Zukunft der Sozialpartner in Österreich – ein Erfolgsmodell?

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Meinung

Das Diskussionsforum „Bürgersalon Wien“ veranstaltet seit 2013 Events mit dem Ziel, die Gesellschaft zu politisieren. Im Zentrum des 18. Bürgersalons am 24. Jänner 2018 stand die Zukunft der Sozialpartnerschaft:

Kritikern missfielen besonders die Pflichtmitgliedschaften – die würden sich auf mehrere Hundert Millionen Euro im Jahr belaufen und der Wirtschafts- und Arbeiterkammer zufließen. Rudi Kaske, Präsident der AK Wien, Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer, und Christoph Leitl, Präsident der WKO, verteidigten ihre Sonderstellung gegenüber Matthias Strolz, Klubobmann der NEOS, Franz Schellhorn, Direktor der wirtschaftsliberalen Denkfabrik „Agenda Austria“, sowie Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung und CEO der Kapsch AG.

Warum muss man sich heute fragen, ob die Sozialpartnerschaft, die über sechzig Jahre lang wertvolle Dienste für die österreichische Gesellschaft und den sozialen Frieden leistete, in der jetzigen Form noch Zukunft hat?

Rudi Kaske, Präsident der AK Wien, spendet die erste Wortmeldung zu dieser Frage: Zwischen der öffentlichen und veröffentlichten Meinung zum Thema Sozialpartnerschaft gebe es einen erheblichen Unterschied. Umfragen zufolge sei die Zustimmungsrate von über 50% für die Sozialpartner als günstig zu betrachten – ganz im Gegensatz zu den politischen Parteien. Die Sozialpartnerschaft funktioniere also auf vielen Ebenen. Die Tatsache, dass sie schon seit über siebzig Jahren existiere, sei maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sie stets eine Standort- und Zukunftspartnerschaft gewesen sei.

Der österreichische Weg, wie er bisher gegangen worden ist – und dazu zählt auch die Sozialpartnerschaft -, ist durchaus erfolgreich.

Begründen könne Kaske dies mit den folgenden Zahlen: Österreich belege den zweiten Platz in der EU bei den Haushaltseinkommen und den vierten Platz in Bezug auf Wirtschaftsleistung. Somit sei bewiesen, dass Österreich gerade wegen der Sozialpartnerschaft im internationalen Wettbewerb durchaus wettbewerbsfähig sei.

Matthias Strolz, Nationalratsabgeordneter und Klubobmann der NEOS, stellt die in der Vergangenheit geleisteten Verdienste der Sozialpartnerschaft keinesfalls in Frage und erachtet die Sozialpartnerschaft grundsätzlich als notwendig, sie sei jedoch trotzdem ein „Fall für die Geschichtsbücher“. Veränderungen seien nötig, möchte sie künftig eine staatstragende Rolle spielen. Das Modell der „Schattenregierung“ durch die Sozialpartnerschaft habe schon länger ausgedient. Strolz bezeichnet die Einstufung der Sozialpartner in den Verfassungsrang als groben Fehler. Das Konzept der Pflichtmitgliedschaft gebe es in der gesamten EU lediglich in Luxemburg und in Österreich, es sei entbehrlich.

Ich glaube, dass es gerade in einer unternehmerischen Interessensvertretung gut anstünde, das zu tun, was alle ihre Mitglieder machen müssen – durch Leistung sich zu bewähren und nicht durch Zwang, jährlich ihre Mittel anzuheben, weit über die Inflation.

Auch die Kollektivvertragskompetenz solle weiterhin in einer selbstbewussten, modernen und innovativen Sozialpartnerschaft verankert sein.

Was fehlt der Sozialpartnerschaft, um sich von einer Verteilungspartnerschaft in eine Zukunftspartnerschaft zu verwandeln?

Christoph Leitl, Präsident der WKO, weist auf die Ergebnisse des WIFO hin; es sei klar erkennbar, dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg die drittbeste Performance bewiesen habe, man müsse nun die Gründe dafür erörtern. Allein der Export habe im vergangenen Jahr um 8% zugelegt – das Doppelte der weltweiten Welthandelsvolumina. Österreich weise seit zehn Jahren die höchsten Unternehmensgründungszahlen auf. 300.000 Menschen würden sich derzeit in Weiterbildungseinrichtungen befinden, eine Maßnahme, die zur Sicherung der Qualität auf Basis der Innovation diene. Um den vernünftigen Umgang mit Mitteln zu untermauern, führt Leitl an, dass in den vergangenen achtzehn Jahren die Steuern und Abgaben pro Kopf um 52% gestiegen seien, die WKO- und Gesamtumlagen pro Mitglieder seien im selben Zeitraum jedoch um 18% gesunken.

