Der Weisheit letzter Schluss – Wa(h)re Bildung

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 30-31/23

Schon die Definition, was Bildung ist, kann zu so mancher Diskussion führen. Verknüpft man dann den Begriff Bildung mit Schule, einer der als Bildungseinrichtung festgelegten Institutionen, wird die Auseinandersetzung mitunter noch heftiger. Denn dann prallen die Sichtweisen aufeinander, welche Bildung denn Bildungsstätten vermitteln sollen und es startet eine Grundsatzdiskussion, die gerne vom Öffentlichen ins Private verschoben wird. Wir haben diesen Mechanismus ja vor allem in den letzten Jahren schon ausreichend kennen lernen „dürfen“. Der öffentliche Diskurs über wesentliche Fragen und Themen unsere Gesellschaft und den so genannten Gesellschaftsvertrag betreffend wird so gut es geht vom Tisch zu wischen bzw. unter den Teppich zu kehren versucht. Und dabei sind die öffentlichen Institutionen nicht selten wenig zimperlich.

Bleiben wir also in dieser Woche beim Thema Bildung, wobei sich dieses in der aktuellen veröffentlichten Darstellung durch Politik und „Leitmedien“ eigentlich auf Schule und darin noch einmal auf möglichen Lehrermangel verengt. Unterrichtsminister Polaschek freut sich, dass Quereinsteiger das Schulsystem retten. Durch eine diesbezügliche Initiative seines Ministeriums haben sich insgesamt mehr als 3000 Personen für einen Quereinstieg an einer Schule beworben.

Nun legt Polaschek noch eines drauf und gibt bekannt, dass man sich auch mit Soldaten als Lehrer behelfen will, damit nun wirklich auch jede offene Stelle besetzt werden kann und einem geordneten Unterricht nichts mehr im Wege steht. Nicht nur der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) steigen angesichts dieser Vorstellung die Grausbirn auf. In einer breiten Informationskampagne sollen nämlich „Milizsoldatinnen und -soldaten, Militärmusiker und Heeressportler“ darauf angesprochen werden, sich als Lehrer in den Staatsdienst zu stellen. Außerdem soll das Thema Landesverteidigung „ab Herbst einen größeren Stellenwert im Unterricht“ darstellen. Dazu wurden zwei Offiziere in jene Kommission eingebunden, die die Gestaltung von Schulbüchern auf ihre Unterrichtstauglichkeit und notwendige Inhalte überprüft.

Dabei ist das Zusammenspiel mit dem Militär dem österreichischen Schulsystem quasi in die Wiege gelegt. Maria Theresias Ziel, die Unterrichtspflicht einzuführen, ist nicht bloß altruistisch zu sehen, um die jungen Menschen aus dem eingeengten Familienalltag zu befreien (sonst hätte es ja auch keiner neunwöchigen Sommerferien bedurft, um dem Nachwuchs die Mithilfe bei der Feld- und Erntearbeit zu ermöglichen), sondern sehr bewusst auch als Maßnahme, um aus den Sprösslingen gefügige Staatsbürger, Soldaten und Beamte zu machen. Die Kirche mit ihren Klöstern und dem darin herrschenden Stundengebet bildete dann die organisatorische Grundlage für den Ablauf des Unterrichts, von dem manche behaupten, er enthielte den versteckten Lehrplan, alle(s) nach unten zu richten.

Ob dieser Ereignisse stünde eigentlich eine längst fällige öffentliche und ergebnisorientierte Grundsatzdiskussion an, die zwar immer wieder aufflammt, aber immer wieder auch erfolgreich schon in diesem Aufflammen erstickt wird; aber genauso wie bei den letzten Malen wird diese wieder nur um Details geführt anstatt sie endlich mal in die Bahnen zu lenken, die dringend einer Behandlung bedürfen.

