Eine zusammenhängende Realität

Navajo_Hogan,_Monument_Valley-
Lebenswelten

Während der Bruder des Patienten und ich den frischen Sand für das Gemälde reinigen, geht Blackhorse mit dem Patienten in die Wüste, um ein Opfer darzubringen. Nach seiner Rückkehr lädt er Tom ein, den Hogan für die Sandmalerei und die restliche Zeremonie zu betreten. Ich bin froh, dass er da ist, denn in mir macht sich Nervosität breit, da ich zum ersten Mal in meiner Ausbildung gebeten wurde, bei den heiligen Vorgängen zu helfen.

(Aus: Der Weg ist die Realität, und nicht der Glaube)

Das Wasser/Zentrum/Himmel/Medizin schwebt im Licht, die Formen/Farben der Gottheiten gedeihen aus dem weißen/schwarzen/gelben/rot/blauen Sand, der durch unsere Finger rinnt. Die Balance, die Verbindungen der Elemente, männliche und weibliche Aspekte, die in den Wolken und Blitzen tänzeln. Ich weiß nur wenig über die eigentliche Bedeutung all dieser gezogenen Grenzen, und es gibt viele, viele Spuren. Blackhorse erklärt bestimmte Zusammenhänge und Bedeutungen, aber meistens arbeiten wir über eine lange Zeit still auf Händen und Knien.

Dann die Rassel/Lied/Medizin/Korb/weiße Schale – das Auftragen von Blütenpollen mit den entsprechenden Wünschen der Patienten und mit dem, was immer sie wahrhaftig wünschen … Die eigentliche Kräutermedizin besteht aus mehr Zutaten, als ich vielleicht weiß – es dauert viele Jahre, um auch nur einen Bruchteil der Kräuter und deren Wirkung zu verstehen. Einen Augenblick lang, noch bevor alles weggewischt wurde – das Wasser, die Pollen, das Licht, das Bild, die Rassel/Song/Mensch/?? -, und die Lektion einer zusammenhängenden Realität wurde mir vor Augen geführt.

Was du damit tun möchtest, liegt in deinem Ermessen. Dies sind nur die Worte eines glücklichen Mannes, der seinen Blick in eine Welt jenseits unseres großen wissenschaftlich-intellektuellen Zeitalters der Vernunft und des materiellen Segens werfen durfte.

Am Nachmittag fuhren wir zur Hochzeit. Spät, und dann eigentlich gar nicht zu spät – wenn man weiß, was ich meine. Nach meinem Erlebnis am Morgen hätte ich lieber irgendwo in Stille gesessen mit dem Lächeln eines unbedarften Kojoten. Stattdessen wurden unsere Ärsche durch einen fiesen Sandsturm getrieben. Der Ort, an dem wir bei den Hochzeitsvorbereitungen helfen sollten, befand sich in einem kompletten Chaos. Die Tische, die Stühle, das Essen, der Hochzeitsschmuck … all das musste in die Turnhalle der nahegelegenen Mission befördert werden. Seltsam?! Nun, das ist der traditionelle Part der Hochzeit:

Im Hogan die Leute des Bräutigams (Mowhak) auf der einen Seite, die der Braut (Navajo) auf der anderen Seite. Alle in traditioneller Kleidung. Ich war in die Mitte zwischen Oma und Mutter der Braut gezwängt. Tom, mit seinem Rücken gegen den Türrahmen gepresst, schloss das Tor gegen den Sandsturm … Der Medizinmann, der Korb, der Kürbis, das Wasser, die Vorworte, die Gebete, die Beratung … und das Verteilen des Maismehls. Die Zeremonie wurde vorangetrieben, denn zu unserer Verwunderung wurde eine christliche Hochzeit für die Aktion vorbereitet – umgeben von Ballons, der Hochzeitstorte, den Hochzeitsringen … ihr könnt es euch vorstellen. Mehr sage ich nicht dazu.

