Skandal um Rosi

LebensweltenPädagogik neu gedacht

Leser der Generation X, die so wie ich bei „Skandal um Rosi“ an das Lied der Spider Murphy Gang denken, das zur Zeit der Neuen Deutschen Welle in den Radios und Lokalen rauf und runter gespielt wurde, werden enttäuscht sein. Mit dem Song aus meiner Jugend hat nämlich die Rosi, die in diesem Beitrag gemeint ist, nichts zu tun. Sie ist eine bulgarische Sexarbeiterin, die in Berlin Mitte lebt und arbeitet und die Protagonistin des Kinderbuchs „Rosi sucht Geld“ von Antia Staud. Das Buch, das in den Jahren 2011 und 2012 entstanden und 2013 erschienen ist, richtet sich an die Altersgruppe der 6-12jährigen, denen darin erklärt wird, was Prostituierte und Sexarbeiterinnen sind bzw was sie beruflich tun. Das Berliner Bezirksamt Mitte möchte mit dieser von der Stadt finanzierten Geschichte Eltern und Großeltern unterstützen, die richtigen Antworten zu finden, wenn Kinder, die tagsüber mit ihren Eltern in der Region Kurfürstenkiez unterwegs sind, Fragen zu leicht bekleideten Damen vom Straßenstrich stellen.


Ein Blick ins Buch

Das syrisch-stämmige Mädchen Maryam und sein deutscher Freund Martin wohnen unweit voneinander entfernt und verbringen ihre Freizeit gerne auf dem Platz vor der Kirche nahe der Kurfürstenstraße. Dort sehen sie regelmäßig Frauen, von denen ihre Eltern sagen, sie suchten Geld. Maryam und Martin mögen es, auf der Bank vor der Kirche zu sitzen, denn „da gibt es immer viel zu sehen“. Damit meinen die Kinder, dass sie es spannend finden, die Absprachen und Verhandlungen zwischen Autofahrern und Frauen wie Rosi zu beobachten.

Die dazu passende Abbildung im Buch auf der Seite 13 zeigt eine kleine Gruppe von Frauen im Hintergrund, deren bodenlange Kleidung und verschleierten Gesichter auf einen muslimischen Hintergrund schließen lassen, während sich sexuell anregend gekleidete Frauen im Vordergrund auf dem Straßenstrich anbieten. Eine von ihnen verhandelt durch das Autofenster mit einem Freier.

Rosi arbeitet wieder

Der Text auf Seite 20 erklärt näher: „Sie ist auch eine von den Frauen auf der Strasse. Sie nennt es Arbeit, wenn sie mit einem Auto wegfährt. In dem Auto sitzen immer Männer. Manche in einem Mercedes, manche in einem Polo. Die einen mit grauen Anzügen, die anderen mit Jeans.“

Martins und Maryams Eltern möchten nicht, dass die Kinder mit Rosi sprechen. Deshalb empfinden sie es als ihr „Abenteuer“, wenn sie Rosi ansprechen. Die heimlichen Gespräche zwischen dem kleinen dunkelhaarigen Mädchen, ihrem etwas älteren Freund und der Sexarbeiterin werden auf Seite 23 graphisch unterstützt.

Jenes Bild hat der Schweizer Tagesanzeiger für seinen Beitrag ausgewählt. Rosi trägt dabei ein grünes Kleid aus durchsichtigem Stoff, darunter nichts.

Rosi arbeitet nicht nur auf der Straße, sondern auch in einem Café. Auch das nennt sie Arbeit, heißt es. Für Kinder der Zielgruppe, also 6-12 Jahre, wird beides, das Abräumen von Tischen und das Einsteigen zu Männern in Autos als Arbeit erklärt. Worin liegt der Unterschied?

Was ist denn ‚Liebe‘?

Martin und Maryam wissen, dass das, was Rosi für Geld macht und das, was Mama und Papa zu Hause machen, etwas anderes ist, auch wenn die Erwachsenen beides Liebe nennen. Die dazu passende Abbildung auf Seite 37 zeigt ein Ehepaar auf der Couch, das sich im Fernsehen einen Sexfilm ansieht.

Maryam versteht, dass Sex Liebe machen ohne Liebe ist und hält das für „Quatsch“. Als die Kinder Rosi genau darauf ansprechen, antwortet sie: „Was das mit Liebe und Sex auf sich hat, wollt ihr wissen? Was glaubt ihr denn! Alle tun so, als ob Liebe und Sex immer dasselbe ist. Die Männer sagen das bei mir und zu Hause bei ihren Frauen. Manchmal ist aber die Liebe weg. Oder der Sex. Deshalb wollen meine Kunden einfach nur mit mir reden und geben mir dafür auch Geld.“

Was denkt ein Kind bis 12 Jahre, wenn es hört, dass die Frauen auf der Straße Geld dafür bekommen, wenn sie in das Auto eines Fremden einsteigen, der einfach nur mit ihnen reden will? Leiten sie davon ab, dass man auf diese Weise leicht Geld verdienen kann? Vielleicht das Taschengeld aufbessern?

Ein paar Mal rein und ein paar Mal raus

So bagatellisiert Rosi weiter, was zwischen ihr und den Männern passiert. Mehr als ein paar Mal den Penis reinstecken und rausziehen, sei gar nicht dran an der Sache. Die dazu passende Zeichnung auf Seite 45 zeigt einen Mann, der eine Frau mit seinem erigierten Penis penetriert. Ihr Gesichtsausdruck kann von Erwachsenen als lustvoll gedeutet werden, unerfahrene Kinder sehen darin vermutlich eher einen Ausdruck von Schmerz oder Angst.

