Warum Wien nicht mehr so anders ist

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Gesellschaft

Was der explosive Anstieg der Wohn- und Immobilienkosten europaweit und in Österreich über unsere Gesellschaft verrät.

Wien, die Stadt mit den Gemeindebauten inmitten von Villengegenden. Das war nur einer der Eckpunkte, die diese Stadt so lebenswert und vorbildhaft machten. Dieses Statement gegen die soziale Separation wurde in den Jahren seit der letzten Finanzkrise 2008 immer leiser. Durch die Nullzinspolitik der EZB und den angeblichen Faktor der Zuwanderung sind die Immobilienpreise in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt über 40% gestiegen.1

Betongold statt Sparbuch

Für Normalverdiener, die nicht in der glücklichen Lage sind, ein relevantes Erbe in Aussicht zu haben, ist das Schaffen von Eigentum in diesem Klima nahezu ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Es gibt jedoch keinen Ausweg aus dieser Situation: Denn auch die Mieten sind in den letzten Jahren, im Vergleich zur Lohnentwicklung, nahezu explodiert.

Auch geförderte Genossenschafts- und Gemeindewohnungen sind preislich deutlich nach oben gegangen. Dass auch Städte eine unrühmliche Rolle als Preistreiber der Immobilienspekulation einnehmen, zeigt dieser Artikel. In Wien zeigen sich die ersten absehbaren Auswirkungen der derzeitigen Lage durch einen Rückgang der sozialen Durchmischung.2 Es ist auch ein deutlicher Spiegel der Besitzverhältnisse in unserem Land.

Menschen mit normalen oder niedrigen Einkommen sind, wie so oft, die Hauptleidtragenden dieser Entwicklung. Dieser Generation wird das selbstständige Erarbeiten von Eigentum, auch in Anbetracht von Lohnentwicklung, Teuerungsraten der Lebenshaltungskosten und Unsicherheiten am Arbeitsmarkt, nahezu verunmöglicht.

Somit wird die schon vorhandene extreme Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufgehen, mit all den historisch bekannten Folgen einer solchen Entwicklung.

Folgendes Zitat bringt diese Sachlage auf den Punkt:

Während der Zahnarzt höhere Mieten durch seine Vorsorgewohnung bekommt, wird das Wohnen für seine Ordinationsassistentin teurer„, erklärt die Wohnungsexpertin Prof. Elisabeth Springler.3

Diese Entwicklung macht nicht einmal aus herkömmlicher, kapitalistisch/marktwirtschaftlicher Sicht einen Sinn.
Denn wenn Wohnen zu einen Luxusgut wird, fehlt das Geld für Konsumgüter und schwächt somit das Individuum als Marktakteur. Wohnen muss man, da gibt es kaum Einsparmöglichkeiten. In der Konsumwelt wird dann tendenziell eher zu den billigeren Produkten gegriffen, die zumeist wiederum aus Ausbeutungsverhältnissen stammen, siehe Kleidung, Elektronik, Nahrungsmittel usw.

Durch diese sinkende Kaufkraft werden langfristig internationale Ausbeutungsverhältnisse und Großkonzerne in ihrem Tun gefestigt. Die vielzitierte Macht des Konsumenten verkommt dann nahezu vollends zur Farce.

Doch was sagt das alles über unsere Gesellschaftsordnung aus?

Was, meines Wissens, in keiner der zahlreichen Medienmeldungen über ständig steigende Wohnkosten vorkommt, ist der Fakt, dass „Wohnen ein Menschenrecht“ ist.

Somit entsteht der Eindruck, es sei „okay„, wenn Wohnraum ständig teurer wird, weil es sich schließlich, im marktwirtschaftlich/kapitalistischen Sinne, um ein Gut wie jedes andere handele, dessen Preis nun mal von Angebot und Nachfrage bestimmt werde.

