„Lies das Buch! … extrem! …“ – Buchrezension zu Sonja und Robert Hipfinger

"Lies das Buch! ... extrem! ..." - Buchrezension zu Sonja und Robert Hipfinger
Meinung

Die beiden Ehepartner Robert und Sonja Hipfinger reflektieren jeweils aus eigener Sicht über die unerwartete Wendung, die ihr Leben genommen hat, nachdem sie sich (nicht ohne Widerwillen und Überwindung) auf allerlei unbequeme und schwer verdauliche Informationen einließen. Das Resultat war der für sie selbst überraschende Entschluss, nie wieder tierische Produkte zu sich zu nehmen. Als lebensfrohe Wiener Mittfünfziger entsprechen sie keiner der Klischeevorstellungen, die man von Veganern im Kopf haben mag, und zeigen so, dass auch „ganz normale Leute“ zur Entscheidung gelangen können, Tiere lieber zu streicheln als zu essen.

Die Sprache ist einfach und unprätentiös gehalten, vor allem Robert Hipfingers Seite lässt jeden klassischen Wiener Grillmeister und Genussmenschen merken, dass er hier von einem Gleichgesinnten angesprochen wird. Er beschreibt recht unaufgeregt, wie er durch Recherchen über seinen eigenen Gesundheitszustand, in Verbindung mit von seiner Frau angeregter Buchlektüre (daher auch der Titel „Lies das Buch“), zu dem Ergebnis kam, dass Veganismus eine Notwendigkeit sei. Die positiven Auswirkungen ließen bei ihm auch nicht lange auf sich warten – und stellen generell eines der stärksten Argumente für Ernährung auf (zumindest überwiegend) pflanzlicher Basis dar.

Nimmt man zur Erkenntnis, dass tierisches Protein für uns nicht nur unnötig ist, sondern sogar gesundheitsschädigend sein kann, die moralische Seite hinzu, so kommt man nicht umhin, sich den Autoren anzuschließen und die grausame Massentierhaltung mitsamt allen daraus resultierenden katastrophalen Praktiken wie Landraub, Überdüngung usw. ebenso zu verurteilen.

Leider begehen die beiden Autoren hier aus meiner Sicht einen taktischen Fehler, den alle überzeugten Veganer machen:

Bedenkt man, dass das Buch sich ja an Menschen wendet, die mit dem Thema Veganismus noch keine Berührungspunkte haben, preschen sie zu weit vor. Egal ob Wild, Käfighuhn oder Weiderind, der Diebstahl eines Lebens ist aus veganer Sicht immer Unrecht – jedoch wird kein überzeugter Fleischesser sich diesem Standpunkt anschließen, sondern das Buch eher zur Seite legen, um weiteren Moralpredigten zu entgehen.

Noch problematischer ist, dass hier (wie überhaupt in der veganen Bewegung) selbst Honig aus Eigenbau oder Hühnereier vom eigenen Hof zum Tabu gemacht werden, was bei Nicht-Veganern verständlicherweise als leicht zwängliche Prinzipienreiterei ankommen kann. (Allerdings sei an dieser Stelle erwähnt, dass überzählige Hähne in der freien Natur als Junggesellengruppen umherstreifen würden, während auf Höfen nur ein Hahn geduldet wird.)

Ansonsten ist die männliche Seite eine gute Einstiegslektüre, die die wichtigsten gesundheitlichen Aspekte streift und die Absurdität der von uns gern übersehenen routinemäßigen Grausamkeiten aufzeigt, ohne dabei einen zu aggressiven Ton anzuschlagen. Gespickt mit nützlichen Links und weiterführender Information zu verwandten Themen wie Welternährung, Umweltschutz, Eigenanbau und vielem mehr, ist dies ein gut abgerundeter Einstieg.

Die weibliche Seite liest sich durch zahlreiche Zeit- und Gedankensprünge und einen Sprachstil, der etwas zu nahe am gesprochenen Wort ist, wesentlich holpriger und macht es mitunter schwer, die Argumentationskette nicht aus den Augen zu verlieren. Hier wäre etwas energischere lektorische Bearbeitung hilfreich gewesen (die man stellenweise auch in der andere Hälfte des Buches vermisst).

