Living Planet Report: das globale Tiersterben

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Gesellschaft

Ende Oktober 2018 veröffentlichte der World Wildlife Fund (WWF) den aktuellen „Living Planet Report„. Mit dieser umfangreichen Studie will die international agierende Naturschutzorganisation „eine Kennzahl für den Gesundheitszustand unseres Planeten“ geben, und erstmals ist darin auch Österreich berücksichtigt. Die Ergebnisse sind erschreckend.

Der Kern des „Living Planet Report“ (Übersicht auf  www.wwf.de/living-planet-report, deutsche Zusammenfassung auf www.wwf.de), der seit 1998 alle zwei Jahre erstellt wird, ist ein Index, für den weltweit die Bestandszahlen von 4.005 Tierarten aus allen Wirbeltierklassen (Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien) in 16.704 Populationen erfasst werden. Es ist wie eine repräsentative Umfrage unter den Wirbeltieren dieser Welt, die lautet: „Wie viele von euch gibt es eigentlich?

Die Antwort ist niederschmetternd: Seit 1970 sind die Bestandszahlen der Wirbeltiere weltweit um rund 60 % zurückgegangen.

Dieser Verlust lässt sich ganz direkt auf den menschlichen Einfluss zurückführen: explodierender Konsum natürlicher Ressourcen wie Energie, Land und Wasser, aber auch der direkte „Verbrauch“ von Wildtieren, vor allem durch Überfischung. Die Bevölkerungszahl ist in den vergangenen Jahrzehnten weltweit enorm angestiegen, hinzu kommt ein deutliches Wirtschaftswachstum. Damit einhergehend sind auch der Verbrauch von fossiler Energie sowie Süßwasser extrem gewachsen.

Ob Bevölkerungszahl, der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre, der Verlust tropischer Wälder oder speziellere Kennzahlen wie der Stickstoffeintrag in Küstengewässer durch Düngemittel, die von Flüssen mitgetragen werden – alles steigt in eskalierendem Ausmaß an, wie schon ein Blick auf die Grafiken in der stark verkürzten Interpretation des Berichts zeigt (www.wwf.at/de/menu980). Der LPR nennt dies „die große Beschleunigung„:

Der ökologische Fußabdruck der Menschheit wird permanent größer, in jeglicher Hinsicht. Das Wirtschaftswachstum, das uns eine nie dagewesene Lebensqualität bringt und Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern aus absoluter Armut in relativen Wohlstand gebracht hat, zeigt hier seine dunkelste Schattenseite. Gegenläufig dazu ist der Verlust an Tieren – nicht nur an Tierarten, sondern vor allem auch an Individuen durch Ausdünnung der Bestände.

Die beiden Hauptursachen für das globale Tiersterben sind die großflächige Zerstörung von Lebensräumen (vor allem durch Abholzung von Wäldern und Intensivierung der Landwirtschaft) sowie die Übernutzung der Bestände (also vor allem Überfischung, aber auch Bejagung). Dies ist seit Jahrzehnten bekannt, insofern bringt der Report nichts Neues.

75 % der seit 1500 n.Chr. ausgestorbenen Arten von Pflanzen, Amphibien,  Reptilien, Vögeln und Säugetieren sind durch direkte Übernutzung und/oder  Lebensraumverlust  verschwunden,

so der WWF.

Zu diesen beiden Hauptursachen kommen weitere Faktoren, die nicht ganz so bedeutend sind. Die Umweltverschmutzung durch Abgase und Giftstoffe etwa spielt insgesamt keine so wesentliche Rolle, wie man vermuten sollte. Relativ neu ist das Problem des Plastikmülls in den Meeren. Ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Problem ist die Ausbreitung sogenannter invasiver Arten:

Tier- und Pflanzenarten werden durch den globalen Handel (vor allem auf dem Seeweg) weltweit in Gegenden verschleppt, in denen sie ursprünglich nicht heimisch waren. Manche dieser Arten finden dort so gute Bedingungen vor, dass sie sich rasch ausbreiten und auf diese Art die ursprünglich heimischen Arten verdrängen – sie werden „invasiv„. Als relativ neue Bedrohung wirkt sich auch der Klimawandel zunehmend negativ aus, weil sich viele Arten und Ökosysteme nicht an die rasche Temperatursteigerung anpassen können.

