„Geht die eine Tür zu, gehen woanders drei Türen auf“

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Gesellschaft

Tanja Mally kommt ursprünglich aus der Medienbranche und war von 1999 bis 2011 im Bereich Schulwerbung tätig. Seit 2018 unterstützt sie die gemeinnützige Institution epicenter.works. Der 1. Teil meines Interviews mit Tanja wurde bereits publiziert unter dem Titel „Bye, bye, Werbebranche„. Dies ist nun die Fortsetzung des Interviews:

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Mädelsausflug zum Neusiedler See – Mole West Bootsverleih, Juni 2018

Wow, du nahmst dir also ein ganzes Jahr Auszeit …

In diesem Jahr erkannte ich, dass Erschöpfung das Einzige war, was nach 22 Berufsjahren übrig blieb – ich hatte keine Hobbies oder Leidenschaften.

So interessierte ich mich für die Griechenlandkrise, denn meine Mutter lebt in Griechenland; ich begeisterte mich für den ungeheuren Lernschatz, den das Internet bietet; politisierte mich, erforschte die Gesellschaft.

Da Sigrids Opa Ukrainer ist und die Ukrainekrise auch im Fokus unserer Mädelstreffen stand, wollte ich mich auch in diese Thematik vertiefen. Via Internet knüpfte ich weitere Kontakte und besuchte die Friedensmahnwachen.

Ich wollte den Frieden, den ich mir im Außen wünsche, auch innen haben. Denn ungefestigt erträgt man all die Negativinfos nicht.

Und so sind die Prozesse des Findens meines inneren und äußeren Friedens stets parallel gelaufen.

Dazu muss man sich auch der Vergangenheit stellen …

Der Mensch tut gerne alles, um zu verdrängen. Für die nötige Reflexion fehlen oft Zeit und Ruhe. Mein Luxus war die vorhandene Zeit, und ich dachte: „Wenn nicht jetzt, wann dann?

Auf meine egoistischen Handlungen in der Vergangenheit zurückzublicken, schmerzte sehr: Einerseits definierte ich mich sehr über Materielles, andererseits hatte ich gefühlt zu wenig Zeit für meine Tochter. Mir das alles zu verzeihen, war schwer. Aber ohne diesen Prozess hätte ich nicht zu meinem inneren Frieden gefunden.

Meine nächste Erkenntnis: Schließt sich eine Tür, gehen irgendwo drei andere auf.

Wie ging es weiter mit deiner „Innenschau„?

Ich fragte mich: „Was ist dein persönliches Ideal?“ Meines ist es, ein guter Mensch zu sein und selbstlos für andere zu handeln. Ein Ideal vor Augen zu haben und immer wieder danach zu streben.

Wer ist dein Ideal – an wem hast du dich orientiert?

Meine Freundin Elisabeth … in ihrer Sanftheit, Güte und Liebe zu den Menschen. Gleichzeitig erkannte ich ihre Verletzlichkeit bedingt durch das Weiche.

Also habt ihr voneinander gelernt …

Ja. Als sie sich damals beruflich selbstständig machte, half ihr mein Input, und ich bin dankbar für diese schöne und symbiotische Zeit.

Schließlich fragte ich mich: „Wie will ich persönlich sein?“ Ich will anderen Menschen helfen. Ihnen im Gespräch das mitgeben, was mir zuteil wurde. In einem Umfeld arbeiten, das thematisch Sinn macht. Mein persönliches Schäufelchen für den Frieden der Welt beitragen.

Und dann kam 2015 die Flüchtlingswelle. Meine Begegnung mit Ahmad wurde zur Bereicherung für mein Leben …

Wer ist Ahmad?

Im Juli 2016 vermittelte mir eine Freundin den Kontakt zu einem jungen Flüchtling in Berlin: Riad. Riad suchte eine Bleibe in Wien, um seinen Bruder Ahmad wiederzusehen, der erst kürzlich in einem Flüchtlingsheim in Wien untergekommen war. Ich stellte meine Wohnung zur Verfügung und schob alle meine durch Zeitungsberichte geschürten Ängste beiseite. Das war nicht ganz einfach (schmunzelt).

In diesen drei Wochen zeigte ich den beiden die Stadt, sie erzählten mir ihre unterschiedlichen Fluchtgeschichten und berichteten von ihrer Heimat und ihrer Kindheit. Als Riad wieder nach Berlin zurück musste, intensivierte sich die Freundschaft zu Ahmad. Ich begleite ihn auf seinem Lebensweg, zeige ihm die Beatles, Elvis, das Wiener Neujahrskonzert, aber auch unsere Kultur und Sprache. Ahmad gehört ganz einfach zur Familie.

Und jetzt sind wir schon bei meiner beruflichen Leidenschaft: epicenter.works.

Wunderbar, bitte erzähl‘ mehr darüber.

epicenter.works ist die führende österreichische NGO für die Stärkung der Grund- und Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter. Unser spendenfinanzierter Verein engagiert sich gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung, für das Grundrecht auf Datenschutz und für ein freies, offenes Internet. Wir versuchen, Bürgerinnen und Bürger davor zu bewahren, gläsern und unter Generalverdacht gestellt zu werden und setzen uns dafür ein, dass die in unserem Dienste stehenden Institutionen und Regierungen für uns transparent werden.

Ich bin zuständig für die Partnerbetreuung, Crowdfunding & Finanzen und lerne viel von meinen jungen Kollegen. Sie sind sehr gebildet, haben jedoch einen ganz anderen Zugang zum Leben, als ich ihn gelernt hatte. Statussymbole sind ihnen komplett fremd.

