NR-Wahl 2017: Warum Kurz gewann, das Ende der Grünen und wieso Inszenierung vor Inhalt geht

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Meinung

Dieses Mal kann man den Demoskopen wenig vorwerfen: Trotz einer neuen Partei (Liste Pilz) und einer sehr volatilen Wählerschaft wurde das Ergebnis der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 relativ genau vorhergesagt. Wie in den Umfragen angekündigt kam es zu einer politischen Zäsur.

Auch wenn man noch auf die endgültige Verkündigung des Wahlergebnisses am Donnerstag warten muss, so können bereits jetzt zwei klare Trends aus dem vorläufigen Ergebnis abgelesen werden: Österreich rückt massiv nach rechts, die Grünen erleiden eine wahre Erdrutsch-Niederlage und fliegen nach 31 Jahren aus dem Parlament.

Sebastian Kurz beschert der ÖVP das größte prozentuelle Plus seit Jahrzehnten – abgesehen von Wolfgang Schüssels großem Triumph aus dem Jahr 2002 – und schickt sich damit an, Christian Kern als Bundeskanzler zu beerben. Die FPÖ konnte trotz der inhaltlich starken Konkurrenz der ÖVP – die Parteiprogramme sind in manchen Bereichen fast ident – deutlich dazugewinnen und hat hervorragende Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung. Doch etwas überraschend ist das relativ starke Ergebnis der SPÖ: Trotz der Affäre Silberstein und zahlreicher weiterer Wahlkampf Pannen hielt Christian Kern das Ergebnis aus dem Jahr 2013.

Mit einem sehr engagierten Wahlkampf und der Verpflichtung der unabhängigen Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss gelang es den NEOS, ihr Ergebnis aus dem Jahre 2013 leicht zu verbessern – und das trotz der Konkurrenz von Sebastian Kurz.

Peter Pilz schafft auf Anhieb den Einzug, mit vielen Neulingen, aber auch einigen erfahrenen Mitstreitern und das ohne Parteiapparat und ohne Auftritte in den Wahlkampf-Sendungen des ORF.

Der große Verlierer dieser Wahl sind Die Grünen die nach einem schwachen Wahlkampf (man erinnere sich an das Plakat „Sei ein Mann und wähle eine Frau“) hart am Boden der Realität aufschlugen und nach 31 Jahren aus dem Nationalrat fliegen – eine Katastrophe für die erfolgsverwöhnte Partei, die trotz schlechter Umfragen den Ernst der Lage überhaupt nicht erkannt hatte.

Grünes Jammertal

Die Reaktionen der grünen Spitze am Wahlabend waren wenig hilfreich, was die Analyse dieses Ergebnisses angeht:

Peter Pilz wurde die Schuld zugeschoben, die Partei gespalten zu haben – obwohl die Grünen von ihren knapp 560.000 Stimmen 2013 nur 67.000 Stimmen an Pilz verloren haben, an die SPÖ aber 164.000, an die ÖVP 84.000 – und auch an die NEOS gaben die Grünen im Saldo Stimmen ab, wie die Wählerstromanalyse zeigt.

Die Probleme der Ökopartei liegen aber viel tiefer. Neben Klimaschutz und Feminismus drang in diesem Wahlkampf thematisch nicht viel durch, eine tapfer kämpfende Ulrike Lunacek versuchte dies zu überdecken – vergeblich. Mit dem bereits bei den Landtagswahlen in Wien gebrachten Thema „Miethaie“ und sozialen Themen konnten die Grünen dieses Mal thematisch überhaupt nicht punkten; völlig out of touch zum Empfinden der großen Mehrheit der Österreicher positioniert waren die Grünen bei der Causa Prima in diesem Wahlkampf, dem Migrations-, Zuwanderungs- & Integrationsthema; ein wahlpolitisches Desaster gerade auch in ihren Hochburgen, den Städten, war die Folge.

In den Umfragen eine Woche vor der Wahl bei 4 bis 5% angelangt, erkannte die Partei den Ernst der Lage überhaupt nicht und ließ sich von Christian Kerns schwarz-blauen Warnungen in den letzten Tagen wehrlos grüne Stamm- & Wechselwähler abwerben. Dabei wäre die Argumentation gegen diesen SPÖ-Schmäh ganz leicht gewesen:

Jede Stimme für die SPÖ erhöhte die Wahrscheinlichkeit von der aus der Sicht vieler Grün-Wähler kritisch gesehenen rot-blauen Koalitionsvariante – doch Felipe, Lunacek, Kogler & Co. protestierten gegen diese „Vollholler“- Argumentation der SPÖ nicht einmal … Und das obwohl die SPÖ erstmals seit 1983 rot-blau explizit nicht ausgeschlossen hatte … ein unfassbarer taktischer und strategischer Fehler der Grünen in der Wahlkampfschlussphase, der die Bundespartei nun auch in eine schwere Schuldenkrise stürzt.