Die Abbildung hat mit den romantischen Vorstellungen von Kindern darüber, was Männern und Frauen tun, wenn sie Liebe machen, nichts zu tun. Damit die Kinder sich die Informationen gut einprägen, gibt es auf Seite 52 dazu eine zusammenfassende Erklärung:

„Und wir wissen jetzt: Wenn Rosi auf der Strasse arbeitet, ist sie eine Prostituierte. Die Männer, zu denen sie ins Auto steigt, nennt man Freier. Ansonsten sind sie Väter, Nachbarn oder Kollegen. Ein Straßenstrich ist dort, wo viele Prostituierte stehen.“

Ansonsten sind sie Väter, Nachbarn oder Kollegen.

Ach so, Väter. Klar, warum nicht – alles ganz normal. Gut zu wissen, dass sich auch der eigene Vater regelmäßig mit Frauen wie Rosi trifft und sie in sein Auto bittet und dass er mit ihnen Liebe macht und mit Mama zu Hause auch. Und dass das auch die Nachbarn und die Kollegen so machen (Ironie Ende).

Weil es auch heute noch Eltern gäbe, denen das Thema Sexualität oder Prostitution peinlich sei und Kinder besser aufgeklärt werden müssen, war das Buch eine Handreichung für Eltern in Berlin, deren Kinder Fragen zu Straßensexarbeit in Tiergarten und Schöneberg haben, so die Erklärung, die Correctiv dazu veröffentlichte.

Man verzeihe mir meine naive Frage: Ist es nicht für Eltern eine deutlich schwierigere Aufgabe, nach der gemeinsamen Lektüre dieses Buches seinem Kind zu erklären, warum Papa sowas macht (oder vielleicht doch nicht macht) – die Nachbarn und Kollegen aber offenbar auch oder schon, als dem Kind zu erklären, worin die Arbeit von Prostituierten besteht?

Warum kommt die Aufregung mit 10 Jahren Verspätung?

Eltern, die den Inhalt des Buchs zum Schutz ihrer Kinder schon 2013 und in den Folgejahren beanstandet hatten, blieben ungehört. Ihre Reichweite war nicht groß genug und die Stadtbürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger, argumentierte damit, dass das Buch „ausschließlich an Erwachsene ausgegeben [wurde], die selbst entschieden, wie und ob sie es verwenden wollen.“

Als aber Isabel Rohner und Regula Staempli vom feministischen Podcast „Die Podcastin“ das Buch, das damals mit Mitteln aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung entstanden war, im Herbst 2023 kritisierten, wurde ein Shitstorm in Social Media Plattformen losgetreten. Nein, nicht um den Schutz der Kinder zu gewährleisten oder weil viele Eltern, das, was in dem Buch präsentiert wird, nicht als altersgerecht empfinden, sondern weil es Prostitution romantisch verklärt und die „harte Realität auf dem Berliner Straßenstrich – Frauen werden teilweise ausgebeutet und körperlich angegriffen – verharmlost“. Und das auch noch von der Gleichstellungsbeauftragten, Kerstin Drobick, die nun infolgedessen die Internetseite zum Thema Prostitution überarbeiten lässt.

Das Buch steht derzeit nicht mehr für den innerfamiliären Aufklärungsunterricht über Sexarbeit zur Verfügung – Gott lob! Es steht allerdings einzig deshalb nicht mehr zur Verfügung, weil es den Anforderungen feministischer Perspektive auf die Aufgaben von Sexarbeiterinnen nicht entspricht.

Also nicht deshalb, weil die Inhalte nicht kindgerecht sind.
Nicht deshalb, weil es Kinder erschrecken und überfordern könnte.
Nicht deshalb, weil unserem Nachwuchs ein falsches Bild von Liebe aufgezeigt wird. Nicht deshalb, weil die Illustrationen jegliche Grenze überschreiten, die in einem Kinderbuch akzeptabel wäre.
Nicht deshalb, weil unsere Kinder geschützt werden müssen.

Nein, wieder einmal geht es nicht um unsere Kinder.
Und ich frage mich immer häufiger: „Warum nicht?“

Warum passiert nichts, obwohl wir fast täglich Meldungen von sexuellem Missbrauch von Kindern in den Medien sehen. Hier nur die Einträge der letzten Tage im deutschsprachigen Raum:

Meinem Empfinden nach ist ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr in der Macht der Familien liegt, ihre Kinder zu schützen. Es muss wieder eine klare Linie und einen einheitlichen Vorgang im Umgang mit Tätern geben sowie tatsächliche Strafen für Menschen, die sich an Minderjährigen vergehen, anstatt bedingte Urteile und übermäßiges Verständnis für Vergewaltiger. Es kann nicht mehr angehen, dass der Umgang mit Sexualdelikten politisch gefärbt ist, denn der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen hat nichts mit rechts oder links zu tun, sondern einzig mit richtig oder falsch. Physische und psychische Unversehrtheit jedes Menschen muss eine Selbstverständlichkeit sein. Niemand hat das Recht dagegen zu verstoßen, aber wenn, hat er die gesetzliche Konsequenzen dafür zu tragen ohne Wenn und Aber.

Credits

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PNG – 023-DE-PC Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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