Identitäre Kulturrevolution?

Identitäre Kulturrevolution
Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
4. 10. 2016
Veranstalter
Renner Institut
Ort
Karl Renner Institut, Gartenhotel Altmannsdorf (Hotel 1)
Veranstaltungsart
Podiumsdiskussion
Teilnehmer
Julian Bruns, Skandinavist, Publizist
Natascha Strobl, Politikwissenschafterin, Publizistin
Michael Rosecker, Moderator, Bereichsleiter politisches Management und Grundlagenarbeit Rennerinstitut
Am 20. Oktober 2012 besetzten Mitglieder der Generation Identitaire die in Bau befindliche Moschee im französischen Poitiers. Seitdem sind die schwarz-gelben Farben, das Lambda und die Zahl 732 – das Jahr der Schlacht von Tours und Poitiers, bei der Karl Martell die über Spanien eindringenden Mauren zurückschlug – die Markenzeichen der Bewegung, die ihr Anliegen in einem Video klar zum Ausdruck bringt: eine Kriegserklärung an die in ihren Augen völlig gescheiterte europäische Politik des Multikulturalismus.

Ihre Anhänger sehen sich in der Tradition der konservativen Revolution nach dem ersten Weltkrieg: Ablehnung der Demokratie, Herrschaft der Elite, der Wunsch nach einem starken, autoritären Staat. Ernst Jünger und Carl Schmitt sind ihre Vordenker – beide haben ein ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus, den die Identitären auch ablehnen. Dennoch tauchen Begriffe wie homogene Volksgemeinschaft und Ungleichwertigkeit der Kulturen bei ihnen auf. Ziel der Identitären ist die Kulturrevolution von Rechts, also die Abschaffung der Veränderungen, die die 68er-Bewegung gebracht hat. Die Ideologie soll über den Diskurs verbreitet werden. Hier ist vor allem auf die Infiltrierung der Sprache über die Etablierung von Begriffen wie Asylforderer hinzuweisen. Ihre Aktionen finden im vorpolitischen Raum statt: an der Uni, auf der Straße, in Zeitungen und im Internet. Sie haben auch nicht den Anspruch, Partei zu werden.

Wir sind im Verhältnis zu patriotischen Parteien, wie Greenpeace zu den Grünen.

Führender Kopf in der deutschsprachigen Szene ist der Österreicher Martin Sellner, Obmann der IBÖ. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, die Bewegung in Deutschland aufzubauen. Dort sind Sellners Freund Götz Kubitschek und seine Ehefrau Ellen Kositza (gemeinsam verlegen sie das Szeneblatt Sezession) die bekanntesten Persönlichkeiten. Sie alle greifen die von Renaud Camus geprägte Parole Der große Austausch auf – mit selbigem Titel veröffentliche Sellner vor etwa einem Jahr bei Andreas Unterberger einen Artikel – in dem sie vor einer Verdrängung der europäischen Völker durch Zuwanderer und dem damit verbundenen Untergang der europäischen Kultur warnen.

Als Vorbild für ihre Bewegung sehen die Identitären unter anderem die italienische CasaPound, die 2003 aus einer Hausbesetzung in Rom hervorgegangen ist und mittlerweile in ganz Italien Anhänger findet. Damals protestierte die Gruppe gegen die hohen Mietpreise, die laut ihrer Meinung aber nur für echte Römer galten, nicht aber für Asylanten. Die Bewegung wird in Italien als eindeutig neofaschistisch eingeschätzt, was an ihrer Symbolik auch abgelesen werden kann. Weitere Vorbilder der Identitären sind Graf Stauffenberg (der aus dem gleichen rechtskonservativen Elitedenken kommt), aber interessanterweise auch Sophie Scholl, die zwar durchaus konservativ war, mit dem restlichen Gedankengut der Identitären aber wenig hätte anfangen können.

Der Rassenbegriff der Nationalsozialisten taucht bei den Identitären nicht mehr auf – Rasse wird bei ihnen durch Kultur ersetzt, der Kampf der Kulturen sei in vollem Gange. Sie treten gegen die Vermischung unterschiedlicher Kulturen auf – Multikulti ist für sie das Hassobjekt schlechthin. Der Kulturbegriff selbst wirkt etwas plump, da er zB Gegen- und Subkulturen nicht thematisiert, und laut Julian Bruns eigentlich nirgends genau definiert wird. Durch diese neue, schwammige Verpackung alter Ideen soll zB der Antiislamismus massentauglich gemacht werden – die Erfolge geben dieser Strategie recht.

Das von der AfD und anderen Parteien bekannte Nichtfestlegen – man trifft eine Aussage und rudert wieder zurück, wenn man merkt, daß sie nicht mehrheitsfähig ist – wird auch von den Identitären praktiziert.

Organisatorisch sind die Identitären wie ein Franchise-Unternehmen aufgebaut: Die Corporate Identity ist vorgegeben, in Ländern und Städten können „Filialen“ eröffnet werden, die Verbreitung funktioniert einfach. Es gibt (bisher) keinen europäischen Dachverband. Der Zusammenhalt wird über regelmäßige Stammtische, Wanderungen und Feste gepflegt und ausgebaut.

Politisch findet die Bewegung Anschluß an Parteien wie die AfD (Kubitschek ist ein Jugendfreund von Bernd Höcke) und die FPÖ (Herbert Kickl spricht am diesjährigen Europatreffen der Identitären), aber auch an die UKIP in Großbritannien oder an die panskandinavische Bewegung. In Frankreich hat sich Marine Le Pen von den Identitären distanziert, was im Hinblick auf den kommenden Präsidentschaftswahlkampf und das damit notwendige, staatstragende Auftreten wenig überrascht.