Mit dem Abgang von Pilz hatten die Grünen ihren wichtigsten innerparteilichen Kritiker verloren, freilich durch eine basisdemokratische Abstimmung. Aber: Wenn man mit Julian Schmid einen der jungen Hoffnungsträger der Partei gegen Peter Pilz, einen der erfolgreichsten grünen Politiker der letzten dreißig Jahre um einen Listenplatz antreten lässt, und Pilz schon in den vergangenen Jahren öffentlich rügt, dass er mit seiner Islam-kritischen und linkspopulistischen Positionierung nicht in die Partei passe, dann darf man sich nicht wundern, wenn dieser ein eigenes Projekt startet.

Nach der Wahl wehleidig zu reagieren, hilft der unbedingt notwendigen Neuordnung der Grünen sicher nicht weiter. Auch das Image der ewigen Besserwisser trägt nicht gerade zur Beliebtheit beim Wähler bei.

Zahlentechnisch das größte Problem der Grünen dürfte das Ergebnis in Wien sein: 2013 gewannen sie fünf Bezirke innerhalb des Gürtels, diesmal landeten sie in manchen davon nur noch auf Rang vier. Viele der Stimmen gingen an die SPÖ, die fast 35 Prozent in Wien erreichte: ein Zugewinn von 3%  für die SPÖ gegenüber der Nationalratswahl 2013.

Realität statt Satire

Sebastian Kurz vermittelte den Österreichern erfolgreich das Gefühl von Sicherheit

Zahlreiche Experten sind der Ansicht, dass Sebastian Kurz bereits im Herbst 2015 die Weichen für seinen Sieg bei der Nationalratswahl stellte, als er seine progressive Positionierung beim Zuwanderung-, Integrations- & Flüchtlingsthema verließ und vom Befürworter der Willkommenskultur zum scharfen Kritiker dieser wurde.

Alle Bemühungen der FPÖ, die Wähler an diese Haltungsänderung von Sebastian Kurz im Wahlkampf 2017 zu erinnern, waren vergeblich, denn der Shootingstar aus Meidling hatte sich auf europäischer Ebene für seine neue politische Linie bereits massiv eingesetzt, reklamierte bei den Wählern erfolgreich die Schließung der Balkanroute für sich und inszenierte sich auch erfolgreich als beharrlicher Verhandler, der nun auch die Mittelmeerroute schließen werde …

Eine taktische und strategische Meisterleistung von Sebastian Kurz, Kern und Strache hatten das Nachsehen. Sebastian Kurz gelang es erfolgreich, den Österreichern das Gefühl zu vermitteln, dass er sie schützen könne vor illegaler Zuwanderung – und gewann damit die Nationalratswahl 2017.

Schwarz-Blau

Das starke Ergebnis der SPÖ in Wien dürfte auch für Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle spielen. Denn während die Rot-Blau-favorisierende SPÖ im Burgenland 4% verlor, konnte die FPÖ-kritische Wiener Partei ihr Ergebnis auf Kosten der Wiener Grünen klar verbessern. Damit fühlt sich Bürgermeister Häupl gestärkt und wird versuchen, Rot-Blau im Bund zu verhindern. Parteichef Kern hält sich aber weiterhin alle Optionen offen. Seine Ankündigung, bei Platz zwei in die Opposition zu gehen, revidierte er jedenfalls schon mal in der ersten Elefantenrunde.

Am wahrscheinlichsten aber bleibt Schwarz-Blau. Diese Koalition war schon vor den Wahlen die wahrscheinlichste und beim Wahlvolk beliebteste, zumal HC Strache am Wahlabend richtig analysierte: Nahezu 60 Prozent der Österreicher haben das FPÖ-Programm gewählt.

Ganz kann man Rot-Blau aber noch nicht ausschließen: Denn aus gut unterrichteten Kreisen war zu hören, dass Strache kein großer Fan von Sebastian Kurz sei und lieber mit einer SPÖ unter einem möglichen Kern-Nachfolger Doskozil koalieren würde. Angesichts des gestärkten Michael Häupl bei den Sozialdemokraten scheint diese Variante aber derzeit etwas unwahrscheinlicher geworden zu sein.

Eines wird für Sebastian Kurz jedenfalls nicht leicht werden: Die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Das wahrscheinlich größte Problem dabei wird (wie für viele seiner Vorgänger) seine eigene Partei sein. Bernhard Görg, ÖVP-Urgestein, meinte vor Kurzem, dass man Sebastian Kurz von Seiten der Partei vor der Wahl selbstverständlich alle Vollmachten gegeben hätte, dass es aber genauso selbstverständlich sei, dass Kurz diese niemals anwenden dürfe.

