnonationalismus zu begreifen, die in Myanmar passierten.

Die allgemeine Auffassung ist, dass Buddhisten friedliebend sind und selten in irgendeiner Form gewalttätig agieren, wie es jetzt im Fall von Myanmar geschah. Man kann aber die Zeugenaussagen der Rohingya-Flüchtlinge nicht ignorieren, die besagen, dass nicht nur Zivilisten, sondern auch buddhistische Mönche an den Unruhen beteiligt gewesen seien.

Einigen Berichten zufolge begegnete man den Rohingya in Myanmar mit großer Skepsis, da sie sich während des Unabhängigkeitskampfes Myanmars auf die Seite der Briten gestellt und 1947 den Beitritt zu Ostpakistan (jetzt Bangladesch) gefordert hätten.4 Myanmar hätte ebenso schon lange Zeit unter dem Aufstand der Rohingya in Westburma, d.h. dem Rakhine-Staat, der an Bangladesch grenzt, gelitten. Lokale Mudschaheddin-Gruppen hätten zudem versucht, die von den Rohingya besiedelten Gebiete im nördlichen Rakhine-Staat von Myanmar abzuspalten und nach Ostpakistan (dem heutigen Bangladesch) zu überführen.

Ich stieß auch auf verschiedene Berichte, in denen man nach einer Erklärung suchte, warum es zu Hass und Folter bei den Rohingya in Myanmar kam. Einigen Berichten zufolge seien die Rohingya an der Ausübung von Gewalt gegen die Buddhisten in den von den Rohingya besiedelten Gebieten in Myanmar beteiligt gewesen. Diese Gewaltausbrüche hätten schließlich zu Unruhen zwischen Rakhine-Buddhisten und Rohingya geführt – und das wiederum zum Tod vieler Rohingya.5 Die Situation habe sich verschärft, als die Rohingya begonnen hätten, buddhistische Mönche anzugreifen und zu töten. Darauf hätten die buddhistischen Mönche reagiert, indem sie sich offen auf die Seite der Zivilbevölkerung und gegen die Rohingya stellten.

Es wird behauptet, die tatsächliche Situation vor Ort sei kein einseitiges Massaker, sondern ein gewalttätiger Aufstand in einer bestimmten Region mit dem Verlust von Menschenleben auf beiden Seiten zur Folge gewesen. Sowohl Rakhine-Buddhisten als auch Rohingya hätten in dieser gesamten Episode an gewalttätigen Ereignissen, in die Myanmar hineingerissen wurde, gelitten. Eine weitere Erklärung für die Ausgrenzung der Rohingya und den Hass, der ihnen entgegengebracht wurde, ist, dass sie an Missionierungen beteiligt gewesen seien, denn in Myanmar herrscht nur eine geringe Toleranz gegenüber Missionierungen.6 In vielen Pro-Myanmar-Erzählungen wird behauptet, dass Myanmar in keinster Form in gewalttätigen Ethnonationalismus verstrickt sei, da andere religiöse Minderheiten wie Christen und Hindus keiner Gewalt durch die Mehrheit der buddhistischen Bevölkerung ausgesetzt seien. Es seien vielmehr die Rohingya gewesen, die in Myanmar Ärger verursacht hätten und nun dem Zorn der buddhistischen Zivilisten ausgesetzt seien.

Was auch immer die Gründe für solche gewalttätigen Vorgänge gegen eine Minderheit in Myanmar sein mögen: Solche Gräueltaten stellen eine klare Verletzung der Menschenrechte und eine Krise dar, die von der Regierung Myanmars bewältigt werden muss. Das Streben nach ausgleichender Gerechtigkeit kann niemals die Lösung in einem zivilen Konflikt sein. Es schürt nur Hass und weitere Gewalt. Es liegt in der Verantwortung der Regierung, einzugreifen und eine Atmosphäre des Friedens und der Stabilität zu schaffen, falls die Situation der Rohingya das Ergebnis eines örtlich begrenzten Bürgerkriegs ist, wie in vielen pro-myanmarischen Berichten behauptet wird.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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1 https://news.sky.com/feature/rohingya-crisis-11121896
2 https://www.frontline.in/world-affairs/escape-from-terror/article10008265.ece
3 https://www.frontline.in/world-affairs/escape-from-terror/article10008265.ece
4 https://www.frontline.in/world-affairs/escape-from-terror/article10008265.ece
5 http://www.vedicupasanapeeth.org/news_inter_67774_mya/
6 https://www.google.co.in/amp/s/amp.cnn.com/cnn/2017/11/25/asia/myanmar-buddhist-nationalism-mabatha/index.html

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Rohingya_displaced_Muslims_02- Rohingya_displaced_Muslims_02- Seyyed Mahmoud Hosseini CC BY 4.0