„Politische Korrektheit“ – Sprache und Gesellschaft

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Gesellschaft

Unter dem unscharf abgegrenzten Sammelbegriff oder „Schlagwort“ der „politischen Korrektheit“ firmieren seit einigen Jahren eine ganze diffuse Reihe gesellschaftlicher Phänomene und Praktiken, deren Kern und Gemeinsames vielleicht in etwa in der Bemühung um möglichst rücksichtsvollen Umgang miteinander zu fassen ist.

Besonders Sprachäußerungen und kulturell zeichenhafte Äußerungsformen stehen dabei oft im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Wird man an dem zugrundeliegenden Wertefundament dieser Bemühungen – Gleichheit, Freiheit, Menschlichkeit – wenig kritisieren können, so muss es den nüchternen Beobachter doch verwundern, welche heftigen Dynamiken der Polemik – sowohl bei „Befürwortern“ als auch bei „Gegnern“ – diese Debatte entfacht hat, und welch zuweilen rigorose Lagerbildungen.

Das Thema, nicht nur angesichts der wiederholt gehörten und ihrerseits bereits polemischen Frage, „was man denn noch sagen dürfe“, scheint hochaktuell, wie u.a. die jüngste Veröffentlichung des österreichischen Philosophen Robert Pfaller (Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur) und die starke Reaktion des Feuilleton darauf belegen.1 Auch der Schweizer Philosophische Stammtisch des SRF Kultur widmete im letzten Jahr dem womöglichen „Ende der Political Correctness“ einen eigenen Beitrag.2

Wir wollen im Folgenden nicht die Vielzahl der guten Argumente auf beiden „Seiten“ wiederholen, noch diese im Detail kritisch prüfen, sondern versuchen, die Debatte um einige grundsätzlich-strukturelle Klärungen möglichst wertfrei zu erweitern, um gleichsam ein Fundament zu schaffen, von dem aus die Verständigung im Einzelnen womöglich leichter fallen wird. Dieser erste Teil meiner Serie zur „politischen Korrektheit“ beschäftigt sich mit der grundsätzlichen Beziehung zwischen Gesellschaft und Sprache.

Es besteht nun kein Zweifel, dass die gesellschaftliche Realität und Praxis sowie die Praxis ihrer Sprach- bzw. allgemeiner „Äußerungskonventionen“ miteinander in Verbindung, genauer, in Wechselwirkung stehen.

Von Nietzsche über Foucault bis in die jüngste Zeit wurden diese Redeweisen zumeist als Manifestationen der gesellschaftlichen Machtstrukturen gedeutet, die es, ergo, zuerst sichtbar zu machen und ferner möglicherweise aufzubrechen galt. Das ist freilich ein wichtiger Punkt.

Ganz grundsätzlich aber gilt: dass sich die (sozialen) Strukturen einer Gesellschaft in deren Sprachpraktiken manifestieren, ebenso wie diese Sprachmanifestationen wieder auf die gesellschaftlichen Realitäten in der einen oder anderen Weise zurückwirken.

Sprache entsteht, wie alle Konvention (wörtlich von lat. conventio: „Übereinkunft“, „Zusammenkunft“) und Kultur, aus der lebendigen Kommunikation der beteiligten Individuen bzw. ihrer ausdrücklichen oder zumeist unausdrücklichen Verhandlung über die Bedingungen dieser Kommunikation überhaupt (Metakommunikation).3

Wir können uns das ganz einfach und archetypisch (also ursprünglich) vorstellen: Zwei Menschen treffen aufeinander und finden vor sich ein „Ding“, für das sie keine Bezeichnung haben – und nach einigem Hin und Her vielleicht oder Verständigungsproblemen gar einigen sie sich auf eine Bezeichnung, beispielsweise „Vogel“, die sie beide fernerhin verstehen und verwenden werden. So ist eine Sprachkonvention geschaffen worden, die ihnen Verständigung ermöglicht, die aber, wenn sie gesellschaftlich anschlussfähig ist, beispielsweise erstmal funktional, auch von anderen Teilnehmern der Sprachgemeinschaft übernommen werden kann. Dadurch und durch je neue Vereinbarungen der Ausdruckskonventionen reichert sich diese Sprache im Laufe der Zeit immer mehr an, wird gegebenenfalls modifiziert und wird zunehmend komplexer.

Es ist nämlich so, freilich, dass einmal gesetzte sprachliche Übereinkünfte der Sprachgemeinschaft nun objekthaft gegenüberstehen und zunächst „blind“ gelernt und zur Verständigung „einfach“ gebraucht, aber bei sich ändernden gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen an diesen Ausdrucksbestand auch wieder verändert werden können.

