Wir alle – im Gespräch mit Ruth Wodak, Herbert Weltler, Renée Schroeder und Walter Ötsch

Gesellschaft

Im Mittelpunkt dieser Online-Veranstaltung des BSA steht die Initiative Wir alle, deren ProponentInnen sich für den gesellschaftlichen Dialog und ein Ende der gegenseitigen Ausgrenzung einsetzen.

Die Biochemikerin und Mitbegründerin dieser Initiative Univ.-Prof. Dr. Renée Schroeder hat es sich seit dem Gentechnik-Volksbegehren Ende der 90er-Jahre zur Aufgabe gemacht, mit den Menschen zu reden anstatt von oben herab Dinge zu erklären. Es sei wichtig, die oft komplexen Grundsätze der Wissenschaft in einfacher Sprache weiterzuvermitteln. Sie sei überrascht, wie viele faktenlose Alternativen und Verschwörungstheorien es rund um die Coronaimpfung gibt. Die Idee für diese Initiative stammt von Hannes Werthner, der erkannte, dass die Mehrheit der Österreicher vernunftorientiert ist und nur eine laute Minderheit sich dieser verschließt.

Die Renationalisierung in der ersten Coronawelle, als jedes Land nur noch seine eigenen Interessen verfolgte, und die katastrophale Krisenkommunikation der Regierung haben die Sprachsoziologin Univ.-Prof- Dr. Ruth Wodak erschüttert, weshalb sie sofort dazu bereit war, bei dieser Initiative mitzumachen. Die Solidarität, die sich zu Beginn zeigte, wurde von der Politik immer mehr instrumentalisiert: Gesundheit wurde politisiert, anstatt sachlich fundiert darüber zu diskutieren. Laut ihren Untersuchungen hat die Message Control der österreichischen Regierung einen fatalen Effekt auf die Bevölkerung ausgeübt, da jegliche Diskussion verhindert wurde. Der zu erwartende Ärger darüber wurde ebenfalls instrumentalisiert – diesmal von rechten und rechtsextremen Strömungen/Parteien. Die zahllosen Spindoktoren hätten sich lieber mit Krisenkommunikation statt mit der Inszenierung der Regierung beschäftigen sollen.

Der Dermatologe und Reisemediziner Dr. Herbert Weltler beschäftigt sich seit vielen Jahre mit Pandemien und Epidemien. Von Experten wurde eine Pandemie wie Corona schon lange erwartet. Was neu war an diesem Virus ist, dass es für das Immunsystem aller Menschen auf der Welt unbekannt war und dass erstmals auch die westliche Welt davon betroffen war. Über einen persönlichen Kontakt bekam Weltler Einblick in die Entwicklung des Impfstoffes, der auf einer neuartigen Technologie basierte und dessen Wirksamkeit sich schon im August 2020 abzeichnete. Als Impfkoordinator des Burgenlands war er eng in die Impfkampagne eingebunden, wodurch er auch die Welt der Impfskeptiker und -verweigerer kennenlernte. Auf Grund dieser Erfahrung entschloss er sich, bei der Initiative Wir alle mitzumachen.

Die Initiative sei ein Versuch, eine Intervention in die Öffentlichkeit zu machen, meint Ökonom Univ.-Prof. Dr. Walter Ötsch. Der Nichtdiskurs der Regierung und deren erratische Entscheidungen (zB Impfpflicht) und die laute Minderheit, die ihre Meinung vor allem in den sozialen Medien etabliert hat, sind die zwei Ebenen des aktuellen Problems. Die herbeigeredete Spaltung der Gesellschaft sei aus den vorliegenden Umfragedaten nicht abzulesen, denn nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung unterstützt die Proteste. Die Regierung schafft es nicht, eine positive Gegenerzählung zu etablieren; stattdessen versucht sie, ihre Politik den teils radikalen Stimmen anzupassen. Durch dieses Politikversagen sei es notwendig, dass viele Initiativen aus der Zivilgesellschaft zu einer Redemokratisierung beitragen – gerade auch im Hinblick auf die viel größere Aufgabe der Bekämpfung des Klimawandels.

Weitere Themen dieser Diskussion sind die Krisenkommunikation der Regierung, die Möglichkeiten, mit Andersdenkenden in den Diskurs zu kommen und diese von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu überzeugen, der Umgang mit Desinformationen, das schwierige Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, mögliche Lösungsansätze, die aus dieser gesellschaftlichen Krise herausführen könnten und viele weitere Themen.

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BSA – Wir Alle Wolfgang Müller CC BY SA 4.0