Paranoia in Massen – Das Revival der Volksverführung

Bundesarchiv Bild 102-17049, Joseph Goebbels spricht
Meinung

Eine gefährliche Tendenz macht sich seit einem Jahrzehnt bemerkbar und bedroht unsere Demokratie:

Fast epidemisch breiten sich immer mehr Theorien aus, die an Verschwörungstheorien erinnern.

Sie mutieren zu richtigen politischen Bewegungen und fegen Vernunft und logisches Denken weg. Der Grund dafür ist aber keine Krankheit, und es handelt sich auch nicht um Halluzinogene. Diese sich weltweit ausbreitende Paranoia ist das Resultat der immer schwerer  ver- und bewertbaren Informationen, die über das Netz, insbesondere über die sozialen Medien, verbreitet werden. Dadurch kann sich jede Theorie, auch die einer Verschwörung, ganz leicht verbreiten. Die jeweils dieser Theorie zugehörigen Menschen versammeln sich in Meinungsblasen und verbreiten diese kruden Ideen weiter. Es ist keine Instanz mehr da – früher waren dies Zeitungen und Fernsehen -, die diese Informationen kontrollieren und einordnen würden, daher steht jede Theorie gleichrangig auf der Ebene aller anderen.

Ist von der Pharmamafia die Rede, die die Homöopathie unterdrücken will, wird z.B. nicht davon gesprochen, dass die Globuli zum Teil teurer sind als die Medikamente, die damit ersetzt werden können. Wird die Konzernmacht beschworen, die alles beherrscht, vergessen wir gern, dass jeder Konzern von den Konsumierenden lebt und jeder mit jedem Einkauf bestimmen kann, wie stark ein Konzern ist. Die beliebteste Theorie ist die von der geheimen Macht im Hintergrund, die unser Leben diktiert.

Aber sollte diese „geheime Macht“ existieren, müsste sie derart so top secret sein, dass es doch nicht mal Hinweise dafür geben könnte; sonst müssten nämlich alle involviert sein, um das Bekanntwerden der Existenz der „Illuminati“ zu verhindern. Auch Ihr Nachbar, dem Sie gerade davon erzählen und der sie soeben eigenartig dabei ansieht. 😉

Aus all diesen Vorstellungen von Bedrohung und geheimer Manipulation bilden sich die für Paranoia typischen Muster. Und Paranoia führt zu Isolation in den Gruppen, die ein deutliches Freund-Feindbild pflegen. Ein Symptom dafür, paranoid zu sein, ist das Gefühl, sich ständig verfolgt zu fühlen; dabei ist diese Gefahr aber nicht beweisbar und kann auch nicht klar umrissen werden. Jene Personen, die Paranoia besonders verinnerlicht zu haben scheinen, wirken in ihrer besonderen Erscheinung wie Magnete für viele andere. Und jeder andere, der die jeweils fixe Idee ablehnt, müsste nach seiner eigenen Theorie Mitglied, Sympathisant oder zumindest ein nützlicher Idiot einer weltweiten Verschwörung sein.

Auch eine noch so fundierte Kritik wird als bloßer Ausdruck eines Versuchs abgestempelt, „die Leute, die Wahrheit verbreiten, mundtot zu machen“. Gern wird auch mit Hinweisen auf sorgfältig ausgearbeitete Beiträge im Netz argumentiert oder auf Buchveröffentlichungen, um somit die Wissenschaftlichkeit zu beweisen.

Es ist die Hoch-Zeit für Demagogen: Für Männer und Frauen, die sich dieser gerade beschriebenen Mechanismen bewusst oder unbewusst bedienen und für eine besondere Verrücktheit, mit der man Menschen in psychisch labilen Ausnahmezuständen ausbeutet.

Erinnern wir uns an den Rundfunk als Massenmedium vor über 90 Jahren: Er war für alle Menschen verfügbar, und so kam es zu einer ähnlichen Massen-Entwicklung. Auch damals standen Demagogen (Heute nennt man sie „Populisten“, ob politisch links oder rechts – ist egal) im Mittelpunkt. Dank des Rundfunkmediums konnte mit Emotionen gearbeitet und mit Wut, Angst, Hoffnung und Begeisterung gespielt werden.

Wir kennen die soziale Katastrophe, die daraus resultierte: Das entsetzliche Menschheitsverbrechen, das unfassbare Grauen, das sich aus der Erreichbarkeit der Massen ergab. Massengefühle zu bilden, Menschen mit „WIR Frauen sind“, „DIE Männer haben“, „DIE Moslems machen ..“ , „WIR Einheimische wollen…“ ,“America first“, „DIE Eliten beherrschen ..“, „diese Gutmenschen“, „wir besorgten Bürger“, „WIR Schwarze“ und „DIE Weissen“ (oder auch umgekehrt) zu manipulieren und kleinere und größere Massen zu bilden, scheint das Ziel.

Eine Manipulation wie diese macht sich nicht bewusst bemerkbar, aber wir werden durch dieses „Wir“ und ein „Ihr“ automatisch gespalten.

