Kuba – Auf der Suche nach einer neuen Erzählung

Cuba, Havana, Malecon
Gesellschaft

Viva la revolucion! Patria o muerte! Die Schlachtrufe vom Ende der Fünfzigerjahre prangen an Häuserwänden und Plakaten, im Museum der Revolution im ehemaligen Präsidentenpalast sieht man Einschusslöcher und Militärgeräte von damals. Ebenso wie diese Warnungen aus alter Zeit scheinen auch die Schlachtrufe von damals nicht mehr so zugkräftig zu sein. Kein Wunder: Die proklamierte immerwährende Revolution ist schwer durchzuhalten.

Das Land, die Menschen sind zusammengeschweißt: durch die lange Blockade der USA, die damit verbundenen Entbehrungen und die andauernde Gefahr einer Invasion durch den übermächtigen Nachbarn, dessen Geheimdienste vor allem in den Sechzigerjahren zahllose Anschläge und Umsturzaktionen auf Kuba durchführten. Dies ist auch der Grund für das hohe Nationalbewusstsein der Kubaner.

Man darf diese Leistung, sich neben den USA als Todfeind eine Lebensgrundlage zu erarbeiten, nicht unterschätzen: Was tun, wenn der bis dahin größte Exportmarkt und der größte Energielieferant eine jahrzehntelange Blockade verhängt? Wenn man keinen uneingeschränkten Zugang zum internationalen Finanzmarkt hat und Außenhandel fast unmöglich wird? Wenn man zeitgleich ein ausgebeutetes Land, das durch die Jahrhunderte dauernde Fremdherrschaft gezeichnet war, neu organisieren muss: Bildung, Nahrung, Kleidung, Jobs.

Nicht selten führen die daraus entstehenden Engpässe zu (vom Blockadeland gewünschten) Aufständen und politischen Veränderungen. Dank der Unterstützung der Sowjetunion und – nach deren Zusammenbruch – der engen Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Staaten (vor allem Venezuela) konnte Kuba diese massiven Herausforderungen ziemlich gut meistern.

Wenn man sich die (gratis) Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen ansieht, dann ist Kuba in manchen Bereichen für den Westen sogar ein Vorbild.

Dennoch: Die mit Obama begonnene Entspannung zur USA lässt – sofern sie weitergeführt wird (was unter der aktuellen Administration alles andere als sicher ist) – die Helden der Vergangenheit langsam verblassen. Als Letzter ist Fidel Castro vor wenigen Jahren verstorben, sein Bruder Raúl, der momentan die Staatsgeschäfte leitet, ist auch schon im Winter seines Lebens. Kuba wird eine neue Erzählung für seine Identität benötigen. Ob diese im Zuge der Entspannung zum Westen stattfindet, wird die Zukunft zeigen. Die Jugend wird sich mit den alten Geschichten wohl nicht mehr lange zufriedengeben.

Zeit im Überfluss

Man geht an einem Häuserblock vorbei, an dem gearbeitet wird. Zwei kubanische Bauarbeiter unterhalten sich angeregt. Fünfzehn Minuten später kommt man wieder am Gebäude vorbei, die beiden stehen immer noch da. Man steht in einem Schnellimbiss an der Theke: Minuten vergehen, bis der gelangweilte Angestellte die Bestellung entgegennimmt, stattdessen werden Listen geschrieben.

Zwei Beispiele von zahllosen. Zeit scheint in Kuba keine Rolle zu spielen. Als kommunistisches Land hat man die Arbeitslosigkeit abgeschafft – mit der Auswirkung, dass zahllose Menschen den ganzen Tag herumstehen, sich mit anderen unterhalten oder einfach nur den Tag vergehen lassen.

In allen Restaurants gibt es Bedienstete im Überfluss, in Museen sitzt in jedem Zimmer eine Aufpasserin. Die technische Ausstattung ist allgemein eher gering und auch nicht notwendig, da genügend menschliche Arbeitskraft vorhanden ist. Egal ob man ein Zimmer reserviert oder einen Transfer, oder ob man ein Auto mietet: Alles ist sehr zeitintensiv und mit einer Unmenge an Zettelwirtschaft verbunden – auch wenn das Papier manchmal (wie beim Zoll passiert) nur eingesammelt, aber nicht kontrolliert wird. Akten sortieren ist schließlich auch ein Job.

