Der Weisheit letzter Schluss – Leere Worte

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 44/22

  • Was genau wollte uns der Bundespräsident zum Nationalfeiertag sagen?
  • Wird die Transparenzdatenbank zum Denunziationsinstrument?
  • Warum erhielt ein ukrainischer Schriftsteller den Friedenspreis des deutschen Buchhandels?
  • Die „Corona-Aufarbeitung“ hat auch in Europa begonnen
  • Die Vision einer politisch einigen Menschheit
  • Zehn-Punkte-Programm für die Erneuerung des Journalismus in Österreich

 

War es denn tatsächlich anders zu erwarten?

Nicht wirklich!

Das österreichische Staatsoberhaupt fühlt sich durch seine Wiederwahl schon im ersten Wahlgang in seinem Umgang mit der Wirklichkeit bestätigt und übt sich weiterhin in „business as usual“. Das bedeutet, dass er in seiner Ansprache zum Nationalfeiertag, die „Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben“ mit bedächtiger Stimme einzulullen versucht.

So versuchte er aktuelle Themen aufzugreifen und uns auf das Hochhalten gemeinsamer Werte einzuschwören. Anfangs zeigte er uns seine Sicht auf Transparenz und führte uns in einer Art Homestory hinter seine Tapetentür – bloß geht er nach deren Öffnen voraus und lässt uns Besucher hinter der zufallenden Tür zurück. Schnitt. Und wir sind dann doch plötzlich mitten in seinem Büro samt Platz für den ersten Hund im Staat, der aber gerade „Äußerln“ ist – mutmaßlich in Begleitung eines Cobra-Beamten.

Dann wurden wir an all die Skandale der jüngeren Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart erinnert. Die von ihm als „Ungewöhnlichkeiten“ bezeichneten Ereignisse, sind nichts anderes als Skandale und Zumutungen, die nicht per se als solche gelten müssten, hätten nicht die handelnden Personen durch ihr Agieren die Sache zu solchen Katastrophen werden lassen. Die Rede ist von Ibiza, Chat-Affäre, einer zur Pandemie erklärten Virusinfektion, einem durch das Handeln der Verantwortlichen vorhersehbaren Krieg in der Ukraine und den daraus resultierenden Folgen wie Teuerung und Energiekrise. Auch der „Klimanotstand“ darf nicht fehlen. Wobei ich hier eher einen Notstand im politischen und gesellschaftlichen Klima in Österreich, der EU, ja ganz Europa und auch bei so manch anderem Player auf unserem Planeten sehe. Und hinter all dem stecken Menschen und nicht Gott oder gar der Teufel.

Weiters erinnert uns HBP auch liebevoll, in dem er auf die Menschenrechte und die Verfassung verweist, die uns allen hier in Österreich garantieren, dass es mit rechten Dingen zugeht. Wir können es gerne mit Goethes Faust halten und ein Zitat ins Gegenteil verkehren, nämlich immer das Gute zu wollen und doch immer das Böse zu schaffen. Aber mit gemeinsamen Prinzipien müsste es doch gelingen, genau das zu verhindern, meint der erste Mann im Staat und strapaziert einmal mehr den Begriff „Solidarität“. Wohin diese uns in den letzten mehr als zwei Jahren geführt hat, lässt sich an einer gespaltenen Gesellschaft und traumatisierten Jugendlichen mehr als deutlich erkennen. Seine Idee, sich an den Kindern, die neugierig und voller Fragen sind, zu orientieren, ist damit Schnee von gestern. Oder meint er mit seinen diesbezüglichen Worten doch, dass wir uns einfach fügen sollen, wenn er sagt, dass wir nicht aufhören sollten, wie sie dazuzulernen.

Sein Rezept sei es, nicht ständig „Killer-Fragen“ zu stellen und nicht die eine Lösung zu suchen, sondern die vielen kleinen Lösungen zu finden. Lösungsorientierung statt Problemtrance also. Da hat er wohl die Rechnung ohne die gemacht, die diese Welt regieren. Denen ist es nämlich ganz und gar wichtig, dass wir uns an den Problemen aufreiben, unsere Hoffnungen fahren lassen und uns dem ergeben, was man uns alltäglich als alternativloses Narrativ serviert.

Ist es jetzt eine Killer-Frage, wenn ich mal genau wissen will, wie unser Staatsoberhaupt seine Zusage versteht, dass man niemanden zurücklassen werde, wenn man doch alltäglich die Zurückgelassenen durch die Straßen unseres Landes taumeln sieht? Ist es zulässig zu fragen, was gleiche Rechte und Würde bedeuten, angesichts der Tatsache, dass sich eine Rechtssprechung zunehmend an den Machthabern orientiert bzw. jene, die besitzen, sich im Dschungel des Rechtsstaates besser behaupten können als die, die sich keinen Rechtsvertreter leisten können?