Ein „Wir“ bedingt ein „Ihr“, sofern nicht, wie hier in diesem Text, das „Wir“ die gesamte Menschheit gemeint ist. Dieses „Wir“, so die Demagogen, umfasst die Guten, und die Anderen? Die sind die Bösen. Sie müssen in ihren Rechten beschnitten, letztlich weggeräumt werden, denn sie würden unsere Sicherheit gefährden – predigen die Demagogen lautstark und oftmals medial sehr wirksam.

Und trotzdem hatten die Demagogen in den vorigen Jahrzehnten weitestgehend nicht lange eine Chance. Die Volksverführer konnten nicht an Breite gewinnen, weil sie live, und nicht wie jetzt virtuell, vor die Menschen treten mussten, deren Gedankenuniversum noch nicht genügend durchdrungen war mit diesen Ideen. Dadurch wurden sie sofort als Spinner entlarvt, als Menschen, die verrückte Ideen zum Besten zu geben schienen. Und schnell verschwanden sie wieder in der Versenkung.

Was heute zu beobachten ist: Die Botschafter des Wahnsinns sprießen im Internet und können sich schon an abertausenden Anhängern erfreuen. Bald hat sich eine große Gefolgschaft über Facebook & Co. zusammengefunden, noch bevor die Gesamtbevölkerung überhaupt Bescheid davon weiß. Auf Twitter führen sie mit Hashtags wie #Aufschrei, #Brexit, #Impflüge , #IslamIsDanger usw. eine Versammlung für den nötigen Aufmarsch durch. Und mit diesen Mems steuern sie auch die Massen.

Memes sind nichts Neues. Es ist die Macht der Symbole. Die Swasitka, Blut und Boden, das Venussymbol, die Internationale, Halbmond, Kreuz, „das Patriarchat“, „der Kapitalismus“, „unser Land für unsere Leute“, „man hat uns unsere Zukunft geraubt“, all das ist das Material, mit dem verführt wird. Filme, Bilder, Musik, Wort und einfache Sätze, sind bloßes Werkzeug, um in die Gedankenwelt eines unbedarften Menschen einzudringen und weiters einen Keim zu pflanzen, der ein Gefühl von Zusammengehörigkeit verspricht; so werden Gegnern gegenüber auch ein Gefühl von Feindschaft erzeugt. Ein leichtes und erfolgsversprechendes Phänomen.

Wer diese Methodik kennt, kann beliebig Massen bewegen, bis hin zur Teilung der Menschheit in zwei Massen, in Gut und Böse. Es benötigt nur ein gemeinsames Merkmal – und Geburtsmerkmale sind am besten dafür geeignet. Abstammung, Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht. Denn das Prinzip ist schlichtweg Teilung. Die Masse lässt sich so leicht auf eine Person oder eine Gruppe hetzen, und die andere Seite der Masse wird als Bedrohung für die eigene dargestellt. Die eigene Position vermag die Rettung vor der Schädigung der Welt durch die andere zu sein. Aber ohne Teilung funktioniert das Ganze nicht. Massenverführung braucht Abgrenzung. Selbst wenn sie sich, infamerweise, als Weltoffenheit tarnt.

So stellt man sich am Ende als z.B. der/die Rettende des Abendlandes oder als alleiniger Verfechter der Menschenrechte dar. Dabei trägt man oftmals nur dazu bei, eine Gruppe von Menschen zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren. Am Ende aber ist man genauso schutzlos und wird eventuell verfolgt, wie alle aus dieser oder jener definierten Masse.

Es ist die Stunde der Demagogen, männlich, weiblich – egal. Ihr Hauptmedium ist das Internet – die sozialen Medien. Hunderte solcher Massenverführer gibt es bereits, und sie ergötzen sich an ihrer Gefolgschaft. Der Beweis dafür sind die immer zahlreicheren Spaltungen der Gesellschaft in alle Richtungen: Geschlecht, Alter, Herkunft, alles wird zum Gegensatz. Lager werden gebildet und schotten sich ab. Hass auf eine andere Gruppe baut sich auf und wartet darauf, Bahn zu brechen. Einige dieser Menschen, die Massen manipulieren, erkennt man ganz leicht. Andere maskieren sich aber sehr geschickt.

Für ein „Wehret den Anfängen“ ist es aber schon längst zu spät: Wir sind schon mittendrin.

P.S: Und natürlich kann auch dieser Artikel als Verschwörungstheorie interpretiert werden. Also befinden wir uns in einem wahren Lüge-/Wahrheitsdilemma. Wie erkennen wir, ob wir einer paranoiden Vorstellung anheimfallen oder etwas dann doch der Realität entspricht? Das einfachste Mittel ist, selbst die Behauptungen nachzuprüfen, bevor man etwas für sich als richtig anerkennt und weiterverbreitet. Nichts bekämpft Demagogie wirksamer, als dass die Menschen, die verführt werden sollen, die Propaganda als solche erkennen.

Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 102-17049 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

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