Die Sprachentwicklung des Babys

Lebenswelten

In welcher Form auch immer wir Sprache verwenden, sie ist ein Weg auf dem nur wir Menschen miteinander verkehren können und oft ist sie auch eine Brücke von einem Menschen zum anderen: Ausdruck von Bedürfnissen, Hilferuf, Kommunikationsmittel, Möglichkeit einander zu warnen. Die Fähigkeit zu sprechen, bedeutet für uns Menschen viel, viel mehr als nur Informationen auszutauschen.

In den letzten Jahren entwickelte sich parallel zur perinatalen Psychologie, der Psychologie um die Geburt herum, die sich mit der seelischen Entwicklung von Babys ab etwa der 28. Schwangerschaftswoche bis zum 7. Tag nach der Geburt beschäftigt, die pränatale Psychologie, die wissen möchte, was bzw. wie viel Babys schon während der Schwangerschaft merken und ob und wie das ihre Entwicklung beeinflusst.

Wir wissen heute mit ziemlicher Sicherheit, dass das Gehör des Ungeborenen zwischen der 20. und 24. Schwangerschaftswoche vollkommen ausgeprägt ist. Es kann nicht nur die Geräusche um sich herum hören, wie den Herzschlag oder die Verdauungsgeräusche der Mutter, es kann auch vieles wahrnehmen, was außerhalb der Bauchdecke passiert. Daher kann es auf akustische Reize wie Musik, Autohupen, das Zerplatzen eines Luftballons oder Stimmen reagieren. Studien zeigen, dass Babys sich an Töne erinnern können, die sie bereits im Mutterleib gehört haben. Ein Versuch mit nur wenige Tage alten Babys hat gezeigt, dass diese die Stimme ihrer Mutter nicht nur wieder erkennen, sondern auch bevorzugen, genauso wie die Sprache, in der die Mutter spricht, ohne auch nur ein Wort selbst sprechen zu können.

Wann aber beginnt ein Kind, Sprache zu nutzen?

Bis das erste Wort zu hören ist, müssen noch viele Monate vergehen. Jedes Baby entwickelt sich unterschiedlich, daher kann der Zeitpunkt an dem Babys ‚Ma‘ oder ‚Pa‘ oder ‚Nei‘ üben um viele Monate auseinander liegen. Es gibt ein paar ganz besonders schnelle ‚Sprecher‘, die schon im Laufe des begonnenen zweiten Lebenshalbjahres das erste Wort versuchen, andere sind offenbar der Meinung, dass dafür auch nach dem ersten Geburtstag genug Zeit ist. Dinge wie sitzen, krabbeln oder gehen sind ihnen viel wichtiger. Und wirklich – es ist zu beobachten, dass sich diejenigen Kinder, die motorisch besonders schnell sind, bei der Sprachentwicklung einige Wochen mehr Zeit lassen. Dafür müssen die Eltern von Kindern, die besonders früh zu sprechen beginnen, oft etwas länger auf die ersten Schritte warten. Und dann gibt es manchmal Babys, die ihre Eltern auf beides – die ersten Worte und die ersten Schritte – lange warten lassen. Das sind diejenigen Babys, deren Stärke in der Feinmotorik liegt. Diese Fähigkeiten sind nicht so deutlich zu bemerken wie das Sprechen oder Gehen, daher werden Eltern dieser Babys manchmal ganz unberechtigt ungeduldig im Hinblick auf die Weiterentwicklung ihres Nachwuchses. Aber alle drei Bereiche sind gleich wichtig und gleich wertvoll.

Wie lernt das Baby nun zu sprechen?

Zum einen gibt es körperliche Grundvoraussetzungen, damit Menschen sprechen können. In unserem Gehirn gibt es zwei Sprachzentren, eines, das Sprache analysiert und dazu dient, diese zu verstehen. Das zweite Sprachzentrum erzeugt Sprache, ist also dafür zuständig, dass wir unsere eigenen Ideen, Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen aussprechen und mitteilen können. Diese biologischen Grundlagen sind bei allen Menschen gleich, vollkommen unabhängig davon, welche Sprache sie als Muttersprache(n) lernen. Weitere körperliche Voraussetzungen für den Spracherwerb sind das Empfinden von Schwerkraft, das Wahrnehmen und Kontrollieren von Muskelspannung und das taktile System, also unser Tastsinn. All das gemeinsam ermöglicht es uns, uns zu bewegen und uns zu orientieren – Grundvoraussetzungen für das Sprechen. Darüber hinaus müssen wir sehen und hören können – also beispielsweise bemerken können, aus welcher Richtung die Geräuschquelle kommt -, um Sprache zum einen wahrnehmen und zum anderen produzieren zu können.