Die Rede kann hier nachgelesen und hier nachgesehen werden.

Einen Tag nach dem Nationalfeiertag und der Forderung des Bundespräsidenten nach „sauberer Politik“ wurden erstmals in der 2. Republik die Begünstigten eines milliardenschweren staatlichen Unterstützungsprogrammes, nämlich der „Corona-Hilfen“, öffentlich gemacht. Auf www.transparenzportal.gv.at und www.npo-fonds.at sind die Namen jener Unternehmen und Non-Profit-Organisationen und die Höhe der Fördersumme einzusehen, die Corona-Hilfen seitens der COFAG bzw. des NPO-Fonds erhalten haben. Gelistet sind Unternehmen ab einer Fördersumme von 10.000 Euro und Non-Profit Organisationen ab einer Fördersumme von 1.500 Euro.

Was die Regierenden feiern, kommt für den gelernten Österreicher womöglich aber doch um eine Spur zu früh. In den unsäglichen C-Zeiten gab es jede Menge Belege dafür, dass man gerne vor des Nachbars Türe kehrt, den eigenen Mist aber lieber unter dem Wohnzimmerteppich verschwinden lässt. So könnte sich die groß angelegte Transparenz-Offensive schnell ins Gegenteil verkehren und zum Instrument einer staatlich organisierten Bloßstellung werden. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang zweierlei: dass jene mit gutem Beispiel vorangehen, denen bei Wahlen die Verantwortung übertragen wird und dass Menschen von Kindesbeinen an lernen, dass es kein Beinbruch ist, wenn man sagt, was man so verdient, womit der Neidkomplex hintangehalten werden könnte. Vielleicht sollte man dann auch gleich mit dem Märchen aufhören, dass es Leistung ist, die einen zum Millionär macht.

Am 23. Oktober erhielt der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan den seit 1950 vom Börsenverein des deutschen Buchhandels ausgelobten Friedenspreis „für sein gleichermaßen künstlerisches wie humanitäres Schaffen“. In ihrer kurzen Begründung führt die Jury unter anderem an, dass der ausgezeichnete Schriftsteller „nachdenklich und zuhörend, in poetischem und radikalem Ton erkundet … wie die Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen.“

Im einem Beitrag des „Rubikon“ wird allerdings seine „antirussische Haltung“ kritisiert. Zitiert wird ein Facebook-Posting vom 17. August 2022, in dem er Folgendes schreibt:

Seit gestern wird in Charkiw heftig und brutal geschossen. Es scheint, dass eine symmetrische Reaktion auf die Zerstörung ihrer Lagerhäuser und Kommandoposten für die ‚zweite Armee der Welt‘ die Beschießung von Schlafsälen und Wohngebäuden ist.

Erst gestern entbrannte plötzlich eine Diskussion mit ausländischen Journalisten über ‚gute Russen‘, über die Verantwortung der gesamten russischen Gesellschaft, über die russische Kultur als Eckpfeiler der ‚russischen Welt‘. Nun, die Russen sind in der Lage, die Welt auf überzeugende Weise an ihr wahres Wesen zu erinnern. Träger des kulturellen Erbes Dostojewskis, die ein Wohnheim für Hörgeschädigte mit einer Rakete zerstören – das ist der aktuelle Krieg. Ist Puschkin daran schuld, dass Kriegsverbrecher in Russland geboren werden? Ja, er ist schuldig. Natürlich ist er schuldig. Sie sind alle schuldig.

Passt gut auf euch auf, Freunde.“ (Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator)

Die Preisverleihung kann hier für ein Jahr nachgesehen werden.

Am 27.10.22 erschien in der Schweizer „Neue Zürcher Zeitung“ ein Beitrag, der mit dem Gesundheitsminister unseres westlichen Nachbarlandes durchaus hart ins Gericht geht. Auf die Frage, ob er die Bevölkerung mit seinen vor einem Jahr ausgerufenen und schon seit geraumer Zeit nicht mehr angewendeten „Zertifikats-Pflicht“, die auf der Wirksamkeit der Impfung gegen die Übertragung des Virus basieren, hinters Licht geführt habe, antwortete das Bundesamt für Gesundheit mit der Feststellung, dass die Aussage, dass man als Geimpfter das Virus nicht weitergebe, „auf Evidenz“ basiere und im zweiten Halbjahr 2021, als die Delta-Variante das Infektionsgeschehen dominierte, „noch vertretbar und richtig“ gewesen sei. Im Beitrag wird zudem angeführt, dass dieses Narrativ für die Volksbefragung zur 2G-Regelung durchaus nützlich war und diese beeinflusst habe. Mitte Dezember des Vorjahres wurden die Regeln daraufhin verschärft und „Ungeimpfte“ vom sozialen Leben weitestgehend ausgeschlossen.

