Prometheus‘ Trost – Das grüne Band

Das grüne Band
Gesellschaft

Veranstaltungsdaten

Datum
31. 10. 2016
Veranstalter
Finnisches Ministerium für Landwirtschaft & Umwelt & Euro Natur sowie European Greenbelt Association
Ort
Koli Conference Centre im Koli National Park: Address: Ylä-Kolintie 39, 83960 Koli (Lieksa), Finland
Veranstaltungsart
Konferenz
Teilnehmer
Kimmo Tiilikainen, Minister of Agriculture and Environment (video)
Risto Poutianen, Regional Mayor, Regional Council of the North Karelia
Timo Tanninen, Executive Director, Parks and Wildlife Finland
Alexander Kryshen, Vice-president, Karelian Research Centre RAS
Bjorn Arne Naess, Norwegian Environment Agency
Gabriel Schwaderer, Executive Director, EuroNatur; Chair of the European Green Belt Association
Dr. Uwe Riecken, Head of Department, Biotope Protection and Landscape Ecology, German Federal Agency for Nature Conservation (BfN)
Stefan Leiner, Head of Biodiversity Unit, DG Environment, European Commission

So saßen wir also an einem Dienstag Spätnachmittag im November im Wirtshaus Alpha am ‚Platz des Friedens‘ (vormals ‚Kaiserplatz‘, dann ‚Platz der Republik‘, gefolgt von ‚Hitler Platz‘…) in einer kleinen Stadt nahe der Grenze, und arbeiteten konzentriert, in politische Diskussionen vertieft, an der ehrenvollen Fortführung heimatlicher Bierkultur.

Der Förster, der Feuerwehrmann, eine paar Lkw-Fahrer, Metaller, Tischler, Pensionisten, professionelle Trinker, eine Handvoll Sozialfälle und einige kleine Hunde. Wenige Damen. Es ist davon auszugehen, dass sie bei der Vorbereitung der Abendessen waren – mit Ausnahme der Schwerstarbeit leistenden Kellnerin. Sie sah man verschwommen durch die Rauchschwaden fegen, immer zur Stelle, wenn ein geleertes Glas der Aufmerksamkeit bedurfte oder ein im Feuer der verbalen Gefechte umgestürztes Getränk den Tisch zu überfluten drohte.

Die Themen waren, wie mir scheint überall, wo man die Freude hat, dem ‚einfachen Volk‘ zu begegnen, hauptsächlich mit Beschwerden über die Bösartigkeit der Welt besät: Das unfaire Wirtschaftssystem, die vermeintliche Tatsache, dass Politiker verbrecherische Untermenschen sind, in ihrer Perfidie nur knapp übertroffen von muslimischen Mitbürgern bzw. jeglichen Ortsfremden, vor allem, wenn diese schon rein optisch nicht der Gewohnheit entsprechen.

Ab und zu ein kleiner Witz über gleichgeschlechtliche Liebe (begleitet von augenzwinkernden Begrapschungen der Tischnachbarn, zur Untermalung, rein freundschaftlich natürlich), und/oder die Schwächen der Frauen, ‚Studierte‘, Juden (ja, noch immer), und … Zigeuner. Jeder weiß natürlich alles, darf seine Meinung grölen und sich bis zum finalen Abwinken zuschütten. Die Freiheit wird man ja wohl noch in Anspruch nehmen dürfen, wenn schon die Frau Merkel und ihre Vasallen in Brüssel einem das Leben vermiesen. Also, keine Überraschungen hier für den passionierten Volksbeobachter.

Um der Tragikomödie eine kleine Wendung zu geben, warf ich nonchalant einen Trinkspruch zur Erinnerung an den 100. Todestag des letzten Kaisers ein – und erntete überraschend milde Kritik. Also ließ ich noch einen kleinen Satz über den Klimawandel fallen, und … patsch, der hat gesessen. Die Wogen schlugen hoch, ich habe mich als von den Linksmedien verblendeter Idiot entblößt und musste sofort eine Runde zahlen, damit der frühe Abend nicht völlig aus dem Ruder lief. Beim Förster entzündete sich aber ein Lichtlein des Interesses, und im Prosten fragte er:

Warst Du nicht gerade auf so einer Öko-Konferenz?

Ja, also…

Als sich vor mittlerweile 28 Jahren der Eiserne Vorhang aufzulösen begann, konnten nach fast vier Dekaden zum ersten Mal Zivilisten wieder das mit Mauern, elektrifiziertem Stacheldraht, Soldaten und Hundestaffeln bewehrte, teils verminte, Sperrgebiet betreten. Ornithologen hatten aus der Ferne schon in den Jahren davor faszinierende Beobachtungen über vom Aussterben bedrohte Spezies gemacht, die offensichtlich in der Todeszone zwischen Ost und Westeuropa einen Platz für ein ungestörtes Leben gefunden hatten.