Sobald ein Baby nach etwa 2 Monaten diese Fähigkeiten erlernt hat, beginnt es mit eigenen Lauten wie ‚aaaa‘ und ‚oooo‘ oder ‚gggguuuuaaaaahhh‘ und freut sich ungemein, wenn es ein Geräusch produziert hat. Zu Beginn sind es in erster Linie Vokale, später kommen auch Konsonanten dazu. Wenn es dafür gelobt wird, ist es motiviert, seine Stimme weiter zu trainieren.

Mit 3 Monaten können viele Babys schon bewusst Laute von sich geben, die Freude und Vergnügen ausdrücken. Es ist interessant, dass nicht nur hörende Babys sondern auch gehörlose Babys im ersten Halbjahr dieselbe Entwicklung durchleben und Geräusche und Laute üben. Während hörende Babys dabei Fortschritte machen, geben gehörlose Babys, die entsprechende Reaktionen auf ihre Sprechversuche nicht hören können, schließlich auf, ihre Stimme zu trainieren.

Bis vor etwa 60 Jahren hat man angenommen, dass Babys beim Trainieren ihrer Stimme nur durch Zufall Laute produzieren, die ‚richtig‘ sind, die sich also ähnlich anhören wie ein Wort, wie beispielsweise ‚ma‘ bzw ‚ma-ma‘. Wenn dieser ‚richtige‘ Laut aus dem Babymund kommt, erhält das Baby zum Lohn eine erfreute, motivierende Reaktion, beispielsweise: ‚Ma-ma‘ kommt. Diese Reaktion macht dem Kind Lust auf mehr Laute, auf Kommunikation, es übt weiter. Dieser Annahme folgend bilden sich also nach und nach weitere Wörter.

Diese Ansicht ist mittlerweile veraltet, denn etwa in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es neue Entwicklungen, die diese Theorie der Zufallslaute in den Hintergrund drängten. Man nahm an, dass jedes Baby mit einer angeborenen Fähigkeit, Sprache zu erlernen, auf die Welt kommt, dem ‚Spracherlernungsmechanismus‘. Da dieser, laut der Theorie, jedem Baby eigen ist, also eine Art innere Veranlagung, spielt es kaum eine Rolle, wie viel und wie oft mit dem Baby gesprochen wird, es wird nach und nach auf jeden Fall sprechen lernen. Auch dazu gibt es zwischenzeitlich neue Erkenntnisse.

Zum Teil aus der Geschichte, zum Teil aus der Forschung wissen wir heute, dass es einen bedeutenden Unterschied macht, ob, wie häufig und was mit einem Baby gesprochen wird. Kaiser Friedrich II., der im 13. Jahrhundert lebte, wollte herausfinden, welche Sprache ein Baby spricht, wenn es keine Sprache hört, wenn nicht mit ihm gesprochen wird. Er nahm an, es müsse so etwas wie eine Ur-Sprache geben, die in jedem Menschen veranlagt ist, die sich allerdings durch die Muttersprache, die mit dem Baby gesprochen wird, nicht entwickeln kann. Um zu ergründen, ob Babys nun Latein, Ägyptisch oder doch Griechisch sprechen würden, hat er einigen Ammen aufgetragen, Waisenbabys aufzuziehen, sie körperlich optimal zu versorgen, zu füttern, zu baden, zu wickeln, aber auf keinen Fall auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu sprechen oder zu singen. Trotz der Bemühungen der Ammen konnte nicht herausgefunden werden, welche unsere Ur-Sprache wäre, denn alle Babys sind gestorben. Heute wissen wir natürlich, dass genetisch gesehen keine spezielle Sprache in uns vorhanden ist. Jedes Neugeborene kann im Prinzip jede Sprache der Welt erlernen.