Zielgruppe sind vor allem die 15 bis 35-jährigen, die über die Popkultur (Simpsons, Southpark, Fight Club, The Crow, Avatar) und mit vielfältigem Aktionismus, der von den Linken und diversen NGOs (Greenpeace ist ein Vorbild) kopiert und erweitert wird (siehe obige Moscheenbesetzung mit großen Transparenten etc) angesprochen werden. Beispiele in Wien waren die Votivkirchenbesetzung (die nach vier Stunden angesichts der Winterkälte wieder beendet wurde), Enthauptungen a la IS auf öffentlichen Plätzen und die Stürmung des AudiMax während einer Theatheraufführung einer Flüchtlingsgruppe und dem Verspritzen von künstlichem Blut. Auch im Präsidentschaftswahlkampf machen sie massiv Stimmung gegen Alexander van der Bellen.

Auch die neuen Medien werden erfolgreich genutzt, um oben genannte Zielgruppen zu erreichen: Auf Facebook findet man die Identitären Generation ebenso, wie auf Twitter.

Auf tumblr brennt das Wirkungsfeuer, es gibt eine VLOG-Reihe auf youtube, die von Martin Sellner geführt wird. Im Fanshop gibt es unzählige, meist zweideutige T-Shirts (zB Lampedusa Coastguard) und andere erwerbbare Produkte, meist in schwarz-gelb gehalten. Das Merchandising ist professionell und deckt wohl einen Teil der Ausgaben ab. Der Rest wird über private Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert. Mitglieder der Bewegung sollen auch direkt bei der FPÖ bzw in deren Dunstkreis angestellt sein. Ob Russland auch hier (wie im Falle vieler anderer Bewegungen und Parteien in Europa, die teils weit rechts der Mitte stehen) finanzielle Unterstützung leistet, ist nicht bekannt. Geld dürfte jedenfalls genügend im Spiel sein, da laut Bruns kürzlich Immobilien in Graz und Linz angeschafft wurden.

Europa spielt in der Ideologie der Identitären in dreierlei Form eine Rolle: das Europa der Vaterländer, Die Nation Europa (im gemeinsamen Abwehrkampf gegen den Islam) sowie das Europa der Regionen. Jedes Mitglied muß sich zu diesem Grundsatz bekennen.

Das Wirtschaftskonzept scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken. Obwohl man sich teilweise vom aktuellen Wirtschaftssystem distanziert, unterscheiden manche Mitglieder doch zwischen raffendem und schaffendem Kapitalismus. Auch hier fokussiert man sich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwanderung und weniger auf die globalen Zusammenhänge, die zB hinter den Massenfluchtbewegungen der heutigen Zeit stehen. Der Traum von den Inseln der Seligen – für jedes Volk schön getrennt – scheint hier doch ein wenig den Sinn für die Realität zu trüben. Es fehlt jedenfalls ein klares Gegenkonzept. Daß sich aus der Ideologie der Trennung der Kulturen ein Ansatzpunkt für Wirtschaftsinteressen, die an Konflikten und Kriegen verdienen, ergibt, scheint auch übersehen zu werden.

Zur Verankerung der Identitären in der Bevölkerung gibt es noch keine Untersuchungen. In der Langzeitstudie Deutsche Zustände vom Soziologen Wilhelm Heitmeyer lässt sich jedenfalls ein Anstieg von Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten feststellen. Tritt man den Argumenten der Identitären entgegen, so merkt man laut den beiden Vortragenden oft, wie viel die herrschende Politik in den letzten Jahrzehnten bereits zerstört hat: Viele Menschen interessieren Gegenargumente nicht mehr. Die Hauptsache für sie ist, daß endlich jemand mit der jetzigen Situation aufräumt – und wenn dies auch nur mit einfachen Parolen geschieht.

Persönliches Fazit: Auch wenn es innerhalb der Bewegung rechtsextreme Tendenzen gibt, so würde ich die Bewegung in ihrer Gesamtheit – zumindest bisher – nicht als rechtsextrem oder nazistisch einstufen. Dieser Begriff wird heute mMn zu inflationär eingesetzt.Das Gedankengut der Identitären beinhaltet aber die Anlage, zu ähnlichen Zuständen zu führen, wie wir sie aus der Geschichte des Dritten Reiches kennen. Der Haß auf alles, was angeblich Links ist (zB Eva Glawischnig, oder die linken Globalisierer – wer auch immer das sein soll: die überwiegende Mehrheit der Linken lehnen die Globalisierung ab) und das zunehmende verbale Aggressionspotenzial lassen für die zukünftige Entwicklung der Bewegung ebenso die Alarmglocken schrillen, wie die Strategie, ihre Interessen ausschließlich außerparlamentarisch durchsetzen zu wollen.

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identitaere Jeff Mangione Bildrechte liegen bei Kurier
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Diskussion (Ein Kommentar)

  1. Manche meinen es gäbe eine „dritte Türkenbelagerung“ die abgewehrt werden muss. Daher machen sie sich auf um Widerstand zu leisten. Eine Kreuzzugsmentaltiät gibt ihnen ein Gemeinschaftsgefühl.
    Zu lange wurden die Menschen alleine gelassen mit den Folgen einer Zuwanderung die keine gesicherte Integration beinhaltet hat. Das rächt sich jetzt. Und im selben Maß wie sich rechts die Front aufbaut, wird auch Links die Szene radikaler. Antifas sehen in der Polizei, im Staat eine Gegner der angegriffen werden muss, weil er diese „Nazis“ schützt

    In diesem Artikel wird ein differenzierteres Fazit gezogen, als dieses einfache Abstempeln .Dies ist der Geist der in der heutigen Zeit benötigt wird. Kein Schwarz-Weiss Denken. Sondern ein Farbensehen.