Nach dieser Logik ist das Profitstreben von Immobilien- und Bodenspekulanten sowie „normalen besitzenden Marktteilnehmern“ am Immobilienmarkt systemisch weit höher gestellt als das Grundbedürfnis und Menschenrecht auf ein „Dach über dem Kopf„. Da es sich aber, wie erwähnt, um ein Grundbedürfnis handelt, ist dem mitnichten so. Angesichts dieser Tatsache verliert auch die zynische Standardausrede zahlreicher „Systemprofiteure„: „Hätten Sie halt was Gescheites gelernt„, ihre Wirkung, denn selbst Besserverdiener sehen sich immer mehr mit Abstiegsängsten konfrontiert.

Auf psychologischer Ebene gesehen bedeutet der potenziell drohende Entzug eines Grundbedürfnisses hohen emotionalen und seelischen Stress, der sich zwangsläufig in Bereichen der psychischen und physischen Gesundheit niederschlägt. Auch viele soziale Beziehungen leiden drastisch unter dem gestiegenen ökonomischen Zwang, wenn z.B. Partner oder Familienmitglieder gezwungen sind, unter einem Dach zu leben. Diese Tatsache schlägt sich wiederum in den kürzlich veröffentlichten Statistiken über immer höher werdende Depressions- und Burnoutraten nieder.

Gesamtgesellschaftlich gesehen ist so eine Entwicklung, die ein Großteil der Mitmenschen unter Druck setzt, in jeglicher Hinsicht eine fatale für das friedliche zivilisierte Zusammenleben. Erst kürzlich warnte NEOS-Chef Matthias Strolz vor der Situation, dass wir im dreizehnten Bezirk bald hohe Zäune um die Villen bauen müssten, um die laut ihm unvermeidlichen sozialen Unruhen „in den Griff zu bekommen.“

Wohin diese Entwicklung führen kann, wenn wir nicht rechtzeitig dagegen steuern, zeigt London auf. Immer mehr Menschen, vor allem im Dienstleistungssektor, haben zwar einen Arbeitsplatz in der Stadt, müssen jedoch aufgrund der unleistbaren Wohnungspreise täglich mehrere Stunden in das Umland pendeln. Die Message bedeutet hier: „Du darfst zwar hier arbeiten, aber wohnen darfst du hier nicht – du bist nicht willkommen.“ Aber warum ins „ferne“ London schauen? An unserer Grenze zeigt München, wie fatal diese Entwicklung für das soziale Zusammenleben ist. Besonders deutlich bringt es folgender Artikel von Deutschlandfunk auf den Punkt (Wenn der Spekulant die Krankenschwester vertreibt):

Die Versorgung kranker Kinder könne nicht mehr gewährleistet werden, warnen Ärzte in München. Denn: Weil sich Pflegekräfte keine Wohnung leisten können, gibt es zu wenig Personal.

Ökonomische Gesetze versus Gesetze der Natur

Ein weiterer Aspekt, der – bewusst oder auch unbewusst – nicht beleuchtet wird, ist die Tatsache, dass die Stadt energetisch gesehen hocheffizient ist: kurze Wege, kompakt organisiert, zentralisiert und bei gutem Verkehrsmanagement auch zeitsparend. Abgesehen von den Nachteilen des Stadtlebens, wie Verkehrslärm, Luftqualität, der teilweise zu hohen Bevölkerungsdichte und der leider oft eintretenden Vereinsamung des Individuums, ist die Organisationsform „Stadt“ potenziell energiesparend.

Da jedoch alles dem obersten Prinzip „Angebot und Nachfrage“ unterliegt, sind Städte im Vergleich zum energieintensiveren, da zerstreuten Landleben teuer. Solche „Nebensächlichkeiten“ sind für unser autistisches, an Profitstreben orientiertes System irrelevant.

Im nächsten Artikel möchte ich auf Alternativen zu dieser destruktiven Entwicklung eingehen und aufzeigen, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, sich ein Stück weit diesem Wahn zu entziehen.


1  https://mietervereinigung.at/News/841/39116/Wohnkosten-steigen-deutlich-staerker-als-Einkommen
2 https://www.addendum.org/wohin-wien/soziale-durchmischung/
3 https://kontrast.at/krise-in-europas-staedten-wohnen-als-spekulation/

Credits

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30969800766_5ba2a81b13_o 30969800766_5ba2a81b13_o Matthias Ripp CC BY 2.0