Der Stamm der „Khasi“ und die „Mutterfolge“

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Meinung

Kennen wir überhaupt eine von Männern gegründete Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hat, Männer von der weiblichen Dominanz zu befreien und die Gleichstellung von Männern mit Frauen zu erreichen? Ich bin mir sicher, dass dies für die meisten Menschen sehr seltsam klingt, zumal wir alle stets mit Frauenorganisationen konfrontiert werden, die sich für die Befreiung der Frauen von der männlichen Unterdrückung einsetzen.

Ich aber bin genau auf so eine von Männern gegründete Organisation gestoßen: auf die Syngkhong Rympei Thymmai (SRT). Diese Organisation wurde von Männern des Khasi-Stammes in Meghalaya gegründet, um die Rechte der Männer zu schützen und die Gleichberechtigung der Männer in den Khasi-Gesellschaften in Meghalaya zu fördern.

Der Staat Meghalaya liegt im Nordosten Indiens und besteht aus den Hügeln Khasi, Garo und Jayantia. Meghalaya ist die feuchteste Region Indiens. Tatsächlich gilt Mawsynram, ein Dorf in den Khasi-Hügeln, als der niederschlagsreichste Ort der Welt. Khasi und Garo sind alte Stämme, die in den Khasi- und Garo-Hügelregionen bzw. in Meghalaya zu finden sind.

Auffallend anders an den Khasi- und Garo-Stämmen ist, dass sie matrilineale Abstammung anstelle eines patrilinealen Verwandtschaftssystems praktizieren. Tatsächlich gelten die Khasis als die größte bestehende matrilineale Kultur der Welt – und sie sind wirklich stolz auf ihr Erbe.

In einem matrilinealen System wird eine Person mit der Abstammung ihrer Mutter in Verbindung gebracht. Dies kann die Vererbung von Eigentum, Titeln und Familiennamen von Mutter zu Tochter beinhalten. Ein weiterer Staat in Indien neben Meghalaya, in dem die Matrilinealität praktiziert wird, ist Kerela.

Wir alle sind jedoch mit dem Patriarchat und dem patrilinealen Verwandtschaftssystem besser vertraut. In einem patrilinealen Verwandtschaftssystem wird die Familienzugehörigkeit von der Herkunft des Vaters bestimmt. Die Vererbung von Eigentum, Nachnamen und anderen Familienrechten wird vom Vater auf die männlichen Verwandten übertragen. Tatsächlich ist so ein Verwandtschaftssystem das uns bekannteste, da die meisten Gemeinschaften weltweit dem patrilinealen System und damit dem Patriarchat folgen.

In Khasi-Gesellschaften nehmen Kinder den Nachnamen ihrer Mutter und nicht den des Vaters an. Weiters erbt die jüngste Tochter der Familie den gesamten Nachlass. Wenn ein Paar keine Töchter hat, adoptiert es eine und gibt sein Erbe an sie weiter. Dies steht im Widerspruch zu der allgemeinen Tradition, dass es die Söhne sind, die das Eigentum ihrer Vorfahren erben.

Eine weitere interessante Sitte ist, dass der Mann nach der Heirat sein Elternhaus verlässt und mit seiner Familie im Haus seiner Frau wohnt. Unter den Khasi- und Garo-Stämmen muss der Mann nach der Heirat die Verbindung zur eigenen Mutter abbrechen und im Haus seiner Schwiegermutter leben. Aber das macht ihn nicht machtlos, denn ein Khasi-Mann stellt das Familienoberhaupt seiner Frau dar in Bezug auf die eigenen Kinder. Im Falle einer Scheidung muss der Mann das Haus seiner Schwiegermutter verlassen und in das Haus seiner leiblichen Mutter zurückkehren, wo er tatsächlich hingehört. Im Falle des Todes seiner leiblichen Mutter kann er in das Haus seiner jüngsten Schwester zurückkehren, da sie die Position ihrer Mutter in der Familie übernommen hat. Seine Kinder würden bei deren Mutter bleiben, da sie dem Clan ihrer Mutter angehören.

Die Kinder in den Stämmen Khasi und Garo gehören zu ihrer Mutter und die Mutter wiederum zu ihrer Mutter. Daher kann kein Khasi-Kind ein uneheliches Kind sein, unabhängig davon, ob die Mutter dieses Kind von dem Ehemann bekommt, mit dem sie eine formelle Eheschließung durchgeführt hat, oder nicht. Das leibliche Kind der Mutter hat einen Anspruch auf die Familie, zu der das Kind der Mutter gehört.