Sprachforscher sind sich mittlerweile einig, dass es zwar so etwas wie den oben angesprochenen ‚Spracherlernungsmechanismus‘ gibt, dass das Erlernen der Sprache aber ausschließlich nur im sozialen Austausch mit einem liebevollen Umfeld verbessert und perfektioniert werden kann. Rahmenbedingungen für eine optimale Sprachentwicklung sind nicht nur eine sprachanregende Umgebung und ein Ort, an dem das Kind angenommen wird, wie es ist, auch der Zeitpunkt der Kommunikation spielt eine wichtige Rolle. Der ideale Zeitpunkt für aktive Kommunikation mit dem Baby ist, wenn es ausgeschlafen, satt und frisch gewickelt ist und ihm nichts weh tut. Dann ist es vollkommen aufmerksam und hört interessiert zu, was Mama den ganzen Tag gemacht hat, wann Papa nach Hause kommt oder was morgen auf dem Programm steht. Einem Baby kann man einfach alles erzählen, weil es so viel Freude am Zuhören, an der Sprachmelodie und am Entdecken der Gesichtszüge hat. Vorsicht ist nur bei sehr emotionalen Themen geboten, weil es schon ganz genau spürt, wie es Mama oder Papa geht. Daher gefallen ihm schöne und lustige Geschichten am besten, die es erzählt oder vorgelesen bekommt. Auch Bilderbücher schaut es sich schon nach den ersten Monaten gerne an und horcht, wie Mama oder Papa die Bilder beschreiben.

Für manche Eltern fühlt es sich eigenartig an, wenn sie mit dem Baby sprechen, als wären sie ein Radiomoderator, der keine Antwort von seinen Hörern erhält. Das stimmt so nicht ganz, denn wer das Baby dabei ansieht – was ohnedies von großem Vorteil ist, weil Blickkontakt so wichtig und förderlich ist – und bei den wichtigen Worten langsamer und betonter spricht, kann aus der Mimik und Gestik des Babys viele Reaktionen ableiten.

Wenn Babys schon etwas größer sind und ihre Händchen gut benutzen können, lehren viele Eltern sie zu winken, eine Kusshand zu werfen oder bitte-bitte zu zeigen. Diese Zeichen im Umgang mit Babys sind fest in unserer Tradition verankert. Solche Handbewegungen wurden im deutschen Sprachraum in den letzten zehn Jahren durch nützliche Gebärden für Worte, die im Alltag häufig vorkommen, ergänzt. Das macht nicht nur Spaß, es ermöglicht dem Baby, seine Bedürfnisse besser auszudrücken und gibt darüber hinaus Einblicke in Babys Gedankenwelt. So können Kinder während der Zeit, in der sie Worte noch nicht aussprechen können, aber durchaus mit einfachen Bewegungen ihrer Hände kommunizieren. Es ist ganz erstaunlich, was alles in dem kleinen Köpfchen vor sich geht und wie leicht sich das durch Babyzeichensprache entdecken lässt.

Wenn sie mit Babys sprechen, nehmen viele Erwachsene automatisch einen anderen Tonfall an und verwenden eine andere Sprachmelodie. Sie benutzen die oft in Frage gestellte ‚Ammensprache‘, bei der die Stimmlage erhöht, vermehrt Vokale ausgesprochen und die Laute gedehnt werden. Diese Verlangsamungen, Übertreibungen und Wiederholungen sowie die entsprechende Mimik und Gestik dazu sind für das Baby das reinste Theaterstück, auf das es in der Regel erfreut und dankbar reagiert.

Ein weiterer Weg, sein Baby auf Sprache neugierig zu machen und es zu motivieren, selbst zu sprechen, sind beispielsweise Fingerspiele, Kinderlieder und Kniereiter – jegliche Art von Reimen, weil Babys eine Vorliebe für Melodien und Rhythmus haben. Oft fragen Erwachsene zumindest gedanklich nach dem Sinn der Texte, den Babys aber gefällt es – und das ist schließlich die Hauptsache!

 

Buchtipp für interessierte Eltern:

Dr. Sally Ward, BabySprache – BabyTalk: Wie Eltern die Intelligenz ihrer Kinder fördern können

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