Über Albaniens Wahlkampfdrama mit Happy End

Über Albaniens Wahlkampfdrama mit Happy End
Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
13. 6. 2017
Veranstalter
Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und Karl-Renner-Institut sowie die Politische Akademie der ÖVP
Ort
Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 Wien
Veranstaltungsart
Vortrag
Teilnehmer
Robert Pichler, Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien
Ujbien Shehu, Social Identiy Research
Adelheid Wölfl, Balkankorrespondentin für die Zeitung "Standard"

Am Dienstag, den 13. Juni, war ich zu Gast bei dem Vortrag über die politische und wirtschaftliche Situation in Albanien. Vortragende waren Adelheid Wölfl, die als Korrespondentin über den Balkan für den „Standard“ tätig ist, außerdem Dr. Ujbien Shehu, selbst Albaner, der über soziale Identität  forscht, und Dr. Robert Pichler, der am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien lehrt.

Den Anfang machte Adelheid Wölfl mit der Aussage, dass die Demokratische Partei Albaniens schon seit Monaten die Parlamentswahlen boykottiere und seit den ersten freien Wahlen im Jahr 1991 nicht an den Wahlen teilnehmen wolle. Sämtliche Versuche der EU und der USA, die Demokratische Partei (DP) zu überzeugen, sich nicht aus dem Spiel herauszunehmen, seien bis dato erfolglos geblieben.

Der DP wurde angeboten, vor der Wahl noch vier Minister zu bestimmen, den Ombudsmann und den Chef der Wahlkommission zu bestellen und die Polizeidirektoren der Verwaltungseinheiten auszusuchen. Doch nichts sei passiert. Offiziell verlange die DP, dass Premier Edi Rama zurücktritt und eine All-Parteien-Regierung eingesetzt werde. Sie verweist auf das Geld durch den immens zunehmenden illegalen Cannabisanbau. Hinter dem Boykott stecke der Parteigründer Sali Berisha, der nach wie vor Lulzim Basha, den derzeitigen Vorsitzenden, und die Partei selbst dirigiert.

Konkret gehe es um jene Überprüfungskommission, deren gesetzliche Grundlage nun vom Parlament bestätigt werden müsse, und die die korruptesten Richter und Staatsanwälte aus dem Justizapparat entfernen soll. Die Beweislast soll beim Verdächtigen liegen. Wenn dieser sein Vermögen nicht erklären könne, werde er entlassen. Etwa zwanzig Staatsanwälte und Richter sollen Millionen von Euro besitzen. Doch wegen des Parlamentsboykotts der Opposition gehe nichts weiter.

Widerstand komme nun nicht nur von der DP, sondern auch von der kleinen Koalitionspartei „Sozialistische Bewegung für Integration„. In der Zwischenzeit gebe es aber Überlegungen, ob die Überprüfungskommission auch ohne Beteiligung der Demokratischen Partei formiert werden könnte.

Die USA und die EU würden aber das Wahlergebnis trotz des Boykotts der DP akzeptieren. Es sei auch davon auszugehen, dass die bisherige Koalition zwischen Sozialisten und der Sozialistischen Bewegung für Integration weitergehe. Denn der Chef der Sozialistischen Bewegung für Integration, Ilir Meta, ließ sich kürzlich mit der Hilfe der Sozialisten zum Staatspräsident wählen.

Man wollte der Opposition trotzdem die Möglichkeit geben, dass die Wahlen fair sind. Diese Diskussion sei deswegen im Gange, da immer noch Druck auf alle staatlichen Bediensteten gemachte werde, Wahlkampf zu betreiben. Mittlerweile habe sich die Situation ein wenig gebessert, da nun Arbeitsgruppen gegen Wahlzwang eingesetzt werden und man keine Mobiltelefone in die Wahlkabinen mitnehmen dürfe, damit man den Wahlzettel nicht fotografieren könne.

Hier endete Wölfl und übergab an Shehu, der über die Themen des Wahlkampfes in Albanien berichtete. Er meinte, dass Basha auf seine Erfahrungen aus dem Westen verweise, da er in den Niederlanden Rechtswissenschaften studierte. Rama setze dagegen auf die Kontinuität seiner bisherigen Reformen. Er thematisiert die Korruption, unterschiedliche Konzepte der Wirtschaftspolitik und verspricht die Fortsetzung des Integrationsprozesses sowie die Reformierung des Staatsapparates.

Dass über Wirtschaft gesprochen werde, sei außerdem eine Neuheit – ob dieses Thema populär werde, sei noch fraglich.

Da nun seit der Regierung von Rama vor allem Kleinunternehmen von der neuen Steuerabgabe von fünf Prozent betroffen seien, verspreche Basha, diese auf 1,5 Prozent herunterzusetzen. Seit der Einführung der Steuerabgabe für Unternehmen sind 30 000 Kleinunternehmen insolvent geworden.

Basha verspricht außerdem die Übernahme der Energiekosten und eine All-Parteien-Regierung. Die Kleinparteien hätten zudem auch Angst, da sie um eine Reform fürchten, die ihnen den Einstieg ins Parlament erschweren könnte. Es sei interessant, dass keine TV-Konfrontationen in Albanien geführt werden, da diese dort als unseriös gelten.