Fazit: Inszenierung schlägt Inhalt

Das Ergebnis ist klar: Österreich will eine Mitte-Rechts-Regierung, mit all den innenpolitischen (Sozialabbau) und außenpolitischen (Annäherung an die Visegrad-Staaten) Konsequenzen. Dies ist als Demokrat zu akzeptieren.

Doch bleiben einige Fragen offen, die für die Demokratie nicht unwichtig sind:

Unbestreitbar hatten die Grünen 2017 viele Probleme, die meisten davon waren hausgemacht. Aber warum wurden gerade sie vom Wähler so massiv abgestraft, während eine durch die Affäre Silberstein moralisch angeschlagene SPÖ ihr Ergebnis halten konnte?

Die Antwort hängt möglicherweise mit einer weiteren, viel tiefer gehenden Frage zusammen:

Wie wichtig sind Inhalte im Wahlkampf? Die Antwort – auch im Hinblick auf andere internationale Wahlkämpfe der letzten Zeit – scheint eindeutig: Persönlichkeitswahlkämpfe und Inszenierungen schlagen jeden Inhalt.

Alle drei größeren Parteien setzten im Wahlkampf auf ihre Spitzenkandidaten. Emotionen wurden geschürt, anstatt dem Wähler die Programme näher zu bringen oder gar zu erklären. Interessanterweise muss man gerade FPÖ-Chef HC Strache zu Gute halten, dass er zumindest versucht hat, mit staatsmännischem Auftreten den vergifteten Umgangston zu entschärfen. Doch viel mehr als populistische Forderungen kamen, wie auch bei ÖVP und SPÖ, auch bei ihm nicht zum Vorschein.

Dagegen versuchte ein engagierter Matthias Strolz bei diversen TV-Konfrontationen regelmäßig, seinen Kontrahenten Vorschläge zu machen, um noch vor den Wahlen wichtige Anliegen umzusetzen. Auch Ulrike Lunacek erging sich (zumindest vor dem Wahltag) nicht in Selbstmitleid angesichts der schwierigen Ausgangslage, sondern versuchte sich konstruktiv zu verhalten. Doch diese Sachlichkeit wurde von den Wählern nicht goutiert.

Die Zuspitzung auf den Dreikampf und der Aufruf der SPÖ, Schwarz-Blau zu verhindern, waren offensichtlich erfolgreichere Wahlmotive. Skandale wurden ignoriert und Sebastian Kurz wurde mit amerikanischen Wahlkampfinszenierungen sehr erfolgreich als Heilsbringer für das Land von der neuen Volkspartei inszeniert.

Oft wird geschrieben und gesagt, dass der Wähler Inhalte verlange und das Gezänke zwischen den Politikern nicht mehr sehen und hören könne. Tatsächlich aber wurden gesittet geführte Debatten, wie Strolz gegen Lunacek, Kurz gegen Strache (beide auf Puls4) Strache gegen Griss (NEOS) und Kern gegen Lunacek (beide im ORF) von vielen Beobachtern als langweilig eingestuft …

Politik ohne Entertainmentfaktor scheint nur eine geringe Reichweite zu haben. Dies sollte sich jeder, der sich (oft mehr als berechtigt) über Politik und Politiker echauffiert, vor Augen halten. Denn: In einer Demokratie erhält das Volk jene Regierung, die es verdient …

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Parlament Parlament Filip Maljković CC BY SA 2.0
gruene in not Franz Johann Morgenbesser CC BY SA 3.0, Montage

Diskussion (2 Kommentare)

  1. Ihre Erkenntnisse lern man in jedem Grundseminar über Personen-Verhalten. Nämlich, dass Emotion viel stärker wahrgenommen wird und das Verhalten der Teilnehmer beeinflusst als Sachkenntnisse. Manche Politiker haben halt schlicht ihre Hausaufgaben nicht gemacht. So Sätze wie: … wir wollen mit Sachthemen argumentieren oder … wir müssen uns noch besser verkaufen, zeugen von wenig Kenntnissen der menschlichen Verhaltensweise.

    1. Sie haben natürlich recht, daß dies keine neue Erkenntnis ist. Aber wo in den Medien ist diese zu lesen ? Dauernd hört man, daß Themen gewünscht werden und niemand über Inhalte diskutiert und das dies ganz schlecht sei.
      Wenn man dies allerdings fertig denkt, dann darf man sich nicht wundern, daß der Wahlkampf so aussah wie er aussah – weil genau so sollte man ihn führen, wenn man erfolgreich sein will. Ob uns das als politische Gesellschaft allerdings weiterbringt, wage ich sehr zu bezweifeln