Trotz ihres nunmehr nächsten Meinungswandels, der der Wahrheit zum Thema „Spiken“ immer näher zu kommen scheint („Durch eine Auffrischimpfung“ bestehe „kein relevanter indirekter Schutz gegen Virusübertragung mehr. Die Impfung verbessere aber zumindest vorübergehend den individuellen Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf.“), sind die ausführenden Politiker immer noch im Amt. Die Aufarbeitung hat aber nun auch in Europa, zumindest von Seiten des einen oder anderen Leitmediums, schon begonnen, die Konsequenzen lassen noch auf sich warten.

Der österreichische Historiker und Kulturanthropologe Johann Angerler beschreibt in seinem Buch „A World People’s Representation for a United Humanity“ seine Vision einer „Weltvolksvertretung“. „Politische Einigkeit“, so der Autor, „könnte von den Menschen, den Frauen und Männern aus aller Welt selbst ausgehen, ohne dass dazu ein Weltstaat geschaffen werden müsste.“ Am 9. November wird er um 19 Uhr im Aktionsradius in Wien seine Ideen für ein neues politisches Paradigma sowie ein grundlegendes Umdenken vorstellen. In der anschließenden Diskussion, die wie die gesamte Veranstaltung auch via Livestream übertragen wird und danach auch im Mediaarchiv des Aktionsradius nachzusehen ist, diskutiert Angeler unter der Moderation des Sozialanthropologin Andrea Hiller mit dem Konfliktforscher und Coach Oliver Jeschonek.

In Zeiten wie diesen braucht die Welt nichts dringender als Visionäre und Utopisten, die mit ihrem „Out-of-the-Box-Denken“ einen Beitrag zum notwendenden Wandel unserer Welt leisten und uns damit zum Um- und Neudenken inspirieren.

Dieser Tage wurde ein journalistisches Manifest veröffentlicht, das hier unterstützt werden kann. Zu den Erstunterzeichnern zählen neben dem ehemaligen ORF-Moderator Reinhard Jesionek auch Eric Angerer, Bert Ehgartner, Barbara Gräftner, Harald Klauhs, Sarah Kleiner, Christa Langheiter, Thomas Oysmüller, Sigrun Saunderson, Stefan Tesch, Liza Ulitzka, Alexandra Wimmer und Susanne Wolf.

Deren zehn Forderungen verfolgen das Ziel, die „vierte Gewalt“ wieder an den ihr zustehenden Platz zu hieven, damit sie ihren Aufgaben, etwa „eine Vielzahl von Standpunkten, Argumenten und Sichtweisen nüchtern zur Diskussion zu stellen“ und „die Regierenden zu kontrollieren“ gerecht werden können. Plädiert wird „für eine Rückbesinnung auf die Prinzipien einer Ethik unseres Berufsstands“.

Gefordert wird also u.a.

  • Journalismus muss für die Bevölkerung da sein
  • Journalismus als Kontrollorgan für Politik und Wirtschaft auf Basis des Ehrenkodex des österreichischen Presserates
  • Klare Abgrenzung von Meinung und Bericht bzw. Meldung
  • Qualität vor Quantität
  • Sachlichkeit und Objektivität
  • Transparenz
  • freier, unabhängiger Journalismus als Spitze der freien Meinungsäußerung
  • keine Tabus und Denkverbote

Abschließend verpflichten sich die Unterzeichnenden „zu größtmöglicher Objektivität und zu journalistischer Selbstreflexion“, sie bekennen sich „zur Demokratie und streben eine getreue Wiedergabe der bestehenden gesellschaftlichen Vielfalt an“ und wollen „nicht nur über jene Themen … informieren, die bereits geläufig sind und das etablierte Weltbild bestätigen, sondern auch Meinungen, Strömungen, Lebensweisen etc. ans Licht der Öffentlichkeit … bringen, hinter denen keine Lobbys, Organisationen oder politische Interessen stehen.“

Und noch einmal zurück zur Rede des Bundespräsidenten:

„Kann das jetzt alles bitte aufhören“, legt uns der Bundespräsident in den Mund. Er meint damit wohl die von ihm angesprochenen Skandale und vergisst auf all das Positive, das sich tagtäglich in dieser Welt und auch in Österreich abspielt. Aufhören sollten aus meiner Sicht allerdings solche Sonntagsreden wie diese und der Grundsatz ins Land ziehen, der da lautet: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“

Wobei: Einen Aufruf aus der Rede möchte ich abschließend doch aufgreifen und ihn uns allen ans Herz legen. Suchen wir doch nicht die eine Lösung bei den Verantwortlichen, sondern finden wir die vielen, kleinen Antworten und Lösungen in unserem eigenen Leben in Kooperation mit den Konstruktiven und Zuversichtlichen, die gemeinsam an einer neuen, guten Welt bauen.

 

Bildrechte:

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WG – 2022 KW44-YOUTUBE Wolfgang Müller BY CC SA 4.0