Wir werden, offensichtlicherweise, nicht in ein Sprachvakuum (oder Kulturvakuum) hineingeboren, worin wir alles stets von Neuem aushandeln müssen, sondern immer bereits in ein bestehendes und über Jahrhunderte aus der Kommunikation der Sprachgemeinschaft heraus gleichsam lebendig organisch gewachsenes Sprachsystem mit seinen vielfältigen Bedeutungen und historisch angereicherten und oft auch wertenden Bedeutungskonnotationen („Mitbedeutungen“).

Und wie zu dem Gegenüber, mit dem wir uns verständigen wollen, so stehen wir auch in einer lebendigen Beziehung zu dem uns bereits gegebenen Sprachmaterial – immer hinsichtlich der Frage, ob unsere Art des Ausdrucks und unser Gebrauch des Sprachbestands, wie dieser selbst, auch angemessen seien. Wir können uns dementsprechend ein lebendiges Bezugsdreieck vorstellen.

Wenn wir nun begreifen, wie durch die historische Gewachsenheit und auch die kulturhistorisch bedingten Veränderungen oder Anreicherungen verschiedener Wörter und Bedeutungen Wertungen entstehen, so verstehen wir genauso das grundsätzliche Anliegen eines bewussten und reflektierten Umgangs mit diesem Sprachbestand.

So ist die von dem harmlosen und recht neutralen Wort negris, lateinisch für schwarz, abstammende Bezeichnung Neger beispielsweise aufgrund ihrer historisch menschenfeindlichen Bedeutungsanreicherung heutzutage in unserer Gesellschaft gewöhnlich unangemessen, wenn nicht gar beleidigend oder inakzeptabel.

Wir wollen an dieser Stelle nicht die Konsequenzen des Umgangs mit dem Sprachbestand im Einzelnen erörtern, sondern zuerst ein Verständnis schaffen für die zugrundeliegenden Dynamiken. Es dürfte hinreichend klar geworden sein, wie die gesellschaftlichen Strukturen und Wertungen auch den gebrauchten Sprachbestand formen und über die Zeit mit Bedeutungen anreichern, und dass diese Bedeutungen wie womöglich auch der Sprachbestand selbst deswegen stets neu und dynamisch von der jeweiligen Gesellschaft auszuhandeln sind: nämlich, ob die jeweiligen Arten des Ausdrucks je noch aktuell und angemessen seien.

Ebenso klar aber wird, besonders bei offensichtlich herabsetzenden Äußerungsformen, dass dieser Sprachbestand, dieses komplexe Konglomerat von Wörtern und Bedeutungsnuancen auch psychologisch auf die Sprachgemeinschaft und ihr Unbewusstes sehr wohl zurückzuwirken vermag – und darüber womöglich auch auf die gesellschaftliche Realität, auf Wertschätzungen und Handlungen, und dass es zumindest unbewusst und interpersonal (d.h. in der Verständigung untereinander) eben sehr wohl einen Unterschied macht, ob ich vom Essen oder Fressen, von einem Köter (etymologisch von Kot) oder von einem Hund, von einem Tier oder vom bereits verdinglichten Vieh, vom Weib, von einer Dame oder einer Frau spreche. Denn es ist je eine ganz anders verstandene und verstehbare Mitteilung darin.

Nächstens mehr.

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1 Beispielsweise die Besprechungen (in urteilsfreier Reihenfolge) in Deutschlandfunk: http://www.deutschlandfunk.de/robert-pfaller-erwachsenensprache-wie-waer-s-mal-mit.700.de.html?dram:article_id=407310 , Deutschlandfunk Kultur: http://www.deutschlandfunkkultur.de/robert-pfaller-erwachsenensprache-eine-leicht-paranoide.1270.de.html?dram:article_id=408162 , der Süddeutschen Zeitung: http://www.sueddeutsche.de/kultur/sachbuch-erwachsenensprache-wenn-ein-philosoph-zur-kritik-ausholt-1.3821264 , im österreichischen Standard: https://www.derstandard.de/story/2000072172862/der-terror-der-tugendboldinnen oder der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/robert-pfaller-wettert-gegen-political-correctness-15353521.html

2 https://www.youtube.com/watch?v=QTOpNYePK5w

3 Vgl. hierzu die bahnbrechenden Studien zur Reflexionslogik des Sozialen von Johannes Heinrichs, bes. Logik des Sozialen. Woraus Gesellschaft entsteht (2005) oder Integrale Philosophie (2014), Kap. 3.

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