Und so ist es auch kein Wunder, dass sich Verteidigungsministerin Tanner von der geplanten Kooperation zwischen Polascheks und ihrem Ministerium laut Staatsfunk begeistert zeigt. Nun war es zwar auch jetzt nicht verboten über den Russland-Ukraine-Konflikt zu reden, allerdings ist es von Seiten der beiden Politiker geboten, „die geopolitische Lage infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und andere Krisen … im Unterricht zu thematisieren.“ Dafür setze man auf die Kooperation mit dem Bundesheer im Hinblick auf die Ausgestaltung der Inhalte in Schulbüchern und in der Lehreraus-, -fort und -weiterbildung. Weitere wichtige Themen seien laut Polaschek Begrifflichkeiten wie Neutralität und die Aufgaben des Bundesheers. Diese würden „den Kindern künftig aber nicht nur in einschlägigen Fächern wie politischer Bildung nahegebracht werden, sondern beispielsweise auch in mathematischen Textaufgaben.“ Wie schön, dass wir den Lehrplan jetzt noch ein wenig ergänzen, anstatt ihn endlich mal gründlich zu entrümpeln, die Intention des Bildungssystems systemkonforme normierte Staatsbürger zu produzieren, noch einmal verstärken und – so ist zu befürchten – jeglichen weiteren Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen bereits im Ansatz unterdrücken, damit die Mächtigen ihr Spiel noch einfacher zu spielen im Stande sind. Auf diese Weise werden sie aber selber zu den Totengräbern des von ihnen angeblich hoch gehaltenen demokratischen Systems, das dann nur noch das duldet, was gerade von oben herab und über die dem System dienenden Medien an die Öffentlichkeit posaunt wird.

Wahrhaft gebildete Menschen waren zu allen Zeiten ein Problem für die Konformität: so tut man von staatlicher Stelle natürlich nur gut daran, den Staatsbürgern diese „Eskapaden“ gleich von Anfang an abzugewöhnen. Die Wenigen, die sich diesem Drill entziehen können, kann man sich dann durchaus leisten – von Zeit zu Zeit, wenn sie etwa einen Nobelpreis bekommen haben, kann man sie dann stolz sogar als Produkt des eigenen Bildungssystems darstellen. Es wundert also nicht, wenn aktuell die repressiven Maßnahmen gegen jene verstärkt werden, die sich ihrem durch staatliche Verordnung einer Unterrichts- (9 Schuljahre lang) bzw. (Aus-)Bildunsgpflicht (bis zur Volljährigkeit) verfassungsmäßig garantierten Recht auf Bildung entziehen bzw. dieses tatsächlich einfordern. Womit wir wieder bei der um Welten auseinander liegenden Definition von Bildung sind.

Bevor das Thema um den Aspekt der Einbeziehung von Soldaten in den Schulen erweitert wurde, herrschte ja schon länger die Debatte um den Wokismus bzw. die zuletzt stark gehypte Wokeness, mit der man die zum Teil auch übertriebene political correctness bezeichnet. Woke bis zum Abwinken, möchte man meinen, wenn man den entsprechenden Medienberichten folgt. Möglicherweise müssen wir uns demnächst auch Gedanken über Frau*innen und Männ*innen machen, ich empfehle dabei aber auf den eigentlichen Grund für diese auch von Seiten der Politik geförderte Debatte zu schauen. Der lautet aus meiner Sicht „divide et impera“, eine alte Untugend nicht nur österreichischer Herrscher – und Herrscherinnen. Wer die Gesellschaft durch die Beschäftigung mit – im Vergleich zu wesentlicheren Themen – Peanuts teilt, kann ungeniert seine Agenda durchsetzen. Das wird zu oft vergessen, wenn wir uns in der öffentlichen Diskussion hauptsächlich mit diesen Peanuts beschäftigen.