Die nähere Erforschung zeigte schnell, dass sich dieser über 12.500 Kilometer lange, zwischen wenigen Metern bis mehrere Kilometer lange Streifen unbeabsichtigt in eines der artenreichsten Gebiete der Erde verwandelt hatte. Wie sollte man, da sich die Geschichte fundamental geändert hatte, nun mit dem Eisernen Vorhang umgehen? Wie dieses ‚Grüne Band‘, den ökologischen Schatz bewahren, beziehungsweise verantwortlich gemeinsam nutzen?

Es entstand, motiviert durch ein improvisiertes Treffen ost- und westdeutscher Ökologen auf einer Autobahnraststätte eine Bewegung, die sich unter dem Titel: ‚Das Grüne Band Europa – Grenzen trennen, Natur vereint‘ seither darum bemüht. Also ein Grünes Band, voll des Lebens. Heute besteht die ‚European Green Belt Initiative‘ aus staatlichen Organisationen und NGOs, die 24 Länder repräsentieren, durch alle Klimazonen, vom äußersten Norden Finnlands und Norwegens, bis zum Schwarzen Meer und der südlichen Adria.

http://www.europeangreenbelt.org/

Anfang November dieses Jahres fand die Neunte Paneuropäische Konferenz des EGB in Koli/Finnland statt. Und als Gründungsmitglied der 2014 in Slavonice/CZ neu gegründeten EGB Assoziation war unsere Organisation eingeladen, die Umsetzung zukünftiger Projekte zu planen. So fand ich mich dann in einem Konferenzsaal wieder, nahe des Gipfels des Berges Koli, einem Nationalheiligtum der Finnen, inmitten der Vertreter verschiedenster Organisationen aus 28 Ländern.

Der finnische Herbst war recht freundlich zu uns. Es schneite nur zärtlich, und trotz des späten Morgenrots bzw. des frühen Abenddunkels so relativ nah am Polarkreis, war die Stimmung großteils gelöst – und auf die Arbeit konzentriert. Heftige Themen standen an, inhaltlich und technisch anspruchsvoll. Der Naturschutz ist eine heikle und diffizile Sache. So viele Interessen sind involviert, und in wirtschaftlich prekären Zeiten umso mehr.

Arbeitsgruppe für Arbeitsgruppe mühten sich, in ihrem jeweiligen Themenbereich Konsensus zu finden und ein Resultat zu präsentieren, dessen Umsetzung relevante Ergebnisse für alle Beteiligten, das heißt in letzter Konsequenz, für alle Lebewesen assoziiert mit dem betroffenen Gebiet, bringt.

Nach getaner Arbeit kam es zur Aufstellung zum obligatorischen Gruppenbild. Während der Photograph sich um die entsprechende Positionierung der über 120 Beteiligten bemühte, sah ich mich um:

green-belt-Gruppenfoto

Da stand die Repräsentantin von Albanien neben dem Kollegen aus dem Kosovo, die Serben arrangierten sich mit den Bulgaren, Ungarn, und Kroaten zwischen den Klappsesseln, die russische Delegation verhandelte lachend ihre Position mit den Finnen und Norwegern, die Deutschen winkten den Tschechen über die Köpfe der Italiener hinweg zu, diese organisierten sich mit den Slowenen und Slowaken, die wiederum machten Platz für die Esten und Letten, und die Vertreterin der Türkei wurde mit Hilfe der Polen zwischen den Mazedoniern und Griechen positioniert.

Diese wiederum räumten den Rumänen freundlich Platz ein, und die Österreicher kamen irgendwo in der Mitte zu stehen. Einer Beobachterin aus Großbritannien musste man noch Platz machen, und ein Gast aus Pakistan kam auch noch dazu.

Am Abend dann, in der Sauna (in Finnland trägt man dort unter ‚Fremden‘ Badekleidung …), trafen wir uns (fast) alle wieder. In Einzelgesprächen, in kleinen Gruppen, schwitzend, essend, trinkend und manchmal singend wurden die Themen nochmal durchgegangen, oder auch etwas ganz anderes.

Bei den meisten glaubte ich auch, eine gewisse Rührung spüren zu können, darüber, dass so etwas überhaupt möglich war.

Frisches Bier materialisierte vor dem Förster und mir, ein freundlich Betrunkener wollte uns umarmen, das Gasthaus in der kleinen Stadt an der Grenze versank in immer dichteren Rauchschwaden.

Willst Du damit irgendwas sagen?

fragte der Förster mit einem verschmitzten Lächeln.

Aber klar doch: „Na zdraví“ … auf die Gesundheit.

Credits

Image Title Autor License
Das grüne Band Das grüne Band Alexander Stipsits CC BY_SA 4.0
green-belt-Gruppenfoto green-belt-Gruppenfoto Alexander Stipsits CC BY-SA 4.0