Der diktatorische Griff nach der Wahrheit?

Griff nach der Wahrheit
Meinung

Wer kennt es nicht: das Ministerium für Wahrheit aus George Orwells Roman 1984. Dieser entstand zwar in den Nachwehen des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Diktatur – und selbiges Ministerium wird gerne Staaten wie Nordkorea nachgesagt. Doch wenn man dieser Tage die Nachrichten liest, fühlt man sich stark an Orwells Dystopie erinnert.

Facebook, angestachelt von Forderungen bzw Drohungen der deutschen Bundesregierung, will in Zukunft fakenews auf seiner Plattform kennzeichnen. Die tschechische Regierung fürchtet, daß sich Russland nach der angeblichen Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf auch in ihre Wahlen 2017 einmischt und gründet deshalb eine Wahrheitsagentur, um Nachrichten zu überprüfen.

In Deutschland wollen CDU und SPD bis zur Jahreswende einen Gesetzesvorschlag für ein Abwehramt gegen Desinformation ausarbeiten. Man beachte: Obiger Artikel stammt vom 29. Dezember 2016. Also innerhalb von wenigen Tage soll dies, zur Weihnachtszeit, ausgearbeitet werden.

Da fragt man sich, warum Pensions- oder Bildungsreformen dreißig Jahre und länger dauern, wenn man so einen die Grundrechte bis ins Mark erschütternden Eingriff in kurzer Zeit aus dem Ärmel leiert.

Seit wann genau ist es Aufgabe einer Regierung, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu prüfen? Bisher dachte ich, daß dafür die Medien und die Zivilgesellschaft zuständig seien … Ist Zensur nicht genau einer der Vorwürfe, die man zahlreichen Diktatoren zu recht vorhält? Jetzt plötzlich fühlt man sich dazu genötigt, zu handeln!

Das Böse lauert im Osten. Und nachdem die Favoritin Hillary Clinton das Rennen ums Weiße Haus verloren hat, scheint in manchen die Angst zu rumoren, daß unter Donald Trump der Feind in Russland verlorengehen könnte. So versucht man wohl, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Natürlich ist dies alles reine Spekulation und eine einzige Verschwörungstheorie. Daß am Abbau der Freiheits- und Bürgerrechte seit 2001 massiv gearbeitet wird, kann man aber an diversen Gesetzesnovellen einwandfrei nachvollziehen. Natürlich alles im Sinne der Sicherheit von Leib und Leben. Gut, daß es Organisationen wie den AK Vorrat gibt, die gegen diese Erosion ankämpfen.

Im Endeffekt können sie aber nur erfolgreich sein, wenn jeder von uns erkennt, was am Ende dieses Kontrollwahnsinns steht, in dem wir gerade leben. Dabei muß man nicht mal den jetzt Regierenden unterstellen, daß sie uns Böses wollen (einige würden das wohl jetzt schon so sehen). Aber man stelle sich vor, ein erfolgreicher Populist übernimmt die Regierungsgeschäfte und hat dann die Kontrolle über eine Organisation, die festlegt, was wahr ist und was nicht?!

Ansätze dafür lassen sich bei Donald Trump erkennen, der immer wieder Behauptungen in den Raum stellt, die (jetzt noch) nachweislich nicht stimmen. Gut, er ist natürlich nicht der Einzige, der dieses Spiel beherrscht: Aber bei ihm ist die Verdrehung der Wahrheit schon im gesamten Wahlkampf perfektioniert worden.

Daß Clinton die Wahl verloren hat, war übrigens keine Schuld der Russen, sondern ihre katastrophale Kampagnenführung (inklusive Ignoranz der rust-belt-Staaten) selbst. Aber das nur so nebenbei … Denn auch hier wird versucht, die Wahrheit kräftig zu manipulieren.

Manch einer wird einwenden:

Die Regierung ist dazu da, um uns vor Schaden zu bewahren.

Ist sie grundsätzlich.

Aber wie ist es mit der Eigenverantwortung bestellt? Je mehr Macht wir, die Bürger, an wen auch immer abgeben, umso angreifbarer werden wir! Daß Macht korrumpiert – und absolute Macht absolut korrumpiert – ist geschichtlich hundertfach belegt.

Wenn wir unsere Daten freiwillig im Internet verteilen und die Kontrolle darüber aus freien Stücken abgeben (was zB jeder Facebooknutzer in großem Umfang macht), dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Daten für Zwecke außerhalb unserer Kontrolle genutzt werden. Inklusive der Erstellung von Algorithmen, die uns mit passenden News füttern. Wenn selbige dann auch noch von parteiischen Organisationen vorgefiltert werden, werden die rasch wachsenden Informationsblasen unüberwindbar.

Ein Gutes hat die fake-news Sache für uns von der schreibenden Zunft: In Zukunft müssen wir uns nicht mehr um Lapalien wie Copyright und Wahrheitsgehalt getroffener Aussagen zu kümmern, denn wir berufen uns einfach auf das zuständige Ministerium. *sarkasmusoff*.

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