Sozialer Friede ist in Österreich selbstverständlich geworden – in Deutschland wird dreimal so viel gestreikt wie in Österreich.

Speziell bei Themen wie Asyl, Migration, Integration, Rehabilitation statt Frühpension und Bildung habe die Sozialpartnerschaft eindrücklich gezeigt, dass wichtige Akzente gesetzt worden seien.

Der Industrielle Georg Kapsch sieht die Zukunft der Sozialpartnerschaft aus einer anderen Perspektive: Sie solle weiterhin bestehen, jedoch ganz anders als bisher. Die Sozialpartnerschaft habe sich im Laufe der Zeit zu einem Korporatismus entwickelt und durchdringe aktuell den gesamten Staat, das gesamte Sozial- und Wirtschaftssystem sowie das gesamte politische System. Permanente Blockaden hätten zu einer Erstarrung des Systems geführt und der notwendigen Dynamik in einer globalisierten Welt Steine in den Weg gelegt. Österreich leide unter einem Strukturkonservatismus, der dadurch verschärft würde, dass Funktionäre der Sozialpartner im Parlament, in den Sozialversicherungen etc. säßen und so im Rahmen eines paraparlamentarischen Systems die Gewaltentrennung zwischen Exekutive und Legislative aufgelöst würde. Dies sei aus demokratiepolitischer Sicht sehr bedenklich. Kapsch kritisiert weiters, dass sich die Sozialpartnerschaft zum Teil zum Selbstzweck und Versorgungsposten gewandelt habe und dies zu Blockaden für nötige Reformen führe.

Wir dürfen nicht zu viel bewahren, wir müssen Mut zeigen zur Veränderung.

Es gebe in Österreich zwei Organisationen, nämlich den ÖGB und die Industriellenvereinigung, die auf freiwilliger Basis funktionieren würden.

Welche Bedeutung hat die Landwirtschaft innerhalb der Sozialpartnerschaft und welchen Beitrag könnte sie leisten?

Laut Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer, könne der Wert der österreichischen Landwirtschaft daran gemessen werden, dass es gelungen sei, nicht nur im internationalen Markt zu bestehen, sondern gleichzeitig auch Lebensmittelqualität zu produzieren und zu garantieren, die in Europa an der Spitze stehe. Außerdem sei ein Lebensraum geschaffen worden, den sowohl die eigene Bevölkerung als auch viele Touristen schätzen würden. Man sei eben verpflichtet gewesen, so zu wirtschaften, dass das Grundwasser unter den Feldern Trinkwasserqualität bewahrt hätte. Dafür verantwortlich sei ein in Österreich entwickeltes Umweltprogramm, das mittlerweile in ganz Europa verankert werden konnte.

Ist die Sozialpartnerschaft zukunftsfit?

Franz Schellhorn, Leiter der wirtschaftsliberalen Denkfabrik „Agenda Austria“, fragt sich, warum man so große Angst habe vor der Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft, aber auch, warum es nicht in halb Europa zum Zusammenbruch gekommen sei, zumal Länder mit anderen Systemen, wie z.B. Dänemark, Schweden, die Niederlande oder die Schweiz, in ihrer Wettbewerbsfähigkeit weit vor Österreich  lägen. Die Leistungen der Sozialpartnerschaft in der Vergangenheit – die Anpassung des weichen Schillings an die harte D-Mark oder der EU-Beitritt – sehe er keineswegs als geschmälert, und seine Kritik richte sich auch weniger an die Sozialpartner als vielmehr an die Regierungen der letzten Jahre: Diese seien „zu feige“ gewesen zu regieren und hätten alle heiklen Fragen an die Sozialpartner ausgelagert – Regierungsarbeit sei aber nicht Aufgabe der Sozialpartner. Scharfe Kritik übt Schellhorn an der Intransparenz der Geldflüsse und deren Verwendung innerhalb der Kammern.

Braucht es eine Pflichtmitgliedschaft, um österreichweit gute Kollektivverträge erwirken zu können?

Kaske antwortet mit einem Faktencheck: In Österreich gebe es eine gesetzliche Mitgliedschaft, was bedeute, dass sich 98% aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter Kollektivverträgen befänden. In der Bundesrepublik Deutschland, in der keine gesetzliche Mitgliedschaft existiere, seien es 58 Prozent und in den USA 12% – und das sei definitiv nicht das Ziel der Interessensvertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

In der langjährigen Tradition des Bürgersalons ist es üblich, dass ein großer Teil dieses spannenden Diskussionsabends dem Beantworten von Publikumsfragen gewidmet wird:

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