Ungehemmter Verbrauch von fossiler Energie, Überfischung der Meere, großflächige Abholzung natürlicher Wälder – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. So ist zwar der Verlust von Waldflächen insgesamt durch nachhaltige Forstwirtschaft gebremst worden, doch die ökologisch und klimatisch immens wichtigen tropischen Regenwälder schrumpfen weiter dramatisch:

Die Fläche des Amazonasregenwalds ist in den vergangenen 50 Jahren um 20 % zurückgegangen. Bei den Flachwasserkorallen, die die Korallenriffe bilden und damit eine ähnliche Bedeutung für die marinen Ökosysteme haben, liegt der Rückgang sogar bei 50% innerhalb der letzten 30 Jahre.

Aber das Problem beschränkt sich nicht auf Tropenwälder und Korallenriffe. In diesem Jahr wurden in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur in Wien erstmals auch Zahlen aus Österreich in den Bericht mit aufgenommen. Diese Zahlen, die bis 1986 zurückreichen, zeigen ebenfalls ein erschreckendes Bild:

Innerhalb dieser gut 30 Jahre haben die Bestandszahlen an Wirbeltieren in Österreich um 70 % abgenommen. Und man kann davon ausgehen, dass es auch in den Jahrzehnten zuvor bereits einen deutlichen Schwund gegeben hat. Der Rückgang ist in Österreich also noch weitaus stärker als auf der Erde insgesamt (minus 60 % seit 1970).

Die Zahlen des Living Planet Index bilden Bestandszahlen ab, also die Anzahl der Individuen der erfassten Tierarten. Neben der Ausdünnung der Bestände verschwinden aber auch immer mehr Arten vollständig. Dass Tierarten aussterben, ist im Grunde ein normaler Vorgang: Evolution ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht nur neue Arten hervorbringt, sondern auch durch unterschiedlichste Faktoren und komplexe Wechselwirkungen ältere verschwinden lässt – die Dinosaurier sind nur das prominenteste Beispiel dafür. Diese „background rate“ des Artensterbens hat sich inzwischen aber um den Faktor 100 bis 1.000 beschleunigt.

Anders ausgedrückt: Durch den Einfluss des Menschen sterben Tierarten heute 100 bis 1.000 Mal schneller aus, als es in früheren Erdzeitaltern der Fall war.

Mit der Biodiversität, also der natürlichen Vielfalt, schwindet aber die Lebenskraft unseres Planeten, und auch unsere eigene Lebensgrundlage wird immer dünner. Denn: „Alle wirtschaftliche Aktivität hängt letztendlich von Dingen ab, die die Natur uns zur Verfügung stellt„, wie es in der Einleitung des Living Planet Reports heißt. Und weiter:

Je besser wir unsere Abhängigkeit von natürlichen Systemen verstehen, umso mehr wird klar, dass Natur nicht nur ein ’nice to have‘ ist.

Das Bild von der „Mutter Erde„, die uns alle ernährt, ist also keine romantische Überhöhung, sondern hat eine ganz reale Grundlage.

Keine Frage: Das Umweltbewusstsein ist in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Umwelt- und Naturschutz, vor nicht allzu langer Zeit noch Nischenthemen belächelter „Ökofreaks“, haben es ins Bewusstsein der Massen geschafft, und es hat zweifelsohne auch viele Verbesserungen gegeben. Umso trauriger ist es, dass alle bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um den Verlust an natürlichen Ressourcen zu stoppen, weil sie von den negativ wirkenden Faktoren bei Weitem überlagert werden.

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