Shehu fokussierte sich nun auf die bisherigen Errungenschaften der sozialistischen Edi-Rama-Regierung. Er habe die höchste Frauenrate in der derzeitig eingesetzten Regierung vorzuweisen, konnte den Tourismussektor attraktiver gestalten und den Bildungssektor reformieren. Dazu habe er für einen Ausbau der Infrastruktur gesorgt sowie die Zusammenarbeit mit der EU verbessert. Was er dagegen vernachlässigt habe, war die Bekämpfung der Korruption.

Zwar habe Rama vor einiger Zeit eine groß angelegte Razzia im größten Anbauort von Cannabis durchgeführt, jedoch habe sich das Problem nur verlagert. Viele Familien leben vom Cannabisanbau, der deswegen derzeit mehr oder weniger toleriert werde.

In der Diskussion um Korruption sei daher auch die Existenzfrage im Spiel. Dazu kommt, dass im Besonderen das Gerichtssystem korrupt sei. So werden etwa korrupte Richter durch die Richtervereinigung verteidigt.

Dieses System sei dadurch entstanden, dass nach dem Fall der kommunistischen Regierung Menschen nach einem sechs Monate langen Kurs zum Richter ernannt werden konnten. Diese seien immer noch im System fest verankert. Aufgrund all dieser Schwierigkeiten haben Befragungen vor einem Jahr gezeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung überlegt, ins Ausland zu emigrieren. In jedem Fall habe aber jeder trotzdem große Erwartungen an die Wahlen.

Hier gab Pichler einen Stimmungsbericht über seine Reisen nach Albanien im Februar. Er war vorwiegend in Küstengebieten und in Dörfern Albaniens unterwegs und sprach dort mit der Bevölkerung. Ihm fiel auf, dass nahezu jede Familie Verwandte in anderen Ländern hatte, etwa in Deutschland oder Italien. Speziell die Menschen mit guter Ausbildung würden dazu neigen, ins Ausland zu gehen, durch die Wirtschaftskrise in den Nachbarländern Griechenland und Italien seien aber viele Albaner zurückgekehrt.

Es halten sich aber immer noch bis zu 1,6 Millionen Albaner im Ausland auf. Da im Bereich Pflege die Jobs schlecht bezahlt seien, gingen vor allem in diesem Bereich ausgebildete Frauen ins Ausland, um ihre Familien zu erhalten. Das Solidaritätsnetzwerk der Familien sei in Albanien trotz weiter Entfernungen sehr stabil, und die Albaner würden für dessen Pflege exzessiv die Sozialen Medien  nützen. Große soziale Unterschiede gäbe es zwischen Auslandsfamilien, die es geschafft, und Familien, die im Ausland keine Arbeit gefunden hätten.

An den Küsten falle einem die hohe Anzahl an Hotelanlagen auf. Edi Rama habe im Zuge seiner Verwaltungsreform die lokalen Verwaltungen mit Geld ausgestattet, damit diese lokale Bauprojekte umsetzen können. Jedoch sei die Planung und die Koordination mit den EU-Geldern nicht so ausgeklügelt, womit viele Bauprojekte noch nicht vollständig abgeschlossen seien.

Allgemein erlebe die Bevölkerung jedoch, dass der Staat wieder Ordnung herstellen will, und die jungen, gebildeten Menschen seien von Rama überzeugt, da sie ähnliche Staatsstrukturen schon in Europa vorgefunden hätten.

Hier beendete Pichler den Vortrag, und das Podium bedankte sich beim Publikum für dessen Erscheinen.

Nachtrag aufgrund meiner Recherchen:

Mittlerweile ist die Justizreform schon erfolgreich verabschiedet worden, was in einem ersten Schritt die Einrichtung einer unabhängigen Prüfkommission bedeutet, die die rund 800 Richter und Staatsanwälte im Land auf ihre fachliche und persönliche Eignung hin durchleuchten soll. Ein heikles Unterfangen, denn viele Staatsbedienstete im Justizbereich gelten als korrupt und haben sich ihre Posten mit Schmiergeldern erkauft. Das hat 2015 sogar eine parlamentarische Sonderkommission erstmals offiziell bestätigt. Demnach sollen sich zahlreiche Richter ihre Stellen mit jeweils bis zu 300.000 Euro beim Obersten Rat der Justiz erkauft haben, dessen Vorsitzender der albanische Staatspräsident ist.

Nun hat auch die DP angekündigt, doch an der Wahl teilzunehmen. Bei den vorangegangenen Gesprächen zwischen Premier Rama und dem Chef der DP, Basha, wurde zudem die Bildung einer Allparteienregierung vereinbart, in der die Opposition das Amt des stellvertretenden Regierungschefs sowie vier wichtige Ministerien übernehmen soll. Bei den Verhandlungen hatten Vertreter der EU und des amerikanischen Außenministeriums eine wichtige Vermittlerrolle eingenommen.

Credits

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Über Albaniens Wahlkampfdrama mit Happy End Über Albaniens Wahlkampfdrama mit Happy End Patryk Kopaczynski CC BY-SA 4.0