Bei den Khasi ist die Beziehung zwischen Mutter und Tochter sehr wichtig. Und so wird das Eigentum der Vorfahren von Mutter zu Tochter weitergegeben. Die nächste wichtige Beziehung ist die zwischen den Schwestern. Die verwitwete Mutter lebt immer mit ihren Töchtern und nicht mit ihren Söhnen in den Stämmen der Khasi und Garo. Die Großfamilie besteht in der Regel aus der Mutter, ihren verheirateten oder ledigen Töchtern, den unverheirateten Söhnen und Schwiegersöhnen und ihren Enkeln. Oder mit anderen Worten: Die Nachkommen der Großmutter bilden, gemeinsam mit der jüngsten Tochter (die den gesamten Familienbesitz erbt) und dem Geburtshaus, in der Regel die Familie. Der älteste lebende Onkel mütterlicherseits der jüngsten Tochter in der Familie übt einen immensen Einfluss aus, da die jüngste Tochter in einer Familie, die auch die Verwalterin des Eigentums ist, sich mit ihm in allen Fragen beraten muss. Das bedeutet, dass die Brüder und Ehemänner in einem solchen System immer außerhalb der Machtgleichung stehen. In einem solchen Verwandtschaftssystem tritt auch die Beziehung zwischen Mann und Frau in den Hintergrund.

Die Mitglieder der Organisation, die ich am Anfang meines Artikels erwähnte, d.h. die SRT, sind der Ansicht, dass die Stellung der Männer in den Khasi-Gemeinschaften nicht mit der der Frauen gleichzusetzen sei, ob es sich nun um den Bruder oder den Ehemann handeln möge. Basierend auf diesen Ungerechtigkeiten gründeten sie die Organisation und versuchen so, das matrilineale System in Meghalaya zu stürzen.

Die größere Khasi-Gemeinschaft hingegen ist stolz darauf, dass Frauen in ihrer Gemeinschaft vergleichsweise freier sind als ihre restlichen indischen Nachbarn. Und sie liegen mit ihrer Behauptung völlig richtig. Aber auch wenn Frauen das Recht auf Eigentum und viele andere Privilegien in Meghalaya haben, bedeutet das nicht unbedingt, dass es ihnen dadurch tatsächlich besser geht. Denn auch das Übel einer patriarchalischen Gesellschaft, wie z.B. häusliche Gewalt, bleibt trotz der Matrilinealität in Gemeinschaften wie diesen allgegenwärtig.

Das liegt daran, dass Matrilinealität nicht unbedingt die Vorherrschaft des Matriarchats in diesen Gesellschaften bedeutet. Matriarchat bedeutet ein soziales System, in dem Frauen die primären Machtpositionen wie politische Führung, Kontrolle der Eigentumsrechte und das soziale Privileg unter Ausschluss von Männern innehaben. Matrilinealität verbessert die Stellung von Frauen, aber selbst in diesen Gesellschaften könnte die primäre Macht immer noch bei den Männern liegen, wenn auch nicht in der Art und Weise, wie Männer die Macht in einem patriarchalen System genießen.

Die Traditionen und der Respekt, der den Frauen in solchen matrilinealen Gemeinschaften entgegengebracht wird, können jedoch immer Vorbilder für Männer in patriarchalischen Gesellschaften sein und uns daran erinnern, dass Geschlechterrollen und Privilegien, die damit einhergehen, keine natürlichen, sondern lediglich soziale Konstrukte sind.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

Credits

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Diskussion (Ein Kommentar)

  1. Für mich wirkt das nur wie eine Verteidigung des Matriarchat. Die Männer haben dort überhaupt nichts zu sagen, haben keinerlei Macht, werden in der Erbfolge nicht berücksichtigt, müssen hingehen wohin man sie schickt
    .
    Und dann wird noch davon fantasiert dass häusliche Gewalt von Männern in dieser Kultur ebenfalls ein Thema wäre obwohl es überhaupt kein Beleg dafür angegeben ist.
    Sorry, so nicht bitte. Etwas weniger Parteinahme und mehr Objektivität hätte dem Artikel sehr gut getan.