Neubeginn & Transformation – Vom Opfer zum Schöpfer

Meinung

Im Gespräch zwischen der Psychotherapeutin Nadia Danneberg und der bildenden Künstlerin Anemona Crisan geht es um Neubeginn, Zeitenwende und Schöpferkraft.

Crisan, die im kommunistischen Rumänien geboren wurde und dann als 11-jährige nach Österreich gekommen ist, hat zwei sehr unterschiedliche Welten kennengelernt. Im Rückblick auf die Pandemiezeit hat sie sich wieder an verschiedene Mechanismen, die sie aus ihrer Kindheit kennt, erinnert. Dennoch hat sie auch Menschen kennengelernt, die ihr authentisches Selbst nicht auf Kosten anderer ausdrücken. Die Erkenntnisse aus dieser herausfordernden Zeit waren vielfältig: Für sie als Kritikerin des Systems war zu erkennen, dass es etwas von Außen gibt, das stärker ist, als das Eigene. Damit kommt man schnell in die Opferrolle. Daher gilt es, sich in diesen Phasen selbst zu ermächtigen und sich zu erinnern, dass man immer die Autorität des eigenen Lebens ist. Zudem hat sie herausgefunden, dass man Fremdzuschreibungen nicht annehmen muss. Die innere Freiheit und die Grundrechte kann man sich nur selber gewähren und diese kann man den Menschen auch nicht wegnehmen. Dieses Selbstbewusstsein wahrzunehmen ist sehr wichtig, trotz aller Ängste. Angst erlebt sie als sehr nützlich, sie fühlt sich dadurch nicht gehemmt; vielmehr ist diese die „Luft unter den Flügeln“. Das aber sind sehr individuelle Prozesse, man kann also nur für sich sprechen. Crisan sieht sich immer noch in einem Prozess der Verarbeitung der letzten drei Jahre. Die Überreste dieser Zeit sind nicht zu verdrängen, sondern zu integrieren.

Das Mitmachen der Menschen bei den Maßnahmen hat aus ihrer Sicht mit einer gewissen Wohlstandssituation zu tun, in der die westlichen Länder sich in den 70er und 80er-Jahren befanden. In den letzten Jahrzehnten gab es aber auch in diesem Teil der Welt einen zunehmenden Verfall, woraus der Wunsch entstand, das Bestehende zu erhalten, wodurch ein „Mitlaufen“ befördert wird. Es ist wichtig zu sehen, was in uns steckt, wenn wir solchen Extremsituationen ausgesetzt sind. Im Umgang miteinander hat ihr das Zivilisatorische gefehlt: es ging recht animalisch und menschenunwürdig zu, nicht nur verbal. Herausfordernd findet Anemona Crisan die Unterscheidung zwischen dem individuellen und dem gesamtgesellschaftlichen Aspekt. Es gilt dabei letztlich alle Widersprüche aufzulösen und das allen Gemeinsame zu finden.

Eine große Frage ist die Transformation aus der Opferhaltung hin zu einem Schöpferdasein. Wenn man dem Geschehen nicht ausgeliefert ist, hat man die Wahl. Allerdings wird der Handlungsspielraum aktuell immer kleiner und kleiner, was eine gewisse Gefahr darstellt. Von Gestalteten zu Gestaltern werden können wir dennoch. Denn das derzeitige System steht vor dem Ende; in herrschenden Positionen verbleiben in solchen Phasen immer nur die Unfähigen. Es ist nicht bloß ein Ende des politischen Systems, sondern eine Zuspitzung auf den Kampf um die letzten Ressourcen. Vor 1989 hat sie genau diese Situation in ihrem Heimatland erlebt: Kritik wurde als Diffamierung oder als Verschwörung gebrandmarkt. Es wurde immer chaotischer. Es besteht ein Kampf zwischen dem Festhalten am Bestehenden und dem Neubeginn.

Es existiert, so Crisan, kein Verständnis für Kreisläufe, aber tatsächlich verläuft alles zyklisch, Veränderung ist die einzige Konstante. Wir als Menschen, als Bevölkerung, als Individuen müssen den Neubeginn gestalten; die Institutionen haben ausgedient, in ihnen herrscht Herrschaftsideologie. In einer guten Zukunft geht es aber vielmehr darum, auf Augenhöhe und in Kreisen zu kommunizieren und zu agieren. Es braucht auch Mut, nach innen zu gehen, seine eigene Authentizität zu entdecken und zuzulassen. Jene, die diesen Weg gehen, werden zu Vorbildern und Helfern für jene, die das noch nicht können.

Im weiteren Gespräch geht es u.a. noch um die Rolle und die Aufgabe der Kunst und der Künstler, Crisans Werke, die in diesen letzten Jahren aus der Situation heraus entstanden sind und noch einmal um ihre Sichtweise auf Neubeginn und Transformation.

Idealism Prevails ist ausschließlich Verfasser der Zusammenfassung des Gespräches und nicht für den Inhalt des Interviews verantwortlich.

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