Es ist toll, dass epicenter.works – mit den Menschenrechten als vorderstes Ziel – versucht, die nötigen Rahmenbedingungen in unserer digitalen Welt für ein friedvolles Miteinander zu gestalten.

Netzpolitik findet dort statt, wo die Politik das Internet und das Internet die Politik beeinflusst. epicenter.works liegt auch die Forderung, neue Technologien im Sinne einer posititiven Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu nutzen, am Herzen. Wir arbeiten nahe am Gesetzgebungsprozess und schaffen mit unseren Kampagnen und Informationsmaterialien Bewusstsein für einen selbstbestimmten Umgang mit der Digitalisierung und akzeptieren nicht, dass blind Überwachungsgesetze auf Kosten unserer Freiheit gemacht werden. Dafür müssen jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen werden, wozu eine starke Zivilbevölkerung vonnöten ist …

Wie schafft man diese?

Es gab „Whistle Blower“ wie Snowden oder Assange, die Infos nach außen trugen. Das Themenfeld ist jedoch sehr abstrakt – es ist z.B. schwer zu verstehen, welche Folgen das neue Überwachungspaket auf die persönliche Freiheit unserer Gesellschaft hat. Da glaubt man sich ausgeliefert und denkt: „Sie überwachen uns eh schon alle, da kann man gar nichts mehr tun“, und stellt sich, ganz nebenbei, die dritte Alexa ins Wohnzimmer, „weil’s eh schon wurscht ist.“ Dem ist aber nicht so:

Wir sind (noch) nicht China, wo es Bewertungspunktesysteme für  jeden einzelnen Schritt eines Bürgers gibt. Kauft man in China z.B. ein gesundes Müsli, gibt’s Pluspunkte – für Naschereien Minuspunkte.

Es ist spannend, denn in den kommenden Jahren werden richtungsweisende Gesetze für die digitale Welt geschaffen, die für uns und unsere Kinder gelten werden. Deshalb ist es wichtig, sich zu informieren und zu vernetzen. epicenter.works ist davon überzeugt, dass eine starke Zivilgesellschaft mitgestalten kann. Wir haben regelmäßige Newsletter, man kann uns auf Social Media folgen oder einfach zu unseren Treffen kommen. Jeden ersten Donnerstag im Monat gibt es z.B. in Wien den Netzpolitischen Abend, aber auch in einigen Bundesländern werden Treffen angeboten (Infos dazu auf unserer Website).

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Buskers (Straßenkunst) Festival am Karlsplatz, Anfang September 2018

Da der Verein spendenfinanziert ist, ist uns natürlich mit jedem Beitrag geholfen. Seit letzter Woche kann man auch Fördermitglied bei epicenter.works werden. Als Dankeschön haben wir uns tolle Goodies überlegt, z.B. ein digitales Selbstverteidigungspackage zum Schutz vor staatlicher Überwachung mit einer RFID-Schutzhülle für die Bankomatkarte, Laptop-/Handykameraabdeckung, USB-Stick, Ratgeber etc. (Infos)

Worauf seid ihr besonders stolz?

Der größte Erfolg des Vereins (damals noch AKVorrat!) war die Annullierung der EU-Richtlinie zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Der Europäische Gerichtshof hob nach unserem jahrelangen Kampf das Gesetz zur Gänze auf – weil es nicht der Europäischen Grundrechtecharta entspricht, personenbezogene Daten der Bürger anlasslos zu speichern. Der Fokus der letzten beiden Jahre waren klar die neuen Überwachungsgesetze. Wir sind stolz, dass wir es durch unsere Kampagnen geschafft haben, zweimal die Gesetzesvorschläge zu verhindern und zu entkräften.

Weiters wurde HEAT 2016 mit der Unterstützung von netidee umgesetzt und gewann den Sonderpreis in der Kategorie „Internet Privacy“. Ende November 2018 bekamen wir übrigens nicht nur eine Förderung von netidee, sondern auch den Martin-Prager-Integrationspreis, worüber wir uns natürlich sehr gefreut haben. Siehe auch: Video zur „Überwachungsgesamtrechnung„, sowie die nun folgende Fotogallerie:

Was möchtest du den Lesern am Ende unseres Interviews sagen?

Wir Menschen haben etwas, das Algorithmen und Maschinen nicht haben: Gefühle, Freude, Kreativität, Humor, das Miteinander, Freundschaften und Liebe. Darauf sollten wir uns immer wieder besinnen und die digitalen Möglichkeiten unserer Zeit als Chance für eine bessere Welt nützen.

Tanja, danke für dieses schöne Gespräch!

 

Credits

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01_Tanja-Neusiedlersee 01_Tanja-Neusiedlersee 1 ©Tanja Mally
02_Tanja 02_Buskers (Straßenkunst) Festival am Karlsplatz 1 ©Tanja Mally
00_Cover_Tanja-Mally-Teil-2 00_Cover_Tanja-Mally-Teil-2 1 ©Tanja Mally
05_Netidee-Event 05_Netidee-Event 1 (c) Anna Rauchenberger
04_Netidee-Event 04_Netidee-Event 1 (c) Anna Rauchenberger
03_Netidee-Event 03_Netidee-Event 1 (c) Anna Rauchenberger
02_Daniela Unterholzner 02_Daniela Unterholzner 1 (c) Anna Rauchenberger
01_Netidee-Event 01_Netidee-Event 1 (c) Anna Rauchenberger