Die Publizistin Anabel Schunke hat sich des Themas in einem ihrer Facebook-Postings angenommen und darin festgestellt, dass „der französische Adelige Alexis de Tocqueville bereits 1835 in seinem Werk ‚Über die Demokratie in Amerika‘ über die Gefahr einer ‚Tyrannei der Mehrheit‘ schrieb und dass er damit quasi der erste Mensch überhaupt war, der das, was wir heute political correctness oder jetzt auch ‚woke‘ nennen, als Gefahr für die Demokratie als Staatsform ausmachte.“ Und weiter: „Nach Tocqueville besteht die Gefahr in einer Demokratie in einer Art Mehrheitsdespotismus, in einer omnipräsenten Meinung der Mehrheit, an der sich alles orientiert und die so die individuelle Vernunft unterdrückt. Man würde als Abweichler quasi nicht mehr in den Kerker gesteckt, aber dafür sozial und gesellschaftlich isoliert werden.“ Ihr Schlussfolgerung ist so beängstigend wie folgerichtig: „Ich glaube, wir erleben gerade den Umbau eines demokratischen Rechtsstaates in einen totalitären Gesinnungsstaat. Wir erleben, wie Meldestellen aus dem Boden schießen, wie irgendwelche ‚Beauftragte‘ der Bundesregierung versuchen, den freien Journalismus mit Kaugummi-Paragraphen wie dem Straftatbestand der Volksverhetzung verstummen zu lassen … Wir müssen uns als Gesellschaft endlich klar darüber werden, dass wir über den Punkt der sozialen Ächtung hinaus sind. Dass es jetzt nicht mehr darum geht, ob man etwas politisch Inkorrektes gesagt hat. Dass man nicht ‚woke‘ genug ist. Es geht darum, dass kritische Stimmen nun aktiv – auch mit rechtlichen Mitteln – von staatlicher Seite bekämpft werden. Dass es hier allmählich um das nackte Überleben der freien Gesellschaft geht.“

Und um sich darüber klar zu werden, braucht es ein gerüttelt Maß an Bildung, nicht jener dem Begriff nicht annähernd gerecht werdenden in der Schule vermittelten, sondern jener, die dem (jungen) Menschen einen Blick auf die vielen Sichtweisen zu einem Thema gewährt, damit er sich selbst ein Bild machen kann.

Dann wären idealerweise auch Politiker in Amt und Würden, die ihre Aufgabe als Diener des Volkes verstünden und daher keinerlei Debatte über die Anhebung der Politikergehälter um 9,7 Prozent oder bloß die Hälfte aufkäme, weil es ein entsprechendes Gesetz mit diesem Impetus nicht gegeben hätte und sie nicht nur aus der Mitte der Gesellschaft kämen sondern mitten in der Gesellschaft leben würden.

Und dann müsste man sich – so wie Hannes Androsch neulich in den Oberösterreichischen Nachrichten (Text hinter der Bezahlschranke) – wohl auch keine Gedanken darüber machen, welche Regeln man für das Allgemeingut, die so genannte Allmende, einführen muss, so dass sich nicht einige wenige alles krallen. Dazu hat sich übrigens auch der von mir sehr geschätzte Philosoph und Biologe Andreas Weber in seinem sehr zu empfehlenden Buch „Indigenialität“ Gedanken gemacht. Wenn Sie noch Ferienlektüre suchen, sei es Ihnen, auch zur Erweiterung ihres Bildungshorizonts, sehr ans Herz gelegt.

Alles nur eine Frage der Bildung – ein geflügeltes Wort, das sich als zeitlos und damit immerwährend aktuell erweist und dem wir unsere bedingungslose Aufmerksamkeit schenken sollten, um dem auf die Spur zu kommen, was für das Leben und Überleben der Spezies Mensch im Einklang mit der Natur von grundlegender Bedeutung ist – abseits von all den veröffentlichten Diskussionen, die uns bloß vom Wesentlichen und wirklich Wichtigen ablenken sollen. Nur sie ist es, die von fundamentaler Bedeutung ist.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jeder Euro, den Sie, liebe Leserin, lieber Leser in die Unterstützung eines unabhängigen Mediums oder eines unabhängigen Journalisten investieren, der wesentlichste Beitrag zur Erhaltung wahrer Pressfreiheit ist.

Bildrechtelinks:

Androsch:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2017_Hannes_Androsch_%2837696998774%29.jpg

Parlament Sitzungssaal:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sitzungssaal_des_Abgeordnetenhauses,_Parlament,_Wien.jpg

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WG – 2023 KW30-31-YOUTUBE-PC Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0