Nach uns die Arbeit, vor uns die Sklaverei ? – Univ. Prof. Dr. Andrea Komlosy

Gesellschaft

Die Historikerin und Migrationsforscherin Univ. Prof. Dr. Andrea Komlosy ist Gast der neusten Folge von Reiner Wein. Auch wenn es Erwerbsarbeit gegen Lohn schon länger als den Kapitalismus gibt, so ist die Trennung von Lohnarbeit und unbezahlten, häuslichen Tätigkeiten eine relativ neue Entwicklung: erst an der Wende zum 19. Jahrhundert wurde die Lohnarbeit in Fabriken zentralisiert. In den Köpfen verankert hat sich die Formel „Arbeit=Erwerbsarbeit“ etwa 100 Jahre später. Die Leistung zum Erhalt des Haushaltes, die in vorindustriellen Zeiten auch für generationsübergreifende Gewerbebetriebe überlebensnotwendig war, tritt in den Hintergrund, da unbezahlt. Dennoch muss diese sogenannte Reproduktionsarbeit zum Erhalt der Erwerbsarbeit auch weiterhin geleistet werden; im marxschen Sinne ist sie Teil des Mehrwerts – auch wenn Marx dies in seinen Analysen nicht erkannt hat.

Kapitalismus sollte nicht mit Marktwirtschaft gleichgesetzt werden, denn den Markt gab es immer: auch in vorindustrieller Zeit wurde (zumindest teilweise) für den in der Gesellschaft eingebetteten Markt produziert.

Der Anteil zwischen Lohnarbeit und unbezahlter Arbeit ist schwer abzuschätzen und schwankt je nach Verfassung der Wirtschaftskonjunktur; ebenso weitet sich der informelle Sektor in Krisenzeiten aus. Eine hohe Zahl an Ehrenämtern ist grundsätzlich ein gutes Zeichen für eine prosperierende Gesellschaft: denn wenn jeder ständig ums Überleben kämpfen muss, ist für diese Form der Arbeit wenig Zeit.

Die mit der Einführung zentralisierter Arbeitsplätze einsetzende Mobilität der Lohnarbeiter wird durch den flächendeckenden Ausbau der Bahn verstärkt. Diese überregionale „Mobilisierung von Arbeitskraft“ setzte allerdings schon wesentlich früher ein: zB wurden Millionen Sklaven aus Afrika nach Amerika verschifft.

Die ersten gesetzlichen Regulierungen des Manchester-Kapitalismus, die zuerst von Unternehmerseite kamen, setzten Mitte des 19. Jahrhunderts ein: damals wurde die Arbeitszeit für Jugendliche und Frauen auf 63 Stunden pro Woche reduziert. Allerdings gab es die Arbeitszeitverbesserungen zumeist nur für Industriearbeiter, und auch nur in der westlichen Welt. Im vorindustriellen Zeitalter wurde wesentlich weniger gearbeitet: die Disziplinierung zu so hohen Arbeitspensen, wie sie der Kapitalismus verlangte, verlief nicht ohne massive Reibungen.

Durch die raschen und großen Veränderungen der Industrialisierung wurden die familiären Verhältnisse stark zerrüttet – ein Thema, das die damalige Literatur breitflächig aufgriff.

Henry Ford war nicht der erste, aber wohl der bekannteste Unternehmer, der erkannt hat, dass Arbeiter nicht nur produzieren, sondern auch konsumieren. Entsprechend setze er sich für Arbeitsplatz- und Lohnverbesserungen ein, sofern sie seine Absatzzahlen steigerten. Damit erreichte er auch eine Spaltung der Arbeiterbewegung: die gut situierten Arbeitskräfte in den Fabriken waren für Arbeitskämpfe wesentlich schwieriger zu motivieren, als die vielen Arbeiter in der Peripherie (Plantagen, Bergwerke etc), die weiterhin in ärmlichsten Verhältnissen lebten und eine geringe Lebenserwartung hatten.

Die Verlagerung dieser Arbeitsverhältnisse in die ehemaligen Kolonien bzw in rohstoffreiche Länder, die auf die Kapitalverwertungskrise der 70erjahre folgende Verschiebung der Produktion in Billiglohnländer, die Vorteile der neuen Konkurrenten in Asien auf Grund der Führerschaft im Bereich der Digitalisierung und der zunehmende Ausbau des Überwachungskapitalismus sind weitere Themen dieses sehr informativen Gesprächs.

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Andrea Komlosy Wolfgang Müller CC BY SA 4.0