Bei vielen Europäern ist diese Gemächlichkeit – als Gegensatz zur zunehmenden Hektik des (Arbeits-)Lebens in ihrer Heimat – sehr beliebt, Kuba ist ja gerade aufgrund dieses Lebensgefühls, dass nicht alles an Effizienz und Profit gemessen wird, Ziel von Urlaubern wie Aussteigern.

Gegen Müßiggang ist prinzipiell auch nichts einzuwenden, wenn er nicht dazu führt, dass das Land und seine Gesellschaft in seiner Entwicklung stillsteht. Überspitzt gesagt: Wenn man die Tage damit verbringt, Löcher in die Luft zu starren, dann wird das der persönlichen Entwicklung wenig zuträglich sein.

Utopisten wie Sir Thomas Moore haben ja richtigerweise festgestellt, dass man für die notwendigen Dinge des Lebens keinesfalls acht oder mehr Stunden pro Tag arbeiten muss. Allerdings hofften sie, dass sich der Mensch dann in seiner üppigen Freizeit mit Kunst, Kultur, Sport und anderen Hobbys befasst und so die geistige und soziale Entwicklung der Gesellschaft befördert. Dieser Teil der Idee ist in Kuba leider sehr gering ausgeprägt.

In den (vor allem im Tourismus) langsam mehr werdenden Privatunternehmen scheint die Sache etwas besser zu laufen. Auch wenn sie hohen Steuern unterworfen sind (private Gewinne müssen zu einem erheblichen Teil der Allgemeinheit zu Gute kommen – ein im Westen komplett vergessener, richtiger Ansatz), so scheint der Anreiz zu wachsen, sich selbst zu organisieren.

Der Mittelweg zwischen westlicher Hektik und kubanischer Gemächlichkeit ist aber noch lange nicht erreicht.

„Apartheid“ auf kubanisch

Auf Kuba gibt es zwei Währungen: eine für Kubaner (den CUP) und eine (viel teurere) für Touristen (den CUC). Ausländern ist es bei hohen Strafen verboten, CUP auszuführen oder mit diesen zu bezahlen. Von manchen Bussen und Taxis dürfen Ausländer nicht transportiert werden – tun sie es dennoch, winken saftige Strafen. Auch manche Shops (bei denen sich meist lange Schlangen bilden) sind den Inselbewohnern vorbehalten.

Kubaner haben keinen Zugang zum World Wide Web, für Touristen gibt es dies – zu hohen Preisen in den gehobenen Hotels.

Dem System der zwei Währungen ist etwas abzugewinnen: Während man von Touristen aus den meist entwickelten/reicheren Ländern abkassiert, kann für die Einheimischen ein erträgliches Niveau der Lebenserhaltung gewährleistet werden. Ein kluger Weg für ein Schwellenland. Dennoch hat auch dieses System seine Schattenseite: Viele Kubaner – vor allem in den Touristenzentren – sehen den Ausländer als wandelnden Geldautomaten.

Die begehrten CUC verleiten zum Verlangen überhöhter Preise, fast immer muss gehandelt werden, bei jedem Parkvorgang mit dem Auto in- und außerhalb von Städten findet sich ein Kubaner, der „aufs Auto aufpasst“ (gegen Bezahlung natürlich).

Alles in allem ist Kuba jedenfalls eine Reise wert. Einerseits ob der Natur und der Sehenswürdigkeiten, andererseits als „Zeitreise“ in die Welt des Realsozialismus. Es empfielt sich, des Spanischen mächtig zu sein, da fast alle Museen und Sehenswürdigkeiten ausschließlich spanisch betextet sind und nur sehr wenige Kubaner englisch sprechen.

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Cuba, Havana, Malecon Cuba, Havana, Malecon Markus Leupold-Löwenthal CC BY-SA 4.0
Politische Statements Politische Statements Markus Leupold-Löwenthal CC BY-SA 4.0
Cuba, Santa Clara, Estatua Che y Nino Cuba, Santa Clara, Estatua Che y Nino Markus Leupold-Löwenthal CC BY-SA 4.0
Rincon de los Cretinos, Havana Rincon de los Cretinos Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Hasta la victoria siempre Hasta la victoria siempre Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Südstrand bei Santiago Südstrand bei Santiago Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Doline Doline Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Varadero Varadero Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Jose Marti Monument, Havana Jose Marti Monument, Havana Christian Janisch CC BY-SA 4.0
Fidel Castro, Havana Fidel Castro, Havana Christian Janisch CC BY-SA 4.0