Sonja Hipfinger geht emotionaler, direkter und radikaler an unbehagliche Themen (um die man in einem Buch zu Veganismus freilich schwer herumkommen kann) heran als ihr Mann. Sie deutet dabei die widerlichen Vorgänge rund um Leben und Sterben unserer Nutztiere eher nur an, weckt aber mit einigen mehrfach verwendeten Sprachwendungen, für die sie sich anschließend entschuldigt, dennoch ein Gefühl der leicht manipulativ eingefärbten Anklage. Schade, denn faktisch hat sie vollkommen recht:

Wir denken uns mit Hilfe massiver Verdrängung etwas schön, das in seiner jetzigen Form ein tausendfaches Verbrechen an den anderen Wesen unserer Welt darstellt. Die Entrüstung darüber zu unterdrücken oder zu überspielen, nur um niemanden zu kränken, ist ein Kunststück, das vielen Veganern nicht gelingt und zwangsläufig zu Konfrontationen führt – oft genug von der Gegenseite ausgehend.

Schließlich sieht niemand gerne seine Abwehrmechanismen in Bedrängnis, und so variieren die Reaktionen des Umfelds auf den veganen Lebensstil von Desinteresse über Missmut bis hin zu heftiger Abwehr und glatten Beleidigungen, was von Sonja Hipfinger anhand von Beispielen aus dem Familienkreis teils recht unterhaltsam geschildert wird.

Von der Ausbildung zur Ernährungsberaterin schimmert für mich zu wenig durch, vielleicht kam hier die Sorge zum Tragen, die Leserschaft mit zu vielen Tabellen zu vergraulen. Gerade wer einen Umstieg in Erwägung zieht, könnte aber von einer gut durchdachten Anleitung enorm profitieren. Eine ausreichende Versorgung mit allen nötigen Nährstoffen ist nämlich durch den Verzehr von mehr Gemüse und Rohkost ohne Rücksicht auf deren jeweiligen Nährstoffgehalt nicht garantiert – was allerdings bei einer herkömmlichen omnivoren Diät ebensowenig gegeben ist!

Zusammenfassend sei noch gesagt, dass leider das vegane Leben, zumindest wenn einem abwechslungsreiches und genussvolles Essen sehr wichtig ist, viel Zeit zum Selberkochen oder beachtliche finanzielle Mittel erfordert, um sich Restaurantversorgung oder die wenigen erhältlichen und massiv künstlich überteuerten veganen Fertiggerichte zu leisten. Dieser Umstand dürfte für die Autoren aufgrund ihrer Lebenssituation (und der schon vorher ausgeprägten Leidenschaft für Selbstgekochtes) ein kleineres Hindernis gewesen sein, als es bei sehr vielen anderen Menschen (die das Kochen erst von Grund auf erlernen müssten) der Fall wäre.

Hier gibt es jedoch gute Neuigkeiten: Die Palette an veganen Produkten wird mit steigender Nachfrage immer breiter und leistbarer. Auch die Hipfingers selbst wollen mit einer Auswahl an veganen Gourmetkäsesorten den Sprung auf die Regale wagen. Daneben werden in den nächsten Jahren zahlreiche Innovationen marktreif, welche Produkten aus der Viehwirtschaft nicht nachstehen und preislich sogar günstiger sein werden, wie z.B. eine stark verbesserte Pflanzenmilch ohne störenden Eigengeschmack.

Auch wenn vom gesundheitlichen Standpunkt stark verarbeitete Ersatzprodukte (also vor allem Wurst- und Fleischersatz) sowie Fertignahrung dem Vergleich mit selbstgekochten Speisen nicht standhalten können, erlaubt die Lebenswirklichkeit sehr vieler Menschen Kochexperimente bestenfalls am Wochenende. Obendrein ist die Aussicht, auf alles bislang vertraute Essen für immer verzichten zu müssen, eines der größten Hemmnisse im Umstieg, und gerade die österreichische Küche kennt – von Süßspeisen abgesehen – kaum fleischlose Gerichte …

Insofern sind Ersatzprodukte ein Segen und verdienen jede denkbare Förderung – denn auch ohne einen kompromisslosen Komplettumstieg auf rein pflanzliche Ernährung ist jede Mahlzeit, die ohne tierische Produkte auskommt, ein Gewinn für die Umwelt, ein „Nein“ zu Massentierhaltung und eine Erholungspause für den Körper.

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Diskussion (2 Kommentare)

  1. Vielen Dank für deine Rezension. Auf den Punkt mit dem Lektorat sei angemerkt, dass wir das Buch in unserer kargen Freizeit geschrieben haben, und komplett aus eigener Tasche finanziert haben. Ein Profi-Lektorat hätte die Kosten erheblich gesteigert. Wir sehen es gerade deshalb als besonders authentisch an.

    1. Ja, ein guter Lektor hätte den Stil auf jeden Fall respektvoll beibehalten müssen, denn wo er funktioniert ist er tatsächlich eine große Stärke.