„Neue Normalität“ in China? Soziale Proteste und Repression – Daniel Fuchs

Gesellschaft

Veranstaltungsdaten

Datum
18. 2. 2020
Veranstalter
Aktionsradius Wien
Veranstaltungsart
Vortrag

Mitte Februar lud der Aktionsradius Wien im Rahmen des Schwerpunktthemas China den Politikwissenschaftler und Sinologen Mag. Daniel Fuchs zu einem Vortrag über die sozialen Bewegungen und Arbeitskämpfe im Land der Mitte ein.

Fuchs, der sich seit 13 Jahren mit diesem Thema beschäftigt, hebt zu Beginn den Gegensatz zwischen dem immer noch bemerkenswerten, aber sich dennoch verlangsamenden Wirtschaftswachstum und der drastischen Zunahme von Arbeitskämpfen (6500 in den letzten 2 Jahren, einige davon bereits im Dienstleistungssektor) hervor. Unter Staatspräsident Xi Jinping haben sich die politischen Repressionen verstärkt – ein Teil der „neuen Ära“ unter seiner Führung.

Die Transformation der Produktions- und Klassenverhältnisse seit 1978 eröffnet das Verständnis für die zunehmenden Unruhen in der chinesischen Gesellschaft. Sie kann in drei Phasen unterteilt werden, die Fuchs im Anschluss näher beschreibt:

Die erste Phase ist die Transformation der Landwirtschaft und die graduelle Kommodifizierung (Teilprivatisierung von kommunalen Landgütern) bis 1989 unter Deng Xiaoping; auch gab es erste Reformen im urbanen Staatssektor, die dann auch zur ersten Welle an Arbeitskämpfen in allen größeren Städten führten mit dem Höhepunkt 1989 und dem Massaker am Tian‘anmen Platz. Hierauf kam es zu einem kurzen Stopp der Wirtschaftsreformen.

Exportorientierung und die Restrukturierung des Staatssektors waren in den Jahren von 1992 bis 2002 die staatspolitischen Ziele Chinas, um die sozialistische Marktwirtschaft umzusetzen. Sonderwirtschaftszonen gab es zwar schon seit 1980, Direktinvestitionen aus dem Ausland flossen allerdings erst nach dieser Öffnung nach China, und das in hohem Maße. Für die daraus entstehenden Unternehmen benötigte man eine große Zahl an Arbeitern; ein Gutteil davon sind die seit damals bekannten Wanderarbeiter, von denen es heute 288 Millionen gibt und die auf Grund des HuKou-Systems in Städten einen relativ prekären Aufenthaltsstatus haben. Ziel der 1997 formulierten Reform des Staatssektors war es, große und wichtige Firmen im Zugriff des Staates zu halten, aber kleine und wirtschaftsschwache Unternehmen Privaten zu überlassen. Die Zahl der Staatsbetriebe halbierte sich auch dementsprechend bis 2006. 50 Millionen Menschen wurden entlassen, was zu einer neuen Welle an Arbeitskämpfen in den Zentren der Schwerindustrie führte. Dies ist eine von vielen Auswirkungen der kapitalistischen Durchdringung des Staates und der Wirtschaft.

In der dritten Phase der Transformation (2003-2012) standen nicht die wirtschaftlichen Veränderungen, sondern die Harmonisierung der Gesellschaft nach den großen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte im Vordergrund. Unter Präsident Hu Jintao wurde die staatliche Rolle als Kontroll- und Regulationsinstanz gestärkt, sowohl im Sozial-, als auch im Umwelt- und Landwirtschaftsbereich. Durch die Zunahme der Wanderarbeiter kam es dennoch weiterhin zu Arbeitskämpfen. Offensiv gefordert wurden nunmehr arbeitsrechtliche Verbesserungen, die über bestehende Gesetze hinausgingen (z.B. Lohnerhöhungen). Die jüngeren Generationen hatten höhere Ansprüche als ihre Vorgänger; zudem kam es auch vermehrt zu einem Mangel an Arbeitskräften.

Nach der Machtübernahme durch Xi Jinping wurde eine neue Ära ausgerufen, in die auch das Ausland große Hoffnungen setzte. Doch weder politisch noch wirtschaftlich wurden diese erfüllt: mittlerweile spricht man von einer absolutistischen Wende und einem Ende der Reform-Ära. Eine rigorose Antikorruptionskampagne, die bis Ende 2017 1,4 Millionen Mitglieder der kommunistischen Partei (darunter auch hohe Kader, die früher nie von solchen Kampagnen betroffen waren) betraf, führte dazu, dass Politiker auf lokaler Ebene keine Reformen mehr versuchen, aus Angst, von der Kampagne erfasst zu werden. Xi Jinping führte einige institutionelle Änderungen durch, sodass sich die Macht im Staate möglichst auf ihn konzentriert. Seine persönlichen Ideen wurden in die Verfassung aufgenommen; die Amtszeitbegrenzung (2×5 Jahre) des Präsidenten wurde aufgehoben.

Wirtschaftspolitisch soll der Binnenkonsum gesteigert werden, bisher allerdings mit überschaubarem Erfolg. „Made in China 2025“ hat zum Ziel, die Industrie und ihre Produkte aufzuwerten. Arbeitsintensive Produktionsprozesse werden sukzessive ins günstigere Südostasien ausgelagert, aber auch innerhalb Chinas werden Fabriken nach Zentral- und Westchina verlagert. Die Gründung der Asiatischen Infrastrukturbank und die „One belt – one road“ Initiative zeigen darüber hinaus Chinas Drang, sein Kapital weltweit zu investieren.

Die soziale Repression nach innen gegen Aktivisten und NGOs unter Xi nimmt täglich zu. Fuchs zählt einige Beispiele auf. Die Forderungen der Streikenden sind defensiver geworden: im Zentrum stehen wieder Arbeitsrechte und ausstehende Löhne, und nicht mehr grundlegende Verbesserungen für die Arbeiter.

Im Folgenden stellt Fuchs den Fall Jasic vor: eine Arbeitsauseinandersetzung im Mai 2018 in Shenzhen. Auch auf weitere Fallbeispiele sozialer Proteste, z.B. in der Landwirtschaft und zu gesellschaftspolitischen Themen, geht er näher ein.

Credits

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Daniel Fuchs Wolfgang Müller CC BY SA 4.0