Ich war nur froh, dass wir den Weg zurück zur Hauptstraße gefunden haben, bevor die absolute Dunkelheit und der Treibsand uns verschluckten. Gelobt seist du, und allen süße Träume, Shash.

Tag 8, 10. Juni 2002:

Ein weiterer Tag, der mit einem frühen Aufstehen und einem Gespräch bei Kräutertee beginnt. Man unterhält sich über die „kulturellen Unterschiede“ und über Heimweh. Heute sollen wir Barney Bush (er ist Shawnee aus dem Ohio Valley, Schriftsteller, Lehrer, politischer Aktivist, einer meiner ersten Mentoren und Freunde aus alten Tagen im Land der Indianer) in seiner Blockhütte in Kuba/NM besuchen. Blackhorse will uns dorthin bringen, und das bedeutet, um Punkt acht Uhr aufzubrechen. Tom schafft es gerade noch, in die Hose zu schlüpfen. Und ich bin etwas sauer, da der Tag so stressig begann.

Die Fahrt ist unbequem und führt am Shiprock-Kraftwerk und den stark bewässerten Feldern (die den Weißen gehören) vorbei. Und der Wind ist heiß … In den Zeitungen steht, dass dies die trockenste Jahreszeit sei – und es noch schlimmer würde. Überall lodern gewaltige Waldbrände, und andere Teile des Landes ertrinken wiederum in den heftigen Niederschlägen.

Die Beziehungen zwischen den Stämmen sind ein heikles Thema. Barney und Mitchell schwanken uns gegenüber zwischen Respekt und, sagen wir so: mangelnder Wertschätzung und Fragen der Besitzgier. Tom und ich machen uns ein bisschen Sorgen, doch die Jungs scherzen einfach („Hey, du blauäugiger Indianer…., schau keiner schwangeren Frau nach, denn sie würde Angst bekommen und eine Kreuzung zwischen Dolly Parton und Schwarzenegger gebären …“) und finden schon bald ihr gemeinsames Wissensgebiet: Bildung.

Wie immer ist es interessant und ärgerlich zugleich, wie abgefuckt und zutiefst unfair das US-System in Wirklichkeit ist. Bargeld oder kein Bargeld, das ist hier die Frage … Wie es in der Shawnee-Tradition so üblich ist, werden wir von Barney mit seinen Eintöpfen und Kuchen über die Stopfgrenze hinaus angefüttert. Übrigens: Er wird im September zu einer Lesereise nach Wien kommen, um sein neuestes Gedichtbuch zu promoten. Ein paar seiner Freunde tauchen auf (Cherokee und ein Stamm, den ich nicht buchstabieren kann). Das Gespräch dreht sich um Familienangelegenheiten, um das Anbauen von Mais, darum, wer noch trinkt und immer noch lebt (oder bereits tot ist) und um die dumme und bösartige Regierung … ein Geschwätz des Alltags.

Blackhorse gibt uns dabei die Erlaubnis, „vor Zeugen“ unsere Erfahrungen einem größeren Publikum zu vermitteln, und schlägt vor, dass ich endlich ein Buch über die Themen schreibe, und zwar unter der Mitwirkung des Volkes selbst. Nun, natürlich gibt es schon eine Menge Informationen, aber vielleicht können wir einen Standpunkt finden, der einiges aufzeigt. Mal sehen. Der Tag stellt sich als angenehm heraus, und während ich das schreibe, schaue ich mit den Jungs einen Clint Eastwood-Film …

Das erinnert mich daran, meinem Vater in Österreich und der ganzen Familie meine besten Wünsche zu senden, wo auch immer sie sich auf diesem runden, schönen und verrückten Planeten befinden! Shash braucht Ruhe – und euch allen wünsche ich: schöne Träume!

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

Credits

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Navajo_Hogan,_Monument_Valley- Navajo_Hogan,_Monument_Valley- Wolfgang Staudt CC BY 2.0